Über Löhne wird bei Accenture dieses Jahr nicht diskutiert. Das Beratungsgeschäft läuft schlecht, eine Besserung liegt in weiter Ferne. Bis zu 25 Prozent hat der Umsatz der Consultants in der Boomphase jedes Jahr zugelegt; im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2001/2002 betrug das Plus noch knapp ein Prozent. «Nullrunde», lautete denn auch die Vorgabe aus der New-Yorker Zentrale zum Thema Lohnerhöhung. «Niemand war wirklich überrascht», sagt Sprecher Daniel Frey. Unter anderen Umständen hätte der Bescheid unter den 72 600 Mitarbeitern für einen Exodus gesorgt. Nun, da die ganze Gilde darbt, ist jeder froh, der seinen Job behalten kann.

Ähnliches ereignet sich in der Bankenwelt. Dort heisst es nun erst einmal: Ende des Geldsegens. Die schlechte Verfassung der internationalen Finanzmärkte bringt deren Umsätze und die Erträge im Handelsgeschäft zum Einstürzen und das lukrative Geschäft mit Börsengängen zum Erliegen. Müsste jetzt über Bonuszahlungen entschieden werden, wären sie gleich null, sagt ein Banker der Credit Suisse First Boston. «Gegen null» tendiert für ihn auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran bis Ende Jahr etwas ändern wird.

Düster ist das Bild, das die Konjunkturauguren von der nahen Zukunft malen: Den Schweizer Verbrauchern ist die Lust am Konsum durch die jüngsten Entwicklungen vergangen – ihr Stimmungsbarometer ist auf das Niveau von 1997 abgesackt. Kaum jemand rechnet mit mehr Lohn. Die Schweizerische Nationalbank rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von «deutlich unter einem Prozent», die Credit Suisse korrigierte ihre Wachstumserwartungen von vormals 1,3 auf 0,7 Prozent. Auch bei den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz sieht es nicht gut aus: Die EU-Kommission hat ihre Wachstumserwartungen für das dritte Quartal auf 0,6 bis 0,9 Prozent gesenkt. In Deutschland steht die Wirtschaft praktisch still. Und für die USA beschwören die Ökonomen der Investment-Bank Morgan Stanley gar das Abdriften in eine neuerliche Rezession.

Nur gerade für die Branchen IT und Telekom sehen die Berater von Watson Wyatt das Ende der Krise gekommen. Von Aufschwung kann aber auch hier nicht die Rede sein: Der Markt hat sich nur so weit beruhigt, als dass sich die Löhne auf dem jetzigen Niveau einpendeln. Vorab ist in der Euphorie massiv in IT investiert und viel Geld ausgegeben worden mit teilweise fragwürdigem ökonomischem Nutzen. Dann kam die Katerstimmung. Nun, so scheint es, ist die Branche wieder nüchtern. «Viele Unternehmen haben heute ganz klare Vorstellungen über den Lohn», sagt Ursula Bucher von Bucher Consult in Zürich. Sie, die vor allem Informatiker vermittelt, hat in Sachen Lohn kaum mehr Verhandlungsspielraum: «120 000 Franken jährlich und basta» – so oder ähnlich rigide lauteten die Vorgaben der Klienten, sagt Bucher. Eben hat sie einen IT-Spezialisten vermittelt, der in eine Gehaltseinbusse von 30 000 Franken im Jahr einwilligte, um den Job zu bekommen.

Auch die 2400 Partner von Accenture verzichten auf Lohn: Sieben Prozent weniger sollen nächstes Jahr auf ihr Konto fliessen. Die PR-Strategen titulieren den Lohnausfall euphemistisch als «Investition» und hoffen auf bessere Zeiten. «Die Situation ist so, dass es niemanden verwundern würde, wenn die Verwaltungsräte in manchen Unternehmen Lohnreduktionen von 10 bis 20 Prozent verordneten», sagt Roger Rytz, Managing Director der Executive-Search-Firma Spencer Stuart in Zürich. Viele Unternehmen, die in den vergangenen Jahren vornehmlich über den Börsenkurs geführt worden sind, stehen heute nämlich ohne jedes Polster da. Jeder Franken wird zweimal umgedreht, bevor er ausgegeben wird. Und wie immer, wenn Sparen angesagt ist, wird das Messer an den gleichen Stellen angesetzt: Arbeiter werden entlassen, das Backoffice verkleinert, Projekte gekappt. Kosten und Leistung jedes Einzelnen werden überprüft, und es wird konsequent gefeuert, wer schlecht abschneidet. Stets das Gleiche geschieht in solchen Phasen aber auch mit den Topperformern: Als solche evaluiert, werden sie zu «Untouchables». Umsatztief hin oder her, stehen für sie finanzielle Mittel bereit. Beim Beratungsmulti Accenture etwa bekommen trotz generellem Lohnstopp rund 15 Prozent der 72 600 Mitarbeiter eine so genannte «Einmalprämie für ausserordentliche Leistung» (Daniel Frey).

