Mit der Abschlussprüfung hat KPMG trotz mehr Aktivitäten bei den Banken insgesamt weniger Umsatz erzielt. Liegt das am härteren wirtschaftlichen Umfeld oder ist es der Druck auf die Preise?

Hubert Achermann: Es ist beides. In der Sparte Audit macht sich die konjunkturelle Abschwächung bemerkbar. Die Sonderaufträge wurden zurückgefahren. Diese Lücke liess sich nicht derart rasch mit der Gewinnung von neuen Mandaten schliessen. Auf der anderen Seite spüren wir den Preisdruck. Jede Ausschreibung ist mit einem harten Konkurrenzkampf verbunden.

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Im EU-Grünbuch zur Rolle der Abschlussprüfer wird von mangelnder Konkurrenz unter den «Big 4» gesprochen. Sie sehen dagegen einen steigenden Wettbewerbsdruck. Ist das kein Widerspruch?

Achermann: Doch. Aber die Argumentation im EU-Grünbuch ist völlig falsch. Es stimmt nicht, dass im angeblichen Oligopol der «Big 4» kein Wettbewerb herrscht. Ich lade jeden Kritiker ein, bei der Mandatsvergabe dabei zu sein und die Preiskämpfe selbst mitzuerleben.

Heisst das, die Preise werden sich künftig seitwärts bewegen oder fallen?

Achermann: Ich befürchte es. Das ist schlecht für die Qualitätsansprüche, die an unsere Arbeit gestellt werden. Die Komplexität in der Rechnungslegung und die Regulierung nehmen zu. Das verlangt nach sehr gut ausgebildeten Leuten.

Konzentriert sich KPMG deshalb vermehrt auf die Beratung, weil die Wachstumschancen dort besser sind?

Achermann: Das ist nicht unsere Strategie. Wir wollen alle drei Bereiche, Audit, Tax und Advisory, im gleichen Stil weiterentwickeln und ausbauen. Der multidisziplinäre Geschäftsansatz ist für uns wichtig und dient nicht zuletzt auch der Qualität im Audit.

Die Vermischung von Abschlussprüfungund Beratung ist EU-Kommissar Michel Barnier ein Dorn im Auge. Erwarten Sie eine Aufsplitterung der grossen Revisionsfirmen?

Achermann: So weit kommt es nicht. Bereits jetzt ist die Beratung im Gefolge des Sarbanes-Oxley Act für Revisionsfirmen eingeschränkt. Dennoch haben wir am multidisziplinären Geschäftsmodell festgehalten.

Im Nachgang zum Enron-Skandal mussten sich die «Big 4» vor allem von ihren grossen IT-Sparten trennen. Aber ist nicht eine Grauzone zwischen Abschlussprüfung und Beratung beim gleichen Unternehmen geblieben?

Achermann: Es gibt detaillierte Regeln, was machbar ist und was nicht. Wir beurteilen jede Business Opportunity sehr sorgfältig in Bezug auf diese Anforderungen, bevor wir das Mandat annehmen. Als Abschlussprüfer können sie beispielsweise keine Bewertungen machen. Darauf achtet auch die Revisionsaufsichtsbehörde.

Machen denn grosse Wirtschaftsprüfer bei einem internationalen Multi nur die Abschlussprüfung oder erbringen sie auch im grossen Umfang verschiedene Beratungsdienstleistungen?

Achermann: Das muss die Gesellschaft selbst entscheiden. Die jetzigen Regeln geben einen vernünftigen Spielraum. Es ist Sache des Audit Committee, die Zusammenarbeit mit der Revisionsstelle zu definieren beziehungsweise wie weit man vom Know-how der Revisionsstelle profitieren will.

Die Vergabe der Revisionsmandate durch die Unternehmen steht im EU-Grünbuch auch zur Diskussion. Denkbar ist die Mandatserteilung durch eine Revisionsaufsichtsbehörde.

Achermann: Dieser Vorschlag geht in die falsche Richtung. Es macht keinen Sinn, die einzelnen Gesellschaften bei der Abschlussprüfung zu bevormunden. Eine staatliche Aufsichtsbehörde verfügt nicht über bessere Kenntnisse, wem das Revisionsmandat vergeben werden soll. Sie muss Missbräuche bekämpfen.

Seit zwei Jahren ist die Eidgenössische Revisionsaufsicht aktiv. Was sind Ihre ersten Erfahrungen?

Achermann: Eigentlich gut. Die Behörde arbeitet professionell und mit Mass. Unser Anliegen ist es, dass die aufwendigen Inspektionen nicht nur nach «Best practice»-Regeln durchgeführt werden, sondern auch Kosten-Nutzen-Überlegungen einbeziehen. Wir haben etwa die Sorge, dass man - wie im Ausland - überregulieren könnte, aber das hat sich bisher nicht bewahrheitet.

Der Bundesrat will die Rolle der Revisoren prüfen, weil sie Mängel im Risikomanagement der krisengeschüttelten UBS übersehen hätten. Gibt es einen «Expectation Gap»?

Achermann: Ja, diese zu hohe Erwartungshaltung hat mit dem UBS-Fall noch Auftrieb erhalten. Wir haben zurzeit keinen gesetzlichen Auftrag, das Risikomanagement unserer Kunden zu überprüfen.

Was kann denn der Aktionär oder Analyst aus dem Testat des Revisors herauslesen?

