Nach der Empörung über die Wirtschaftskandale beginnt die politische Knochenarbeit: Wie muss Corporate Governance gesetzlich festgeschrieben werden, damit künftig Fälle wie Swissair nicht mehr vorkommen oder - allgemeiner - das laut GfS-Sorgenbarometer massiv gesunkene Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wirtschaft zurückgewonnen werden kann?
Den ersten Beweis, wie ernst es ihm mit den Absichtserklärungen und Beteuerung ist, kann der Nationalrat am kommenden Mittwoch liefern. Zur Debatte steht die Parlamentarische Initiative des Berner Sozialde-mokraten Rudolf Strahm, die sich um die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer dreht. Konkret will Strahm zum einen verhindern, dass eine Revisionsfirma neben dem externen Revisorat nicht noch andere Beratungsmandate für die revidierte Firma ausübt. Zum andern fordert er eine gesetzliche Rotationspflicht. Danach müsste ein Unternehmen seine Revisionsfirma alle drei Jahre wechseln.
Trennung von Prüfung und Beratung
Das Revisorat spielt für Strahm eine entscheidende Rolle im Verhältnis der Publikumsgesellschaften gegenüber Aktionariat, Öffentlichkeit und Staat. «Wem kann man noch vertrauen, wenn die Revision versagt? Dann ist doch letztlich alles möglich», sagt Strahm. Unabdingbar ist deshalb für ihn, dass zwischen revidiertem Unternehmen und Revisionsfirma keine gegenseitige Inte-ressenabhängigkeit besteht. Die Unabhängigkeit der Revisoren sieht der SP-Mann jedoch gefährdet, wenn Revisionsfirmen von den Aktiengesellschaften zusätzliche Beratungsmandate in andern Bereichen wie Vermögensverwaltung, Finanzierung, Management, Sortiments- oder Marktstrategie und Personal erhalten. Strahm: «Wenn das Honorar, das die Wirtschaftsprüfer für zusätzliche Beratungen erhalten haben, viermal höher ist als jenes für die eigentliche Revision, wie das bei der Swissair der Fall war, kann man sicher nicht mehr von Unabhängigkeit sprechen.»
Strahm spricht einen heiklen Punkt an. Das beweist auch die Tatsache, dass die Betroffenen bereits reagiert haben. So müssen für die Geschäftsabschlüsse 2002 die Honorare aus Prüfungstätigkeit und übrigen Dienstleistungen der Revisionsstellen im Rahmen der SWX-Richtlinien zur Corporate Governance offengelegt werden. Die Treuhand-Kammer ist überzeugt, «dass die Publizität bei Ungleichgewichten zu einer Diskussion sowohl in der Presse als auch im Verwaltungsrat führen wird, sodass bereits von hier eine dämpfende Wirkung ausgehen wird».
Weiter schränken die von der Treuhand-Kammer auf den 1. Januar 2002 erlassenen Richtlinien zur Unabhängigkeit die Beratungsdienstleistungen von Revisionsstellen ein. Danach ist «insbesondere darauf zu achten, dass der Prüfer keine Unterlagen überprüfen muss, an deren Erstellung er selbst, andere Mitarbeiter seiner Gesellschaft oder ein mit seiner Gesellschaft verbundenes Unternehmen massgeblich mitgewirkt haben». Eine strikte Trennung von Prüfung und Beratung und damit einen wesentlichen Punkt der Initiative Strahm lehnt die Branche ab. Ein entsprechendes Verbot gehe an den Kundenbedürfnissen vorbei, heisst es in einem Papier der Treuhand-Kammer.
Edgar Fluri, VR-Präsident von PricewaterhouseCoopers Schweiz: «Die Abschlussprüfung ist bis zu einem gewissen Grad immer mit Beratung verbunden. Schwachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten, die dem Revisor bei seiner Prüfung auffallen, sollen dem Kunden nicht vorenthalten werden. Dazu gehören insbesondere Massnahmen, die der Verbesserung der internen Kontrolle und des Risikomanagements dienen.»
Von einer Pflichtrotation der Revisionsfirmen nach drei Jahren halten die Treuhänder nichts. Eine solche Vorschrift würde die Qualität der Prüfung, die mit guten Kenntnissen des Kunden verbunden sei, in Frage stellen. Stattdessen sehen die Selbstregulierungsmassnahmen eine periodische Rotation der verantwortlichen Mandatsleiter vor. Fluri: «Es ist der Kompromiss zwischen zwei Anforderungen, die Unabhängigkeit der Prüfung sicherzustellen und gleichzeitig nicht das gesamte Wissen über eine Unternehmung, das auch zur Prüfungsqualität beiträgt, aufzugeben.»
