Die Genfer Reederei MSC stellt auf den Südamerika-Routen keine Seefahrer aus Montenego mehr an, nachdem das Unternehmen von der Drogenmafia unterwandert wurde und sich in den USA mit einer Strafforderung von 700 Millionen Dollar konfrontiert sieht. Das berichtet Bloomberg in der aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins «Bloomberg Businessweek».

Der Artikel zeichnet detailliert nach, wie der von der italienischen Aponte-Familie kontrollierte Konzern in der letzten Dekade das Business ausgebaut hat und dabei gleichzeitig von Kriminellen infiltriert wurde.

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MSC-Angestellte arbeiteten über Jahre verdeckt als Kokainschmuggler und verdoppelten so locker ihr Jahresgehalt. Sie wurden teilweise unter Androhung von Gewalt zwangsrekrutiert und hievten das Rauschgift in spektakulären Aktionen mit Schnellbooten auf ein Containerschiff.

«Bloomberg Businessweek» stützt sich in seiner Berichterstattung auf Interviews mit über hundert Personen und auf Unterlagen aus US-amerikanischen Gerichtsfällen. Im Zentrum steht das Geschehen, das zur Beschlagnahmung des MSC-Schiffes «Gayane» vor drei Jahren führte.

Die US-Behörden setzten das 314 Meter lange und 48 Meter breite Containerschiff im Juni 2019 fest, durchsuchten jeden der 4000 Container und fanden fast 20 Tonnen Kokain im Wert von rund 1,3 Milliarden Dollar. Es war der grösste Fund der amerikanischen Zollbehörden in ihrer über 230-jährigen Geschichte.

Tonnenweise Drogen im Seemannssack

Die Drogenfracht war in Leinensäcken versteckt. Sie steckte zwischen Obst und Früchten, die auf dem Weg nach Europa waren. Dass die illegale Rekordfracht ausgerechnet auf einem MSC-Schiff landete, war dabei alles andere als Zufall.

Jedes Schifffahrtsunternehmen, das Routen von Südamerika nach Europa betreibt, laufe Gefahr, von Kokainhändlern ausgenutzt zu werden, schreibt «Bloomberg Businessweek» unter Berufung auf Untersuchungsbeamte. Aber MSC sei ein besonders attraktives Ziel gewesen.

MSC und die Aponte-Familie

Gegründet wurde die Mediterranean Shipping Company (MSC), die ihren Sitz in Genf hat, 1970 von dem im Golf von Neapel geborenen Ex-Schiffskapitän Gianluigi Aponte. Die Flotte des Seetransportriesen, der mit einem Occasionsschiff begann, umfasst heute 730 Schiffe, darunter 23 Kreuzfahrtdampfer.

MSC beschäftigt 150’000 Mitarbeitende in 155 Ländern und 675 Büros. Das Management bleibt in Familienhand: Sohn Diego ist Vorsitzender, Tochter Alexa Aponte Vago leitet die Finanzen, Schwiegersohn Pierfrancesco Vago führt das Kreuzfahrtgeschäft, Gattin Rafaela Aponte dekoriert die Passagierschiffe.

Beim Frachttransport liefert sich die Genfer Reederei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem dänischen Riesen Mærsk. Hinter Carnival und Royal Caribbean ist MSC zudem der drittgrösste Kreuzfahrtbetreiber der Welt. 

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Die Genfer dominieren Routen, die gleichzeitig als Kokain-Highways dienen. Laut dem Rotterdamer Hafenpolizeichef Jan Janse wurde MSC bereits drei Jahre vor der Beschlagnahmung der «Gayane» darüber informiert, dass einige ihrer Seeleute erwischt worden waren, wie sie Kokain von Frachtschiffen auf kleinere Schiffe umluden, bevor sie in den Hafen einliefen. 

«Wir haben ihnen gesagt, was wir gesehen haben. Und wir haben ihnen gesagt, dass das aufhören muss», sagte Janse. «Und wenn es nicht aufhören würde, sagten wir ihnen, dass das Risiko bestünde, dass wir das tun würden, was die Vereinigten Staaten später taten, nämlich ihre Schiffe beschlagnahmen.»

Die «Gayane» blieb nach dem Rekordfund fast einen Monat im Hafen von Philadelphia liegen. Jeder einzelne Container wurde abgeladen und durchsucht. Die Hände von jedem Crew-Mitglied wurden auf Spuren von Kokain getestet – mehrere Resultate waren positiv. Über hundert Personen waren tagelang am Werk und stellten mehr als 15’000 Kokainblöcke sicher. MSC zahlte 40 Millionen Dollar, damit das Schiff die Fahrt nach Europa weiterführen konnte.

50’000 Dollar Lohn vom Kartell

Einige der Crew-Mitglieder sitzen seitdem in den USA fest. Sie sind zum Teil geständig und kooperieren mit den Behörden. «Bloomberg Businessweek» berichtet von einem montenegrinischen Seefahrer, der im Einzugsgebiet der südlichen Küstenstadt Bar aufgewachsen ist.

