Das vertrauliche Warnschreiben an die Bankiervereinigung beschrieb die Methoden der Spitzel haargenau. Es machte darauf aufmerksam, «dass in zahlreichen Fällen sowohl schweizerische Bankinstitute als auch Kunden derselben durch gewisse Machenschaften vom Ausland her ganz beträchtlichen Schaden erlitten haben». Der Unterzeichner war Bundesanwalt Franz Stämpfli, und das Schreiben wurde am 29. Mai 1936 verfasst.
Die Spitzeltätigkeit ging von Hitler-Deutschland aus. Sie war der Anlass dafür, dass im April 1935 der «wirtschaftliche Nachrichtendienst» unter Strafe gestellt wurde. In der Botschaft erklärte der Bundesrat damals dazu: «Es ist vorgekommen, dass im Interesse ausländischer Finanzämter Erhebungen bei Bankinstituten gemacht worden sind.»
Spitzelgesetz. Anders als beim Bankgeheimnis-Artikel, der 1934 eine Reaktion auf Aktionen französischer Fahnder war, wurde das Spitzelgesetz durch deutsche Täter angeregt: Zollfahnder, NSDAP-Spitzel, Steuerfahnder und Gestapo-Agenten. Die Ermittlungsakten aus den dreissiger Jahren dokumentieren die Spionagetricks. Bei der Schweizerischen Bankgesellschaft stiess man auf ausgelobte Belohnungen für «Kapitalspionage», bei der Bank für Anlagewerte suchte man einen Maulwurf, der 800 Franken für seinen Verrat erhalten hatte. In einem Fall konfiszierten die Ermittler eine Spitzelliste über jüdische Kunden.
Bundesanwalt Stämpfli erliess Haftbefehle gegen die Agenten oder überwies sie an die Fremdenpolizei zur Ausschaffung. Wie im Fall des SS-Rottenführers August Scholz vom Hauptzollamt Konstanz, der «versuchte, ein Finanzspionagenetz in der Schweiz zu errichten». Ein Gestapo-Mann erhängte sich in einer Zelle im Bezirksgefängnis Wil.
Fiskalische Ausplünderung. Der aggressive Einsatz der Spitzel war Folge der restriktiven Steuergesetze der Nazis. Aus dem «Steueraussendienst» machten sie im Juni 1934 den «Steuerfahndungsdienst», der unter dieser Bezeichnung bis heute existiert. Mit einem engmaschigen Überwachungsnetz wurden jüdische Vermögen systematisch erfasst und die «Reichsfluchtsteuer» zur Knebelung der jüdischen Eliten so weit ausgebaut, dass sie schliesslich 1938 die Einnahmen aus der Vermögenssteuer überstieg.
Bei der «fiskalischen Ausplünderung» der Juden, schreibt der Historiker Martin Friedenberger, hatte die «Finanzverwaltung eine exponierte Position».