Die Leute bezeichnen Sie als schlauen Fuchs.

Willy Michel: Man sagt den Bauern bisweilen auch Bauernschläue nach. Es ist ein Ausdruck, der viel, aber auch gar nichts sagt.

Immerhin: Sie verkaufen die von Ihnen gegründete Disetronic an Roche, kaufen gleich danach den Bereich Injektionssysteme zurück und bringen ihn als Ypsomed 2004 erfolgreich an die Börse.

Michel: Der Hauptgrund für den Verkauf war die massive Veränderung der Hauptkonkurrenz. Es machte Sinn, dass eine Firma die Technologie der Insulinpumpen weiterführen konnte, die weltweit auftreten konnte. Bei Roche passte die Firma auch zum Hauptumsatzzweig Diagnostica. Roche kann entsprechend gut auftreten mit vielen Aussendienstmitarbeitern in den USA.

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Nur vier Monate nach dem Disetronic-Kauf erhielt Roche einen Warnbrief der US-Regulierungsbehörde FDA. Wegen Mängeln bei Produktionsstandards darf Roche die Pumpen von Disetronic bis heute nicht an US-Neukunden exportieren.

Michel: Einen Warning Letter der FDA hatten wir bereits vor dem Verkauf der Disetronic, und das hat Roche gewusst. Man konnte aber nicht annehmen, dass die FDA noch weiter geht. Dazu weiss man nicht, inwiefern bei der FDA unterschwellig protektionistische Haltungen vorhanden sind.

Der Aktienkurs der Ypsomed hat sich seit dem IPO zwischenzeitlich fast verdoppelt. Man kommt sich vor wie zu New-Economy-Zeiten.

Michel: Ich war schon vor dem Börsengang überzeugt, dass sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis dem unteren Bereich der Medizinaltechnikfirmen nähern wird. Und dort sind wir heute. Deshalb macht mir die Kursentwicklung überhaupt keine Angst.

Seit Februar 2005 will der Kurs aber nicht mehr so recht. Haben die Investoren ein schlechtes Gefühl für die Ergebnisse am 25. Mai?

Michel: Das kann ich unmittelbar vor der Bekanntgabe der Jahresresultate nicht kommentieren. Abgesehen davon ist bekannt, dass einige Mid-Cap-Anlagefonds wegen Umschichtungen die Technologiewerte abgebaut haben.

Halten Sie an der im Februar gemachten Aussage fest, dass Sie in den nächsten drei Jahren ein Umsatzwachstum von 15% bis 25% anpeilen?

Michel: Daran halten wir auf jeden Fall fest. Unter Umständen revidieren wir die Spanne nach oben, das ist aber noch nicht entschieden.

Und werden Sie die Ebit-Marge von 20% nächstes Jahr erzielen?

Michel: Das ist ganz klar angestrebt. Und das werden wir auch erreichen, denke ich.

Mit den Injektionssystemen von Ypsomed spritzen sich Diabetiker Insulin. Wie wird sich Diabetes in Zukunft entwickeln?

Michel: In Nordamerika nimmt Diabetes um fast 10% zu pro Jahr. Das ist mehr als in Europa. Neu hinzu kommen aber Länder wie China, das ein grosses Diabetesproblem hat. Wir arbeiten mit einer chinesischen Insulinfirma zusammen, die Pens von uns bezieht. China und auch Indien haben ein unwahrscheinliches Potenzial.

Bestehen bei solchen Aussichten Pläne, vor Ort etwas aufzubauen?

Michel: Nicht bei der Pen-Produktion. Da muss man vollautomatisch produzieren, und das macht keinen Sinn in China.

Wo sind Sie im Ausland aktiv?

Michel: Wir haben in Tschechien eine Firma gegründet. Die produziert Halbfabrikate wie Metallteile, die wir in den Pens gebrauchen. Dieser Décolletage-Bereich ist sehr personal- und kostenintensiv, weshalb wir hier mit der Konkurrenz nicht mehr mithalten konnten.