Der Ort ist die Heimat von Montenegros grösstem Seehafen. Hier ankern nicht nur Frachter und Kreuzfahrtschiffe, es verkehren auch Fähren nach Bari und Ancona. Ausserdem ist Bar direkt mit dem Zug an Belgrad angeschlossen. 

Die Genfer MSC sei allgegenwärtig im Ort, schreibt «Bloomberg Businessweek». Jeder dritte montenegrinische Seefahrer stünde im Sold der Schweizer. Knapp 4500 Euro Monatslohn stelle MSC für die Arbeit in Aussicht. Es ist das Fünf- bis Sechsfache des Durchschnittslohns, aber ganz offenbar immer noch nicht ausreichend, um kriminelle Machenschaften zu verhindern.

Gayane MSC Drogen

Drogen vom MSC-Schiff «Gayane»: Gesamthaft fanden die Ermittler fast 20 Tonnen Kokain, bestimmt für Europa.

Quelle: US Customs And Border Protection

Die Balkan-Drogen-Mafia ging gezielt auf MSC-Angestellte los und drohte mit Gewalt: «Wir wissen, wer Sie sind, wir wissen, wer Ihre Familie ist», sagte ein Mann laut US-Gerichtsakten zu einem Seefahrer, der damals Mitte zwanzig war. «Wir wissen, dass Sie in fünf Tagen mit dem Schiff auslaufen werden.»

Der Mann hielt dem jungen Montenegriner ein mobiles «Narko»-Telefon hin, wie es die Staatsanwaltschaft in den Gerichtsakten nannte, und sagte ihm, er habe die Wahl. Er könne entweder das Telefon annehmen und sich bereit erklären, den Befehlen zu folgen, oder er würde seine Sicherheit und die seiner Familie riskieren. Wenn er zustimmte, würde er 50’000 Dollar erhalten, fast ein Jahresgehalt.

Der junge Mann nahm das Telefon. Und er war nicht der Einzige, der dazu genötigt wurde. Mindestens acht der 22 Leute, mit denen der junge Montenegriner auf der «Gayane» arbeitete, wurden in die Kollaboration gezwungen oder gelockt. Jeder von ihnen konnte mit 50’000 Dollar oder mehr rechnen.

Verladen mit dem Schnellboot

Vom Drogenkartell gekauft war unter anderem der erste Offizier des Schiffes. Er rangierte eine Stufe unter dem Kapitän und war verantwortlich für die Fracht- und Decksbesatzung. Er war essenziell in der Logistikkette der Schmuggler. Die übliche Methode, Drogen auf ein Schiff zu bringen, besteht darin, die Container schon an Land mit der Schmuggelware zu beladen und zu hoffen, dass dies unbemerkt bleibt. 

Aber bei der «Gayane» lief es anders. Die Drogen kamen auf das fahrende Schiff, wie die US-Behörden nachgezeichnet haben. Demnach näherten sich Schnellboote mit schwarzen, mit Drogen gefüllten Seesäcken dem fahrenden Containerschiff. Die Besatzung hievte die Säcke anschliessend mit Flaschenzügen an Deck. Die Übergaben fanden häufig auf hoher See statt, ohne dass die Schiffe gestoppt wurden – eine logistisch-kriminelle Sonderleistung. 

MSC bestreitet den Ablauf. Das Unternehmen sieht sich als weltweit führend in der Bekämpfung von Schmuggel und behauptet, selbst das Opfer der organisierten Kriminalität zu sein. MSC hat nie bestritten, dass eine grosse Menge Kokain an Bord eines seiner Schiffe gefunden wurde, behauptet aber, dass der Grossteil des Kokains nicht auf See geladen wurde und auch nicht hätte geladen werden können.

Die USA dagegen verweisen auf Schuldeingeständnisse von Besatzungsmitgliedern, die in den Handel verwickelt waren und sehen die Position von MSC in direktem Widerspruch zu gerichtlichen Tatsachenfeststellungen. 

«Bahnbrechende Methoden»

Nachdem «Bloomberg Businessweek» ausführlich über den Fall und die Folgen der «Gayane»-Beschlagnahmung berichtete, publizierte MSC ein Statement, das unter anderem festhält, dass der Kokainhandel in den letzten Jahren stark zugenommen habe.

Dies sei ein branchenweites Problem. Alle Verkehrsträger, von Schiffen bis hin zu Lastwagen, Zügen und Flugzeugen, seien der Bedrohung durch den illegalen Handel ausgesetzt, und solange der Konsum anhalte, werde auch der Nachschub durch internationale Drogenkartelle fortbestehen.

