Maschinen bestimmen immer stärker über uns. Nur bekommen wir das kaum mit. Sie sortieren Bewerbungen aus, legen die Kreditwürdigkeit fest, beeinflussen den Medienkonsum und liefern eine massgeschneiderte Anlagestrategie. Videokameras analysieren Alter und Verhalten, um zielgerichtete Werbung aufs Smartphone zu senden. Anhand der Stimme sollen Algorithmen gar ein Burnout oder Anzeichen von Alzheimer erkennen.
Für Unternehmen sind Daten eine Goldgrube. Doch ihr Schürfen ist hochkomplex und entscheidet mehr und mehr über den Erfolg.
Viele Unternehmen verabschieden deshalb nun eine Datenstrategie. Sie ist mehr als nur ein neues Buzzword. Datenstrategien sind selten öffentlich und dienen als Businessplan – um Daten gewinnbringend zu nutzen und interne Leitplanken zu setzen.
Mit einer Datenstrategie setzt sich derzeit die Migros auseinander. «Wir haben ein eigenes Team gebildet, das sich dieses Themas annimmt», sagt Sprecher Patrick Stöpper. «Aktuell prüfen wir verschiedene Optionen, wie uns Daten helfen können, verschiedene operative Bereiche betreffend Effizienz, Präzisierung oder Planung zu optimieren.»
Die Post hingegen hat bereits für die Periode 2017 bis 2020 eine Datenstrategie verabschiedet. «Sie beantwortet die Frage, für welche Services und Prozesse die Post heute und in Zukunft Daten und daraus gewonnene Informationen nutzen möchte und welche Kompetenzen und Technologien dafür benötigt werden», heisst es.
Datenstrategie soll Vertrauen schaffen
Cornelia Diethelm, Gründerin des Centre for Digital Responsibility, eines Think-Tanks für digitale Ethik, sagt es so: «Wer Daten als strategische Ressource einsetzt, sollte sich fragen, was man mit den Daten konkret macht und was nicht.» Sonst droht die Verzettelung. Für Unternehmen sei es entscheidend, Daten kundenorientiert zu nutzen und sich über die ethischen Aspekte klar zu werden, sagt Diethelm. «Damit schaffen sie Vertrauen und erhöhen die Akzeptanz von digitalen Innovationen.» Eine Datenstrategie sei ein Stück weit Selbstregulation.
«Selbst wenn sich ein Unternehmen an die gesetzliche Vorgaben hält, droht ein Reputationsschaden, sobald es gewisse ethische Grenzen überschreitet.»
Markus Christen, Universität Zürich
Die Credit Suisse stellt mit ihrer Datenstrategie die «Einhaltung aller relevanten gesetzlichen Anforderungen sicher». Zudem gebe sie vor, wie Daten zum Nutzen der Kunden eingesetzt werden können. Dieses Ziel verfolgt auch die Strategie der UBS: «Mit der Analyse von Daten können wir unsere Angebote für unsere Kunden verbessern und diese vor Missbrauch und Betrug schützen», sagt Sprecher Marco Tomasina. Als Beispiele nennt er die Identifikation von auffälligen Transaktionen, die Auswertung von Kundenfeedbacks zur Verbesserung von Produkten oder auch «clevere» Investmentvorschläge.
Eine Vorreiterin im ethischen Umgang mit Daten ist die Swisscom. Neben einer Datenstrategie besitzt sie ein Ethik-Board, das neue Smart-Data-Anwendungen kritisch prüft. «Je mehr sich mit Daten machen lässt, umso mehr stellt sich die Frage, was davon erwünscht ist. Zumal die Anwendungen immer stärker in den persönlichen Bereich eingreifen können», sagt Nicolas Passadelis, Head of Data Governance bei der Swisscom. Ein Thema im Ethik-Board war etwa die Auswertung der Mobilitätsdaten für die Vorhersage von Staus. Aufgrund des gesellschaftlichen Nutzens entschied die Swisscom, die Mobilfunkdaten auszuwerten und dem Bundesamt für Strassen (Astra) weiterzugeben. Die Daten bleiben dabei anonym. Wer genau im Auto von Zürich nach Bern fährt, ist nicht ersichtlich. Autofahrer profitieren aber von besseren Stauvorhersagen. Für Passadelis gilt der Grundsatz: Die Datenverarbeitung müsse der Gesellschaft einen Mehrwert bieten, um sie rechtfertigen zu können.
Swisscom tüftelt an smartem Router
Primär nutzt die Swisscom Datenanalysen zur Verbesserung von Produkten: So könne etwa ein guter Chatbot nachts die Probleme der Kunden lösen. Ein anderes Projekt, das die Swisscom vorantreibt: Künftig will sie dank Datenanalyse vorab erkennen, wann etwa ein Router kaputt gehen wird. «Wir könnten ihn dann frühzeitig austauschen, damit der Kunde zu Hause keinen Tag aufs Internet verzichten muss», sagt Passadelis.
Mit Datenstrategien befasst sich auch die Wissenschaft. Die Mobiliar arbeitet in einer Allianz mit verschiedenen Hochschulen an einem Ethik-Kodex für den Umgang mit Daten. «Er soll Unternehmen helfen, sich von der Datengewinnung bis zum Datengebrauch an ethischen Grundsätzen zu orientieren», sagt Markus Christen von der Universität Zürich. «Der Kodex richtet sich besonders an KMU, die für solche Fragen keine eigene Abteilung haben.» Denn: Selbst wenn sich ein Unternehmen an die gesetzlichen Vorgaben hält, drohe ein Reputationsschaden, sobald es gewisse ethische Grenzen überschreite, sagt Christen. Das habe Facebooks Skandal um Cambridge Analytica gezeigt. Die Allianz will den Kodex im Juni vorstellen.
Google und Microsoft sind weiter
Während sich Schweizer Unternehmen mit Datenstrategien befassen, gehen andere einen Schritt weiter. Google hat vor einem halben Jahr Prinzipien für den Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI) präsentiert. Auch Microsoft hat Guidelines für KI erarbeitet. Themen darin sind etwa, dass alle Menschen fair behandelt werden, dass KI-Systeme sicher und zuverlässig sind, dass sie den Datenschutz gewährleisten und transparent sind. «Ein Kunde muss wissen, anhand welcher Grundlagen die KI über die Vergabe einer Hypothek entscheidet», sagt Tobias Steger von Microsoft Schweiz.
Längst ist der Einsatz von KI nicht mehr nur Tech-Firmen vorbehalten. «Durch die Cloud haben längst auch KMU Zugriff darauf», sagt Steger. Umso mehr könne die Festlegung allgemeiner Prinzipien nicht den Unternehmen alleine überlassen werden. «Deutschland und Frankreich haben bereits eine KI-Strategie. Da fehlt es in der Schweiz noch an einer klaren Vorstellung», sagt Steger. Es brauche für die Wirtschaft Vorgaben, was eine gute und sinnvolle Anwendung von künstlicher Intelligenz ist und was nicht.