Sie haben Emmi im richtigen Moment ? noch vor der Gewinnwarnung ? verlassen. Fühlen Sie sich in der geschützten Werkstatt der Migros-Industrie wohl?
Walter Huber: Die Migros-Industrie ist absolut keine geschützte Werkstatt. Die Migros-Industrie hat die Aufgabe, europa-tauglich zu produzieren.
Sie haben aber mit Migros einen sicheren Abnehmer, zum Beispiel für Ihre Schokoladeproduktion.
Huber: Schokolade ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um zu zeigen, dass Chocolat Frey in einem kompetitiven Umfeld steht. Die Migros führt ein Sortiment von Ferrero, aber auch Artikel von anderen Schokoladeherstellern. Zudem macht Chocolat Frey mehr als ein Drittel ihres Umsatzes im internationalen Geschäft. Dort sind wir voll dem globalen Wettbewerb ausgesetzt und auch konkurrenzfähig.
Trotzdem: 80% Ihrer gesamten Produktion setzen Sie bei Migros ab. Somit muss sich nur ein kleiner Teil ihrer Produktion dem Wettbewerb stellen.
Huber: Wir stellen uns auch innerhalb der Migros dem Wettbewerb. Alle unsere Sortimente werden immer wieder ausgeschrieben. Dabei müssen wir uns bei Migros bewerben wie jeder andere Lieferant auch.
Sind Sie bei Migros auch schon einmal abgeblitzt?
Huber: Das kommt immer wieder vor.
Zum Beispiel?
Huber: Dazu nehmen wir öffentlich keine Stellung.
Dann könnte ein anderer Hersteller «Chocolat Frey» produzieren?
Huber: Nein. Das ist ein Markenartikel, den wir selber produzieren. Aber M-Budget-Artikel könnte durchaus jemand anders fabrizieren.
Wie hoch sind eigentlich die Gewinne der Migros-Industrie?
Huber: Wir weisen den Gewinn nicht separat aus.
Wieso?
Huber: Wegen der Vernetzung des Geschäftsmodells Industrie und Detailhandel sind die Gewinne als Einheit abgebildet.
Dank der Vernetzung schreiben Sie schwarze Zahlen?
Huber: Wir sind, wie alle Migros-Unternehmen, profitabel.
Nun haben Sie mit Denner einen weiteren guten Absatzkanal gefunden?
Huber: Es ist unser Ziel, ein wichtiger Lieferant von Eigenmarken für Denner zu werden.
Und wer sind die Kunden ausserhalb der Migros-Gruppe im Inland?
Huber: Einzelkunden legen wir nicht offen.
Beliefern Sie Aldi in der Schweiz?
Huber: Wir beliefern Aldi international mit ein paar wenigen Produkten. Wir produzieren für jeden Kunden, wenn das unsere Stückkosten verbilligt und damit unsere Produktivität gesteigert wird.
Sie wollen den heutigen Auslandanteil von 7% an Ihrem Umsatz verdoppeln. Wie wollen Sie das erreichen?
Huber: Wir erzielen heute rund 350 Mio Fr. Umsatz im Ausland. Diesen Betrag wollen wir bis in fünf Jahren verdoppeln. Das wollen wir durch den Export von Premiumprodukten erreichen. Wenn es aber sinnvoller ist, ergänzende Produkte im Ausland herzustellen, werden wir das in Zukunft auch tun.
Kaufen Sie Unternehmen im Ausland?
Huber: Ja, vor kurzem haben wir im Savoyischen die Molkerei Baiko übernommen. Baiko produziert regionale Spezialitäten wie Bio-Joghurt aus Alpenmilch.
Und wollen Sie noch mehr Firmen kaufen?
Huber: Wir wollen Firmen im Ausland kaufen, wenn sie in die Strategie der Migros-Industrie passen. Es ist auch denkbar, dass wir selber Firmen aufbauen oder mit Unternehmen im Ausland zusammenspannen, die in unserem Auftrag produzieren.
Welches sind die Schwerpunktländer?
Huber: Deutschland, Frankreich und England sind unsere wichtigsten Märkte. Wir exportieren aber in über 50 Länder. In Amerika und Kanada haben wir zudem interessante Projekte.
Welche Projekte?
Huber: In Kanada beliefern wir den grössten Retailer mit besonders ökologischen Waschmitteln. Ein Teil dieser Waschmittel wird in unserem Auftrag von einem kanadischen Hersteller produziert.
