Wer bei Wikipedia den Namen Daniel Vasella eingibt, kann einiges lernen. Zum Beispiel, dass der Konzernlenker von Novartis früher in der marxistisch-leninistischen Schülerorganisation Cercle Grachus aktiv war. Die Frage allerdings lautet: Von wem stammen solche Informationen? Und wie können sich Personen, die sich als falsch porträtiert sehen, gegen derlei Eintragungen wehren?
In wenigen Jahren ist Wikipedia zum beliebtesten Online-Lexikon aufgestiegen, erhältlich in fast jeder wichtigen Sprache. Nutzer können im Vorbeisurfen Artikel ergänzen oder korrigieren – oder verfälschen. Klagen über den Missbrauch, über falsche und beleidigende Artikel sind so alt wie der digitale Schlaumeier selbst. Zwar gibt es selbst ernannte Administratoren, die jeder perfiden Machenschaft Einhalt zu gebieten versuchen. Mit der Zahl der Artikel nimmt aber auch das Risiko zu, dass die eine oder andere hinterlistige Änderung unbemerkt bleibt.
Vor zwei Jahren löste der Fall des US-Journalisten John Seigenthaler heftige Diskussionen aus, weil dieser in seiner Biografie in der Wikipedia als Verdächtiger bei den Kennedy-Morden bezeichnet wurde – «absurder Rufmord», konterte Seigenthaler. Bislang war Wikipedia in solchen Fällen juristisch einigermassen auf der sicheren Seite. Ein US-Gesetz besagt, dass Provider und Plattformbetreiber nicht für freie Einträge belangt werden können. Aber eine neue Klage wegen angeblich diffamierender Einträge könnte Wikipedia nun doch treffen. Der bekannte Golfprofi Fuzzy Zoeller verklagte zwar nicht Wikipedia, sondern die Besitzer des Rechners, von dem aus die Einträge vorgenommen worden sein sollen. Zoellers Anwalt will die Lexikonmacher nun gerichtlich zwingen, Informationen über die Verfasser von unliebsamen Passagen herauszugeben. Das Urteil wird wegweisend sein, die Internetgemeinde verspricht sich einen Grundsatzentscheid über die künftige Verantwortung für Einträge in sogenannten Social Networking Sites.
Insbesondere deshalb ist es für Wikipedia ärgerlich, gerade jetzt wieder negative Schlagzeilen zu provozieren. Im Brennpunkt steht ausgerechnet einer der als besonders verantwortungsvoll geltenden Administratoren. Ryan Jordan, so der Name des digitalen Saubermanns, hatte sich fälschlich als Theologieprofessor ausgegeben. Bei Wikipedia arbeitete der 24-Jährige unter dem Pseudonym EssJay – und genoss besondere Privilegien: So konnte er in Streitfällen die IP-Adresse eines Nutzers ermitteln und andere User zu Administratoren ernennen. Anfang dieses Jahres wurde er sogar zum Arbitrator ernannt, einer Art Schiedsrichter, der in Streitfällen unter Wikipedianern vermittelt und Strafen für ungebührliches Verhalten verhängt. Doch dann kam der Schwindel zutage – und damit ein Stück Internetwahnsinn: «Ich dachte, es sei bekannt, dass ich nicht der bin, der ich zu sein vorgab», so die verquere Entschuldigung des ertappten Sünders.
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales gab seinem Angestellten lange Rückendeckung. Nach dem Rauswurf von Jordan ist der Gründer der Online-Enzyklopädie um Schadensbegrenzung bemüht. Um solche Vorfälle in Zukunft auszuschliessen, stellt Wales eine Realnamen-Initiative zur Diskussion. Sprich: Eintragen darf nur noch, wer sich öffentlich zu erkennen gibt. Auf Gegenliebe dürfte der Vorschlag kaum stossen: Die meisten Wiki-Autoren arbeiten unter Pseudonym und wollen ihre Anonymität behalten.
Prominente wie Vasella, die im öffentlichen Leben stehen und auf eine makellose Reputation angewiesen sind, müssen wohl bis auf weiteres auf die freiwillige Selbstkontrolle der digitalen Lexikongemeinde hoffen. Und ansonsten ihre Anwälte damit beauftragen, die jüngsten Eintragungen zu überwachen. Übrigens: Die Info über Vasellas rote Vergangenheit stammt
von – ihm. DRH