Streaming ist im Trend und erfreut sich steigender Beliebheit: Beim Fernsehen werden immer häufiger Streaming-Plattformen genutzt – und weniger TV-Kanäle. In den USA dürfte dieser Trend laut dem Marktforschungsinstitut «eMarketer» weiter zunehmen – und bis in zwei Jahren einen Anteil von 35 Prozent am gesamten Konsum ausmachen. Zu verdanken ist diese Entwicklung auch dem amerikanischen Streaming-Pionier Netflix.
Angefangen in den USA, der Heimat von Netflix, hat sich das Unternehmen inzwischen auf der ganzen Welt ausgebreitet. Der Streaming-Gigant ist in allen Ländern der Welt erreichbar, ausser in China. Der Traffic, der beim Streaming von Netflix-Inhalten erzeugt wird, macht inzwischen unglaubliche 15 Prozent der gesamten Internet-Datennutzung aus. Der Trend spricht also für Netflix.
Preise gehen rauf
Trotzdem hat das Unternehmen aus dem kalifornischen Los Gatos gestern für Enttäuschung gesorgt. Netflix meldete, im zweiten Quartal weniger Neukunden gewonnen zu haben als erwartet. Das rühre vor allem daher, dass Netflix nach seinen Lockangeboten nun die Preise in einigen Märkten erhöht habe. Die Schweizer zahlen weltweit fast am meisten für Netflix.
Die Aktien brachen nachbörslich um mehr als zehn Prozent ein. Auch die Steigerung des Umsatzes um 26 Prozent konnte die Anleger nicht milde stimmen.
Krieg der Streamingdienste
Sie sorgten sich aber nicht primär wegen der Absätze, sondern wegen eines anderen düsteren Zukunftsszenarios, welches Netflix droht: Der Branchenleader ist nämlich nicht mehr alleine.
Google-Tochter Youtube hat alleine in den USA über 200 Millionen Nutzer und bietet inzwischen ebenfalls einen Bezahl-Streaming an. Amazons Dienst «Prime» behauptet, weltweit rund 100 Millionen Abonnenten zu haben. Und auch Disney kündigte im November einen eigenen Streaming-Service an, der mit rund sieben Dollar wesentlich günstiger sein soll als Netflix. Dort kostet das Abo knapp 13 Dollar.
Spätestens seit dem Einstieg von Disney ins Streaming-Geschäft läuten die Alarmglocken bei den Netflix-Anlegern. Der Mickey-Mouse-Konzern hat eine bemerkenswerte Sammlung von Inhalten, die er jetzt auf dem eigenen Kanal spielt und damit logischerweise Netflix nicht mehr zur Verfügung stehen. Und auch der amerikanische Sender HBO hat mit seinem «HBO Max» einige Asse gegen Netflix im Ärmel. Schliesslich gibt es dort Megaseller wie «Games of Thrones» oder «Harry Potter» zu sehen.
Um in diesem erbitterten Konkurrenzkampf bestehen zu können, braucht Netflix attraktive Inhalte. Dieses Jahr möchte das Unternehmen mit dem roten Logo rund 15 Milliarden Dollar in eigene Serien hineinbuttern. So viel wie kein anderes Medienunternehmen auf der Welt. Das ist bitter nötig, denn Netflix rinnen die Inhalt buchstäblich durch die Finger.
Die grossen Produktions-Studios in den USA entziehen Netflix ihre Serien und Filme reihenweise. Das sind beisielsweise die All-Time-Klassiker «Friends» oder «The Office», die AT&T gehören und jetzt auf deren Plattformen zu sehen sind.
Am meisten schmerzt aber der Einzug von Disney ins Streaming-Business. Disney besitzt die Rechte an Filmen wie «Star Wars» und ist beteiligt an den drei erfolgreichsten Kinofilmen im vergangenen Jahr.
Wer glaubt, Netflix habe selber genug attraktive Inhalte, der wird eines Besseren belehrt: Selbst die als «Netflix Originals» bezeichneten Produktionen gehören nicht dem Unternehmen; die Lizenzrechte sind einer anderen Firma angeschlossen.
Geschäftsmodell wankt
Netflix hat rund 150 Millionen Abonnenten – mehr als alle anderen. Aber die Konkurrenz ist definitiv aufgewacht und hat die Netflix-Anleger aufgeschreckt. Netflix galt als Shootingstar der Börse, die Aktie hat in den letzten zehn Jahren um 8500 Prozent zugelegt.
Kein Wunder: Netflix fuhr die im Silicon Valley so weit verbreitete Strategie des «the winner takes it all». Vor zehn Jahren konnte sich Netflix nahezu ungestört von den grossen Medienunternehmen der Welt bedienen. Das Unternehmen schloss Verträge mit Disney und anderen grossen Studios ab und gelang so gegen eine bescheidene Gebühr an Inhalte, die es beliebig ausstrahlen konnte. Jetzt werden aber die Verträge mit Netflix aufgelöst. Die Dominanz von Netflix im Streaming-Geschäft ist vorbei.
Manche Analysten halten den Erfolg von Netflix für «unaufhaltsam». Doch der Streamingdienst muss sich das eine oder andere einfallen lassen, um auch an der Börse weiterhin punkten zu können. Mehr dazu lesen Sie hier bei cash.ch
Netflix perfektioniert die Datenanalyse, hält die Konkurrenz auf Abstand und umgarnt die Zuschauer. Wie gelingt das? Lesen Sie die Analyse hier.
Netflix-Wert sinkt
Noch weist Netflix einen Marktkapitalisierung von rund 160 Milliarden Dollar auf und liegt damit auf Platz 30 bei den grössten amerikanischen Unternehmen, die kotiert sind.
Doch ohne attraktive Inhalte sind diese Zahlen Makulatur. Abonnenten werden ihr Abonement nicht mehr erneuern oder zur Konkurrenz wechseln, wenn sie ihre Lieblingsserie nicht mehr vorfinden. Ein Szenario, das ein Nutzer mehrere Streamingdienste abonniert ist zwar möglich, aber auch mit dem «Entertainment-Budget» einer Person verbunden.
Doch selbst wenn es Netflix gelingt, auch in Zukunft Serien und Filme zu produzieren, die sich grosser Beliebtheit erfreuen, ist der Wert des Unternehmens überrissen, schreibt Stephan McBride im amerikanischen «Forbes». Ohne die grossen Filmklassiker und die All-time-Favorite-Serien büsst Netflix an Wert ein. Die Filme und Serien, die Netflix anbietet oder angeboten hat, sind selbst Millionen Wert.
McBride schätzt, dass selbst bei einem «Best-Case-Szenario» Netflix nur noch auf einen Wert von 100 Milliarden Dollar kommen wird. Dann würde der Kurs 225 Dollar pro Stück betragen, rechnet er vor. Das wäre 40 Prozent unter dem aktuellen Kurs.
Er warnt die Anleger: Durch die steigende Konkurrenz und den Verlust von Inhalten könnte sich die Aktie in den nächsten ein bis zwei Jahren halbieren.