Die Schifffahrtsunternehmen und ihre Mitarbeiter seien nicht dazu beauftragt, gegen die gefährlichen Personen vorzugehen, die organisierte kriminelle Organisationen betreiben. Sie würden auch nicht über die nötigen Mittel verfügen und seien auch nicht geschult.

«Die Drogenhändler, die hinter dem Vorfall auf der MSC Gayane stehen, haben bahnbrechende Methoden angewandt, um ihre Drogen zu schmuggeln, und die Operation konnte von keinem ehrlichen Schifffahrtsunternehmen vorhergesehen oder vorhergesagt werden», heisst es im Communiqué. MSC, wie auch andere Unternehmen der Linienschifffahrt, lehne den illegalen Handel entschieden ab und ergreife aktiv Massnahmen, um die neuen Techniken der Kriminellen zu bekämpfen.

Die streitlustige Position von MSC dürfte nicht zuletzt juristisch motiviert sein. Dem Unternehmen droht gemäss «Bloomberg Businessweek» eine Strafe von 700 Millionen Dollar. Aber sollte es MSC darzulegen gelingen, dass ein beträchtlicher Teil des Kokains an Land verladen wurde, könnte die Strafe geringer ausfallen. Denn in diesem Fall würden die eigenen Angestellten eine andere Rolle spielen.

Die Ermittlungen in den USA ziehen derweil immer weitere Kreise. Die Behörden ermitteln sowohl auf dem straf- als auch dem zivilrechtlichen Weg. Unlängst kam es in diesem Zusammenhang zur Verhaftung einer Person, die ein wichtiger Drahtzieher in der Sache gewesen sein soll.

Es handelt sich um den ehemaligen Schwergewichts-Boxer Goran Gogic, der zu Bestzeiten Sparringspartner der Brüder Vitali und Wladimir Klitschko war. Gogic soll den Export der Drogen von Kolumbien via USA nach Europa koordiniert haben, sagen die US-Behörden.

Er wurde im November festgenommen, als er in Miami versuchte, ein Flugzeug nach Zürich zu besteigen, und sitzt seither in Untersuchungshaft in den USA. Gogic, gebürtiger Montenegriner, der in Deutschland lebt, beteuert seine Unschuld. 

Weckruf für die Industrie

Für MSC dürfte die ganze Sache ein weiteres Nachspiel haben: Der Fall könnte zum Wendepunkt der ganzen Industrie werden, sagt der niederländische Polizeibeamte Janse, der berichtet hat, dass MSC schon lange über das Kokainschmuggelproblem im Bild war.

Er vergleicht die Situation mit der, mit der sich die Banken vor zwei Jahrzehnten konfrontiert sahen. Auf Druck der Behörden waren die Institute weltweit dazu gezwungen, die kriminellen Aktivitäten ihrer Kunden besser zu verfolgen und strenge Compliance-Standards einzuhalten. Dies bedeutete eine tiefgreifende Veränderung in der Art und Weise, wie sie Geschäfte machten, und kostete die Banken Milliarden. 

«Vor dreissig Jahren war ich an der Bekämpfung der Geldwäsche beteiligt, und alle Banken sagten damals, sie könnten sich das Geld ihrer Kunden nicht ansehen und sagen, ob es aus der Kriminalität stamme», sagt Janse zu «Bloomberg Businessweek». «Heute sagt das keine mehr. Und das ist das, was wir mit allen Reedereien machen müssen.»

«Der Vorfall auf der «MSC Gayane» war für die gesamte Containerschifffahrts- und Logistikbranche sicherlich ein Weckruf», hält MSC in einem Communiqué fest. Seitdem die Firma im Jahr 2019 von der erhöhten Bedrohung erfuhr, habe das Unternehmen seine eigenen Sicherheitsanstrengungen erheblich intensiviert und werde bis 2022 weit über 50 Millionen Dollar investiert haben, was auch in den kommenden Jahren der Fall sein werde. «MSC ist heute als Branchenführer für seine Bemühungen zur Bekämpfung des Schmuggels anerkannt», schreiben die Genfer.

Drogen MSC Gayane

US-Polizeibeamter mit Hund: Jeder der 4000 Container auf der Gayane wurde abgeladen und durchsucht.

Quelle: US Customs And Border Protection

MSC verfüge heute über mehr als fünfzig verschiedene Methoden zur Aufdeckung potenziell illegaler Aktivitäten auf den wichtigsten Handelsrouten, darunter hochmoderne und firmeneigene Technologien auf der Grundlage künstlicher Intelligenz, die in enger Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden eingesetzt werden.

«Der weltweite Drogenhandel ist ein systemisches Problem, das kein Unternehmen allein bewältigen kann», so MSC weiter. «Von den Produktionsquellen bis hin zu den Verbrauchern, die die Nachfrage ankurbeln, muss jeder in der Lieferkette seinen Teil beizutragen versuchen, um Strafverfolgungs-, Zoll- und Hafenbehörden bei der besseren Kontrolle des Problems zu unterstützen.»