Der Zementkonzern LafargeHolcim verbrennt Abfälle aus Vietnams Textilfabriken, um seine Umweltbilanz zu polieren. Ein industrieller Textilschredder wird derzeit nach Südostasien verschifft, nachdem er erfolgreich in Österreich getestet wurde. Die Anlage soll im September den Betrieb aufnehmen.
Der Schredder ist Teil von LafargeHolcims Ressourcenstrategie. Fossile Energie wie Kohle und Erdöl sollen zunehmend durch alternative Energieträger ersetzt werden. «Zu diesen alternativen Brennstoffen gehören zum Beispiel Hausmüll, Altreifen, aber auch viele weitere Abfälle wie eben Schuhe oder nicht mehr nutzbare pharmazeutische Erzeugnisse», erklärt Pressesprecher Eike Christian Meuter. Selbst diese könnten aufgrund der Vorbehandlung und der hohen Temperaturen im Drehofen eines Zementwerks sicher und rückstandsfrei entsorgt werden.
Thermische Energie aus Abfall
Das Prinzip dahinter heisst «Co-Processing». Die Idee: Industrieabfälle werden in thermische Energie für die Zementproduktion umgemünzt. Das senkt den CO2-Ausstoss, fördert alternative Energien, schont Ressourcen, bietet ein sinnvolles Abfall-Entsorgungssystem und schafft neue Arbeitsplätze in nachhaltigen Nischen.
2014 verarbeitete Holcim auf diese Weise 75 Millionen Tonnen Industriemüll und versorgte 14 Prozent der weltweiten Zementproduktion mit der nötigen Energie. Das Unternehmen ist aber noch nicht zufrieden und hat sich ambitiöse Ziele gesetzt: Der Anteil alternativer Energie soll bis 2020 auf 20 Prozent steigen. Die Menge verarbeiteter Abfälle sollte bis 2030 auf bis zu eine Milliarde Tonnen ansteigen.
Fusion beeinflusst Umweltstrategie
Das war vor der Fusion mit Lafarge. Derzeit ist noch unklar, wie der Zusammenschluss die Ressourcenstrategie durcheinanderwirbelt. Pressesprecher Meuter schreibt: «Die Teams entwickeln zur Zeit genaue Umweltziele und -strategien für den gemeinsamen Konzern.» Gleichzeitig versichert er aber, dass auch die neue Führung bestrebt sei, «die Auswirkungen auf die Umwelt soweit als möglich zu reduzieren».
Das ist kein Lippenbekenntnis, sagt Simon Zeller von der Umweltstiftung Pusch. Der an der Universität Zürich ausgebildete Umweltwissenschaftler beobachtet die Branche seit einigen Jahren. Die beiden Zementfirmen Lafarge und Holcim, sagt Zeller, hätten in den letzten zwei Jahrzehnten bereits viel erreicht. Was die Fusion nun bringt, sei schwer abzuschätzen, ein Richtungswechsel stehe jedenfalls nicht an, so der Experte.
Umweltfreundlichkeit lohnt sich
LafargeHolcim arbeitet nicht aus Liebe zur Natur an einer neuen Umweltstrategie. Der Konzern hat handefeste, finanzielle Interessen. Energiekosten sind, erstens, konzernweit verantwortlich für einen Zehntel der Herstellungskosten. Und obschon die Ölpreise derzeit ins Bodenlose stürzen, werden sie in wenigen Jahren wieder neue Höchstwerte erklimmen, weil die Nachfrage steigen wird. Das bedeutet für den Konzern Mehrkosten, sofern er keine alternativen, günstigeren Energieträger findet.
Zweitens: Die Branche ist extrem umweltbelastend. Die Zementindustrie ist weltweit für fünf bis sieben Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. LafargeHolcim emittiert konzernweit mehr als vier Mal so viel CO2 wie die ganze Schweiz. Das sind fast 200 Millionen Tonnen. Um die Umweltbilanz zu verbessern und das Reputationsrisiko möglichst klein zu halten, wird deshalb seit Jahren versucht, alternative Brennstoffe einzusetzen und den Klinkeranteil im Beton zu senken. Klinker ist der wichtigste Bestandteil von Zement. Die Produktion ist jedoch sehr energieintensiv und entsprechend besonders umweltbelastend.
Schweizer Werke als Vorbild
Zeller begrüsst die Tatkraft, mit der LafargeHolcim und andere Zementfirmen an einem Substitut für fossile Brennstoffe suchen. Lobend erwähnt er, dass sowohl Holcim als auch Lafarge die CO2-Emissionen seit 1990 um mehr als 20 Prozent reduziert hätten, dass Lafarge zuletzt ein Fünftel der Energie mittels Alternativbrennstoffe produziert habe.
Im Vergleich zur Schweiz zeigen sich aber die Schwächen des fusionierten Grosskonzerns: Gemäss dem Branchenverband Cemsuisse hat die Schweizer Zementindustrie ihre CO2-Emissionen seit 1990 um 55 Prozent reduziert. Mehr als die Hälfte der Energie wird aus alternativen Quellen gewonnen. «Das ist sehr viel besser als die globalen Zahlen der beiden Konzerne», sagt Zeller. «Der neue Konzern sollte sich ruhig ambitionierte Umweltziele setzen und sich dabei an den Werken in der Schweiz orientieren.»