Trotz schlechten Zeiten haben jene für Lohnverhandlungen gute Karten in der Hand, die gesuchtes Know-how mitbringen. Verkaufsprofis, Finanzfachleute, Kommunikations-Asse und Experten in Sachen Forschung und Entwicklung haben schon in den vergangenen Jahren kontinuierlich mehr verdient. Sie werden gemäss den Erhebungen von Watson Wyatt, deren Salärstudie die Grundlage für den Gehaltstest bildet, auch dieses Jahr zu den Gewinnern zählen. Auch Personalverantwortliche und Kader an der Kundenfront haben gemäss Watson Wyatt nichts zu befürchten. Sie gehören zu den gefragten, das heisst gut bezahlten Leute in der Schweizer Wirtschaft.

«Leistung», prognostizieren die Personalberater unisono, werde zur lohnentscheidenden Komponente schlechthin. Und ein Bonus werde wieder ein Bonus, nämlich eine Belohnung für Übererfüllung im Job. Nahe liegt daher der Schluss, dass die geltenden Kompensationsmodelle sich abermals in Richtung von noch mehr variablen Lohnbestandteilen weiterentwickeln werden. Im Bewusstsein über die Vorzüge langfristig orientierten Führens verlieren auch Optionspläne als Form der Mitarbeiterbeteiligung zunehmend an Ausstrahlung.

Der Lohn soll wieder zum Entgelt für tatsächlich erbrachte Leistungen werden; negative Beispiele wie etwa Chris Gent, Chef von Vodafone, sollen sich nicht wiederholen. Der Brite hat im letzten Geschäftsjahr mit einem Minus von 24,1 Milliarden Dollar den höchsten Verlust in der europäischen Unternehmensgeschichte angehäuft. Trotzdem erhielt er Ende März, als das Geschäftsjahr zu Ende ging, 3,6 Millionen Dollar an Gehalt und Boni, und obendrein stehen ihm 8,95 Millionen Aktien zu. Nach einer Berechnung der Nachrichtenagentur Bloomberg waren Gents Optionen Ende Juni 12,9 Millionen Dollar wert.

Die Loslösung der Topsaläre von der Steigerung des Unternehmenswertes hat die Lohnschere weit geöffnet. In den USA sind Toplöhne bis zu 475-mal höher als die tiefsten. «Der Markt wird diese Relationen normalisieren», sagt Doris Aebi, Direktorin beim Zürcher Executive-Search-Unternehmen Bjørn Johansson. Vor allem weil die Schamlosigkeit und die Selbstbedienungsmentalität einiger Topmanager für alle sichtbar geworden sind, bekommt das Thema Lohn einen neuen Stellenwert. «Die Krise ist ein Hygienefaktor», sagt Markus Inderbitzin von Korn/Ferry, «die Unternehmen haben gemerkt, dass sie konsistente Salärmodelle brauchen, die eine Gleichbehandlung der Mitarbeiter sicherstellen.» Noch sind die Schweizer Unternehmen weit davon entfernt, ihren Angestellten und Führungskräften solche Leitplanken zur Verfügung zu stellen. Bis auf weiteres beruhen Benchmarks auf Schätzungen, Lohnerhöhungen bleiben eine Frage des Verhandlungsgeschicks.

Mit Hilfe von Lohnumfragen wie jener von Watson Wyatt kann entschlüsselt werden, wer wofür wie viel kassiert. In ihrer Salärstudie haben die Berater nach Unternehmensgrösse und Aufgabenbereich getrennt die Durchschnittslöhne von 74 Funktionen ermittelt. Damit ist zumindest eine Standortbestimmung möglich. Zur Präzisierung der persönlichen Lohnforderung sind aber auch Aspekte wie Branche, Region und die Persönlichkeit des Einzelnen in Rechnung zu stellen. Nur wer auch diese Faktoren berücksichtigt, kann die Frage nach dem richtigen Lohn verlässlich beantworten. Wer weiss, wie viel er wert ist, kann und muss verhandeln. Skrupel? Bloss nicht! Denn obschon viele Vorgesetzte so tun als ob: Sie bezahlen das Gehalt nicht aus der eigenen Tasche.

Die Zeiten sind für Lohngespräche zwar allgemein ungünstig und umso ungünstiger, je tiefer ein Unternehmen in der Krise steckt. Daher braucht, wer mehr will, schlagende Argumente, muss benennen können, was er dem Unternehmen gebracht hat, und sich im Klaren sein, was er künftig zu bieten haben wird. Und: Wenn der Geldhahn zugedreht ist, ist Kreativität gefragt. «Warum statt Geld nicht etwas vorschlagen, was Geldwert hat», empfiehlt Roger Rytz, «etwa zwei Wochen für die Weiterbildung, ohne dass die Zeit von den Ferien abgezogen wird?» Oder Zeit für Fachkongresse. Oder einen Geschäftswagen. Oder ...?
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