Die Hälfte des Umsatzes von Ypsomed stammt vom Auftrag von Sanofi-Aventis, für die Sie das Pensystem zur Verabreichung des Insulins «Lantus» herstellen. Ein erhebliches Klumpenrisiko.

Michel: Lantus hat die Umsatzmilliarde bereits im dritten Jahr überschritten. Und laut Sanofi sollen in den nächsten zwei Jahren 2 Mrd Euro Umsatz erreicht werden. Wir sind bis heute die Einzigen, die für Aventis Pens für das Insulin herstellen. Wir sind zu einem wichtigen Mitspieler geworden, die beidseitige Abhängigkeit ist sehr hoch. Es ist mehr als eine Heirat. Man kann sich fast nicht mehr trennen.

Trotzdem: Was tun Sie, um die Kundenbasis zu verbreitern?

Michel: Wir haben neu über zehn Pensysteme für andere Medikamente. Die Abhängigkeit vom Insulin wird sich deshalb mittelfristig sicher in andere Bereiche verlagern.

Was sind das für Bereiche?

Michel: Die Behandlung von Arthritis, Osteoporose oder Blutverdünnung. Das sind alles Milliardenmärkte. Hier wurde bislang mit Wegwerfspritzen operiert. Weil es billiger ist und einfacher für die Patienten, werden dort aber sicher Pens kommen. Es gibt grosse Märkte, die sich für Pens eröffnen.

Es besteht aber eine Konkurrenzgefahr von Systemen, mit denen man Insulin nicht mehr in den Körper spritzen muss, sondern sich via Inhalation zuführen könnte.

Michel: Insulin gehört zu den hochmolekularen Substanzen, von denen ich überzeugt bin, dass es in den nächsten zehn Jahren nur bedingt andere Möglichkeiten geben wird, als sie unter die Haut zu bringen. Überdies: Bei den Neuregistrierungen der Pharmafirmen machen die Flüssigmedikamente heute mehr als 50% aus. Diese können also nicht in Tablettenform eingenommen werden. Dieser Markt nimmt massiv zu.

Wie entwickelt sich das Geschäft mit den Pens für das Fruchtbarkeitshormon Gonal-F von Serono?

Michel: Sehr gut, wir sind ganz signifikant über Budget.

Verraten Sie den Umsatzanteil?

Michel: Nein, aber im Vergleich zu Insulin ist er relativ klein.

Einer Ihrer Konkurrenten ist Novo Nordisk aus Dänemark. Dort setzt man grosse Hoffnungen auf das Insulin Levemir. Grund zur Sorge?

Michel: Novo Nordisk ist ein indirekter Konkurrent. Die produzieren die Pens für ihre Medikamente selber. Levemir hatte eine wesentlich weniger starke Steigerung bei der Einführung als Lantus, das im letzten Jahr eine Umsatzsteigerung um etwa zwei Drittel aufwies. Lantus hat den grossen Vorteil, dass es das einzige lang wirksame Insulin ist, das nur einmal pro Tag gespritzt werden muss.

Viele Firmen aus dem Bio- und Medtechbereich wollen an die Börse (IPO) oder haben das bereits getan. Entlädt sich hier ein Stau?

Michel: Das ist sicher so. Andererseits zieht natürlich der Erfolg von Firmen wie Ypsomed andere mit. Man muss nur aufpassen, dass es nicht dorthin läuft wie Ende der 90-er Jahre. Es geht ein wenig in diese Richtung. Vor allem die Biotechfirmen sind sehr schwierig zu beurteilen, was ein wenig gefährlich ist. Diese Firmen sollten tendenziell schneller von der Forschung zur Entwicklung wechseln, also von der Phase zwei in die Phase drei. Sonst verbluten sie.

Sie sind ja auch VR-Präsident der Private-Equity-Firma BV Group. Da ranken sich IPO-Gerüchte.

Michel: Bei einer Bilanzsumme von 60 Mio Fr. ist das momentan kein Thema. Für ein IPO müssten dies schon über 100 Mio Fr. sein. Mittelfristig ist ein Börsengang aber nicht auszuschliessen. Dazu haben wir neue Engagements im Bereich Medizinaltechnik, die sicher interessant sein könnten für ein eventuelles IPO.