Achermann: Das Testat nimmt Stellung zur Regelkonformität des Abschlusses. Gewisse finanzielle Risiken lassen sich dem Anhang der Jahresrechnung entnehmen, sofern diese nach IFRS erstellt wird. Zu systemischen Risiken aber wird nichts ausgesagt. Der Revisor muss dazu Stellung nehmen, ob eine Risikoanalyse vorgenommen wurde, aber nicht wie gut dies geschehen ist. Besteht das Testat aus dem Standardtext, dann kann der Aktionär daraus schliessen, dass keine gröbere Unregelmässigkeit vorliegt. Wesentliche Fehler werden mit einer Einschränkung im Testat festgehalten, wesentliche Unsicherheiten oder Fortführungsprobleme mit einem Zusatz. Der Bilanzleser tut also gut daran, einen Blick auf das Testat zu werfen, um festzustellen, ob dieses einen entsprechenden Passus enthält.

Viele Account-Experten möchten eine stärker zukunftsorientierte Revisionstätigkeit. Sehen Sie Ansätze für eine solche Neuorientierung?

Achermann: Im Lagebericht wird jetzt schon etwas zur Zukunft gesagt. Diese Statements unterliegen derzeit aber keiner Prüfpflicht. Die Frage stellt sich, sollen wir nun alles hinterfragen ?

? und was ist Ihre Antwort?

Achermann: Der Lagebericht ist die Aufgabe des Verwaltungsrates. Auf freiwilliger Basis und insbesondere für interne Zwecke könnte der Revisor durchaus eine Plausibilisierung zukunftsgerichteter Aussagen, von Businessplänen oder Projektionen vornehmen und so eine gewisse Objektivität sicherstellen. Absolute Sicherheit können Sie aber von einer solchen Prüfung nicht erwarten.

Sind die Aktienanalysten dafür da?

Achermann: Sie ergänzen das Bild durch eine unabhängige Einschätzung. Aber selbst bei diesen Spezialisten bleibt offen, wie gut sich die Zukunft überhaupt voraussagen lässt.

Die «Big 4» sind global präsent, die Aufsicht jedoch geschieht national. Braucht es nicht ebenfalls ein supranationales Kontrollgremium?

Achermann: Da bin ich skeptisch. Vielleicht ist das noch am ehesten in einem geschlossenen Wirtschaftsraum wie der EU möglich. Die Aufsicht wird immer national ausgerichtet sein. Es braucht aber einheitliche Regeln und eine gewisse Konsistenz in der Überwachungstätigkeit.

Würde ein Qualitätszertifikat wie der im Barnier-Bericht vorgeschlagene «Euro-Pass» in diese Richtung zielen?

Achermann: Durchaus. Damit verbunden ist die Einhaltung eines klaren Regelwerkes.

Die grossen Wirtschaftsprüfer haben sich in mehr oder weniger stark integrierten Clusters organisiert. Welche Strategie verfolgt KPMG?

Achermann: Wir streben eine stärkere Integration an als die meisten unserer Mitbewerber. Ein solcher Schulterschluss unter Ländergesellschaften soll aber auf freiwilliger Basis geschehen.

Die Schweizer Gesellschaft ist in die KPMG Europe LLP eingegliedert. Wer gibt in dieser Einheit den Ton an?

Achermann: Wir verfolgen im Führungsgremium eine gemeinsam formulierte Strategie und arbeiten eng zusammen. Die operative Eigenständigkeit der einzelnen Ländergesellschaften ist weitgehend intakt geblieben. Aber selbstverständlich rapportiere ich an den europäischen KPMG-Chef.

Gibt es weitere Kandidaten, die zu dieser KPMG Europe LLP stossen könnten?

Achermann: Der Integrationsprozess ist nicht abgeschlossen. Derzeit besteht der Verbund aus 16 Gesellschaften. Vielleicht könnten vier weitere Länder in absehbarer Zukunft dazustossen.

Wird die Belegschaft in der Schweiz damit laufend internationaler?

Achermann: Mit Leuten aus rund 45 Nationen sind wir bereits seit langem sehr international aufgestellt.

KPMG sponsert einen Lehrstuhl für Audit, Accounting und Controlling an der Universität St. Gallen. Profitieren Sie davon?

Achermann: Ja. Wir sind damit nahe bei der Wissenschaft. Dieser Gedankenaustausch ist für uns sehr wichtig. Es bringt der Branche insgesamt etwas, indem junge Leute für den Wirtschaftsprüfer-Beruf motiviert werden.

Gilt das auch für die Rekrutierung von Nachwuchskräften?

Achermann: Die Präsenz an der Hochschule stärkt unsere Marke sicher. Aber direkt messbar ist dieser Nutzen nicht. Aus unserer Sicht gehört ein solches Engagement nicht zuletzt zur Corporate Social Responsibility.

Ist der «War for Talent» weniger ausgeprägt, seit die grossen Banken mit ihrer verminderten Nachfrage für einen weniger überhitzten Arbeitsmarkt sorgen?

Achermann: Keineswegs, der Kampf um talentierte Leute wird weiterhin sehr intensiv geführt. Ich erwarte in der Zukunft einen noch grösseren Druck, weil ausländische Banken stärker auf den Finanzplatz Schweiz drängen.

Weshalb ist die Fluktuationsrate bei den grossen Revisionsgesellschaften derart hoch?

Achermann: Die Mitarbeiter geniessen bei uns eine gute Ausbildung und sie sammeln Erfahrung. Das sind gute Voraussetzungen, um später eine Führungsposition in der Wirtschaft einzunehmen.

Sie persönlich sind mit mehreren Jahrzehnten Berufserfahrung bei der gleichen Firma der amtsälteste CEO im Kreis der Schweizer «Big 4». Machen sich keine Ermüdungserscheinungen bemerkbar?

Achermann: Nein, in meiner ganzen Karriere gab es laufend neue Herausforderungen. Es wurde mir nie langweilig, ständig hat sich etwas verändert. Die Pflege der Kunden ist und bleibt spannend. Da werde ich nicht müde.