Zurzeit sind Unternehmen billig zu kaufen. Haben Sie bestimmte Firmen im Visier?
Huber: Es ist in der Tat eine Phase guter Opportunitäten. Es gibt die eine oder andere interessante Möglichkeit. Wir sind jedoch nicht unter Zeitdruck.
Für den Export wird es in Krisenzeiten schwieriger werden. Bereits 2007 lag der Umsatz im Ausland bei 350 Mio Fr., Sie weisen also heuer kein Wachstum aus.
Huber: Wir haben sehr gut gearbeitet und wachsen in Lokalwährungen zweistellig. Es stimmt aber, dass es in rezessiveren Zeiten schwieriger ist, Premiumprodukte zu vermarkten. Darum forcieren wir auch Innovationen und suchen neue Wege, um im Ausland zu produzieren.
Auch Premiumprodukte?
Huber: Nein. Die wollen wir weiterhin von der Schweiz aus exportieren.
Sie exportieren Wasser ins Ausland. Macht das ökologisch Sinn?
Huber: Wir exportieren Mineralwasser in den Nahen Osten. Das macht Sinn, weil es dort zu wenig Mineralwasser gibt und wir für den Transport Schiffscontainer brauchen, die sonst leer fahren würden.
Welches sind Ihre grössten Sorgenkinder?
Huber: Alle 16 Unternehmen laufen gut. Es gibt sogar solche, die sich sehr gut entwickelt haben ? auch, weil sie von den Preiserhöhungen im Frischebereich profitiert haben. Insgesamt sind wir aktuell etwa 8% gewachsen.
Apropos Preise: Bei Migros stimmen die Preise nicht immer überein mit dem aufgedruckten Preis. Wollen Sie die Preisbeschriftung auf dem Produkt abschaffen?
Huber: Wenn wir schnell reagieren und Produkte verbilligen, kann das passieren, dass der Preis auf der Verpackung nicht mit dem auf dem Kassenbon übereinstimmt. Wir studieren, ob es sinnvoller ist, wie alle anderen Anbieter weltweit, die Preise auf dem Regal statt auf dem Produkt anzuschreiben. Diese Diskussion muss aber gründlich über alle Stufen der Migros zuerst geführt werden.
Und das kann dauern: Migros ist für rasche Entscheide ein zu schwerfälliger Koloss.
Huber: Nein, wenn es eilt, ist die Migros fähig, über Nacht bedeutende Entscheide zu fällen. Überhaupt werden operativ wichtige Themen in kurzer Zeit ausdiskutiert und es wird schnell entschieden. Es gibt aber auch strategisch übergreifende Themen, wie zum Beispiel die Preisanschrift, die von allen Gremien intensiv diskutiert werden müssen, damit der Entscheid dann auch breit getragen wird.
Kaufen Sie auch Produktionsfirmen in der Schweiz?
Huber: Wir haben in der Schweiz Dörig übernommen. Diese Firma ist ein wichtiger Produzent von AppenzellerKäse, ein Produkt, das für die Internationalisierung des Käsegeschäftes entscheidend ist. Gruyère und Appenzeller sind für die Internationalisierung die wichtigen Sorten.
Damit konkurrieren Sie Ihren alten Arbeitgeber Emmi?
Huber: Im Käsegeschäft stimmt das. Die Migros-Industrie ist aber viel breiter aufgestellt und internationalisiert auch Sortimente wie Schokolade, Gebäck, Fleisch oder Kosmetik. Deshalb haben wir vor kurzem auch die Bündnerfleisch-Trocknerei Natura gekauft. Ein strategischer Entscheid, denn für den Export von Fleischprodukten gehört Bündnerfleisch zwingend dazu. Jeder Kunde im Ausland fragt: Habt ihr Bündnerfleisch? Wenn sie Bündnerfleisch anbieten, können sie auch andere Fleischprodukte verkaufen.
Mit anderen Worten: Sie kaufen nun Produktionsfirmen im Inland auch für Ihre Auslandstrategie?
Huber: Ja, wenn sie für das Exportsortiment relevant sind.
Anders formuliert: Nachdem es für Migros im Schweizer Detailhandel fast nichts mehr zu kaufen gibt, werden nun Produktionsfirmen akquiriert?
Huber: Nur, wenn diese zu unserer Auslandstrategie der Industrie passen.