Druck aus den USA
Die zuständige Rechtskommission des Nationalrats unterstützte mit 11 gegen 10 Stimmen die Parlamentarische Initiative Strahm. Das setzte die bürgerliche Minderheit unter Zugzwang, zumal heute schon klar ist, dass die Schweiz im Interesse des Wirtschaftsstandortes nicht darum herum kommen wird, den verschärften Corporate-Governance-Bestimmungen der USA Rechnung zu tragen (siehe Artikel unten). In ihrem Namen fordert Johannes Randegger (FDP, BS) vom Bundesrat die rasche Ausarbeitung von Vorschriften für die Unabhängigkeit zwischen Aktiengesellschaften und ihren Revisionsfirmen, wobei der internationalen Rechtsentwicklung Rechnung zu tragen sei.
Nachgedoppelt hat dieser Tage FDP-Nationalrat Gerold Bührer. In einer Motion verlangt er eine staatliche Zulassungs- und Überwachungsbehörde für Revisionsstellen nach dem Modell der Eidgenössischen Bankenkommission. Die Botschaft soll bis Ende 2003 vorliegen.
USA : Massstab für die Corporate Governance
Das neue Gesetz zur Aufsicht der Wirtschaftsprüfer beeinflusst auch die schweizerische Gesetzgebung.
Auf die Bilanzskandale börsenkotierter Unternehmen wie Enron und Worldcom hat die US-Regierung rasch reagiert: Auf den 1. Juli 2002 setzte sie den Sarbanes-Oxley Act in Kraft. Er bildet das Kernstück der Massnahmen, die das Vertrauen der Anleger in die publizierten Informationen sowie die Verantwortlichen in den Unternehmen wieder herstellen sollen.
Das nach dem Senator Paul Sarbanes und dem Kongressabgeordneten Michael Oxley benannte Gesetz gilt für alle bei der Börsenaufsicht (SEC) registrierten Unternehmen, eingeschlossen ihre Wirtschaftsprüfer. Wesentliches Element des Sarbanes-Oxley Acts ist die Einführung eines Aufsichtsorgans eigens für die Wirtschaftsprüfer. Der Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB), der direkt der Börsenaufsichtsbehörde (SEC) unterstellt ist, wird seine Arbeit im Oktober 2003 aufnehmen.
Neben den Bestimmungen für die Publikumsgesellschaften, Verwaltungsräte und oberstes Management sowie für die Audit Committees nehmen die Vorschriften für die Prüfungsgesellschaften einen breiten Raum ein. So brauchen diese künftig für ihre Tätigkeit eine Zulassung durch den PCOAB. In der Schweiz fehlt eine solche Bestimmung. Zudem müssen gemäss Sarbanes-Oxley Act der verantwortliche Prüfpartner (lead audit partner) und derReview Partner alle fünf Jahre rotieren (Schweiz: Alle sieben Jahre).
Heikle Bereiche tangiert
Das neue US-Gesetz verlangt keine strikte Trennung zwischen Beratungs- und Revisionstätigkeit, sondern definiert neun Zusatzdienstleistungen, die vom Prüfer nicht erbracht werden dürfen, so unter anderem Buchhaltungsdienstleistungen, Implementierung von Finanzinformationssystemen, Management- oder Human-Resource-Funktionen sowie rechtliche Dienstleistungen.
Der Sarbanes-Oxley Act gilt heute schon als einer der Massstäbe, an denen künftig Corporate Governance gemessen wird. Das heisst, dass sich nicht nur in den USA kotierte Unternehmen und die grossen Revisionsgesellschaften anpassen müssen, sondern sich nach Ansicht führender Treuhänder auch das international tätige Schweizer Publikum freiwillig in seine Richtung bewegen wird.
Allerdings wird die Unvereinbarkeit einiger zentraler Bestimmungen im Sarbanes-Oxley Act mit den nationalen Gesetzen nicht nur in der Schweiz zu Diskussionen Anlass geben. Tangiert sind nämlich so sensible Gebiete wie das Geschäfts-, Berufs- und Bankgeheimnis sowie Datenschutz und wirtschaftlicher Nachrichtendienst.
Delegation in den USA
Im Hinblick auf die aktuellen Gesetzesarbeiten auf dem Gebiet der Corporate Governance (Revision Aktienrecht, neues Rechnungslegungsgesetz) erörterte zu Beginn dieser Woche eine von Hans Tschäni, Ressortleiter Internationales und europäisches Wirtschaftsrecht im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), geleitete Delegation in den USA mit Experten der SEC die hängigen Fragen. Mit dabei waren Vertreter des Eidgenössischen Justizdepartements und der Treuhand-Kammer.