Sie haben immer gesagt, Sie wollen an Ihrem Besitzstand von 72% der Ypsomed-Aktien nichts verändern. Haben Sie die Meinung geändert?

Michel: Mittel- bis langfristig will ich sicher eine Zweidrittelmehrheit behalten.

Müssten Sie den Free Float nicht erhöhen, um Ypsomed für Investoren attraktiver zu machen?

Michel: Der Free Float beträgt etwa 26%, und es kommen in den nächsten ein bis zwei Jahren noch etwa 4% dazu durch eine Reduzierung der BV-Group-Beteiligung und sicher auch durch einen gewissen Verkauf von Mitarbeiteraktien.

Ihr Vermögen wird auf zwischen 1 und 1,5 Mrd Fr. geschätzt, Sie bewohnen ein Schloss in Muri...

Michel: ...das ist ein Landhaus, nicht ein Schloss, und in dem Sinn noch übersichtlich. Ich glaube nicht, dass sich unwahrscheinlich viel verändert hat bei mir.

Immerhin: Sie sind ein Selfmademan, der es vom Chemielaboranten in die Liga mit Managern gebracht hat, die Millionen verdienen.

Michel: Da spielt sicher immer ein wenig der Zufall mit. Ich kenne zum Beispiel auch Daniel Vasella ziemlich gut. Ich glaube nicht, dass diese Leute anders denken als der grosse Durchschnitt. Er hat ein Medizinstudium gemacht und ist dann so hineingewachsen. Dass er jetzt so ein Salär bezieht, da kann man verschiedener Meinung sein.

Welche Meinung haben Sie bezüglich den Bilateralen II?

Michel: Eine Ablehnung von Schengen/Dublin wäre nun wirklich tragisch und dramatisch für die Schweiz. Mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, ist die Abstimmung über die Personenfreizügigkeit im Herbst 2005. Die letzten Umfrageergebnisse gehen in die richtige Richtung.

Was beschäftigt Sie bezüglich Produktionsstandort Schweiz?

Michel: Das Problem ist das Wachstum in den letzten 20 Jahren. Wir sind am Schluss von ganz Europa, hinter Ländern wie Portugal, Griechenland und Irland, einst das Armenhaus Europas. Bei Überregulierungen und kartellähnlichen Verhältnissen müsste man in der Schweiz einmal radikal aufräumen. Zudem ist das Schweizer Steuersystem viel zu kompliziert. Es sollte eine nationale Bereinigung erfolgen mit einem tieferen Steuerniveau, um die Schweiz für Investitionen attraktiver zu machen.

Interview: Daniel Hügli

Der erfolgreiche Unternehmer

Steckbrief

Name: Willy Michel

Funktion: VR-Präsident Ypsomed und BV Group

Alter: 58

Wohnort: Gümligen

Familie: Verheiratet, 3 Kinder

Karriere

1964-1971 Lehre bei Ciba-Geigy, Entwicklungsabteilung Leclanché

1971-1975 Handelsschule, Fachdiplom als Pharmareferent

1977-1983 Aussendienst- und Geschäftsleiter Novo Nordisk Schweiz

Seit 1984 Gründung und Aufbau von Disetronic und YpsomedYpsomed

Willy Michel, ehemaliger Gemeinderat von Burgdorf, brachte etwas zustande, was nur wenige Unternehmer vorweisen können: Zwei verwandte Firmen an die Börse bringen. Erst führte er 1996 Disetronic an die SWX Swiss Exchange. Kurz nachdem er die Disetronic 2003 für 1,6 Mrd Fr. an Roche veräussert hatte, kaufte er für 425 Mio Fr. den Bereich Injektionssysteme zurück und brachte diesen als Ypsomed an die Börse. Der Aktienkurs ist seit dem IPO im September 2004 etwa um 60% gestiegen. Michel betätigt sich auch als Hotelier, Galerist und Museumsbetreiber.