Am liebsten hört er laute Rockmusik beim Malen. Wenn Wolfgang Beltracchi in seinem Atelier im luzernischen Meggen den Pinsel schwingt, röhrt die Gitarre von Jimi Hendrix. Die Musik von Deep Purple beschallt den Raum. Zuweilen hallt auch ein Reggae-Song von Bob Marley aus der dreissig Jahre alten Musikanlage. Marke: Bang & Olufsen.
Seit knapp über einem Jahr wohnt und arbeitet der 67-Jährige zusammen mit seiner Frau Helene am Vierwaldstättersee. Beltracchi hat sich in einem alten Jugendstil-Tanzsaal hinter dem Gasthaus Kreuz eingemietet. An der Tür hängt eine Leinwand. Mit rotem Edding steht auf weissem Grund: «Bitte nicht bei der Arbeit stören. Danke.»
Bevor er sich in der Schweiz niederliess, hatte Beltracchi eine Haftstrafe in Deutschland verbüsst. Über vierzig Jahre lang hat er Bilder im Stil der grossen Meister gemalt und deren Unterschriften gefälscht. Laut eigenen Angaben hat er so knapp 300 Fälschungen in den Kunstmarkt eingeschleust und dafür eine Millionensumme kassiert. Die deutsche Justiz hat ihn zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Sein Schaffen hat ihm viele Übernamen eingetragen. Die Zeitungen sprechen vom «Wolf im Kunstmarkt», vom «bekifften Candide in der verrücktesten aller Kunstwelten» oder vom «Jahrhundertfälscher». Galeristen und Kunstexperten bezeichnen ihn als «diabolischen» Künstler oder «Paganini der Malerei». Sam Keller, der Museumsdirektor der Fondation Beyeler in Basel, sprach von einem «talentierten Pinsler, mehr nicht». Und eine Berner Kulturgrösse, so erzählt Beltracchi, habe ihm auch schon vorgeworfen, ein «Mörder» zu sein.
Dabei ist der im deutschen Rheinland aufgewachsene Beltracchi ein umgänglicher Mensch. «Wolfgang», stellt er sich vor. Kein Dünkel, obschon er von sich behauptet, der Beste seines Fachs zu sein. Er trägt ein rosa Shirt mit Totenkopfmotiv. Dazu eine rote Hose. Auf dem Kopf einen Strohhut. Das blonde Haar ist leicht angegraut und lang.
Als Junge sah er aus wie ein Albino. Andere Kinder haben ihn wegen seines Äusseren und seiner Introvertiertheit gemieden. Er hatte Albträume und fürchtete sich vor tödlichen Krankheiten. Bei seinem Vater, einem Kirchenmaler, lernte er den Umgang mit Zeichenkohle, Rötelstiften, Kreide und Wasserfarbe. Beltracchi entwickelte ein Faible für Winterlandschaften. Seinen ersten Picasso malte er mit 14. Kurz darauf flog er vom Gymnasium, weil er Aktzeichnungen an seine Mitschüler verkauft hatte. Besonders begehrt waren Werke im Stil von Klimt und Courbet. «Rembrandt lief nicht», so Beltracchi.
Seine Frau lernte er erst Anfang der 1990er Jahre kennen. Davor tingelte er fast zwei Jahrzehnte wie ein «psychedelisches Karnickel durch Europa», wie Beltracchi in seiner Autobiografie schreibt. Zehn Jahre lang dröhnte er sich mit LSD zu, monatelang war er benebelt, ein imaginärer Königspudel verfolgte ihn und wenn er blank war, bezahlte er den «vor Geilheit vibrierenden» Hotelier auch mal mit einer Aktzeichnung seiner Geliebten. Sein Schaffen bezeichnete er einst als «Terror», den Kunstmarkt als «Schmierentheater».
Seiner Frau offenbarte Beltracchi beim Kuchenessen die Fälscher-Existenz. Die beiden waren kaum eine Woche zusammen, da zeigte er auf ein Bild im Stil des kubistischen Malers Marcoussis. «Ein Replikat?», fragte sie. «Du hast es kopiert?» «Nein, hab ich nicht», antwortete er. «Marcoussis hat es nie gemalt. Ich habe es gemalt. Aber die Expertin sagt, Marcoussis habe es gemalt.» Helene sah darüber hinweg. «Seine Kühnheit faszinierte mich», sagt sie.
Für ihre Rolle als Komplizin kassierte sie eine Haftstrafe von vier Jahren. Sie fühlt sich heute befreiter als vorher, weil Schluss ist mit der Heimlichtuerei. Beltracchi malte seine Bilder jeweils in der Nacht. Seine beiden Kinder wussten bis zur Verhaftung nichts vom fälschenden Vater. Beltracchis Sohn aus einer früheren Beziehung ist Lehrer. Die gemeinsame Tochter von Helene und Wolfgang hat im Juli die Kunstakademie in London beendet. Für die Abschlussfeier ist das Ehepaar Beltracchi nach London geflogen. Auf dem Plan war ein Besuch der National Gallery.
Wolfgang Beltracchi
- Der Künstler: Die eigenen Werke tragen eine martialische Handschrift. Typisches Motiv ist der Engelssturz. Flügel werden mit Baumscheren abgehackt. Oft arbeitet er dabei mit Blattgold und auf grossem Format.
- Der Fälscher: Besonders gern kopierte er die Handschrift von Expressionisten. 1988 sah er zum ersten Mal eines seiner Werke (einen Molzahn) im Museum hängen. Es gehörte der Witwe des Malers. Sie zahlte seinerzeit 60 000 Deutsche Mark dafür. Eine chemische Analyse eines vermeintlichen Campendonks überführte ihn schliesslich. Es war das falsche Weiss.
In den europäischen Museen sind die Beltracchis zuweilen auch schon selbst eine Attraktion. Während der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler kam es dazu, dass ein Museumsangestellter auf die beiden zuging und an Wolfgang gewandt sagte, es sei ihm eine Ehre, Beltracchi persönlich begrüssen zu dürfen. Die Antwort des Meisterfälschers kommt rheinisch trocken: «Passen Sie auf, junger Mann. Ich weiss nicht, wie Ihr Chef darüber denkt.»
300 Euro Rente kassiert Beltracchi vom deutschen Staat. Das reicht nicht einmal für die Miete des Tanzsaals in Meggen. Sein künstlerisches Schaffen ist weitaus einträglicher. Ein Porträt aus seiner Hand kostet knapp 80 000 Franken. Ein grosses Gemälde schon mal eine Viertelmillion. Und wenn er wollte, könnte er die Rechte an seinem Leben für eine siebenstellige Summe verkaufen. Anfragen aus Hollywood und von Schweizer Produktionsfirmen waren schon auf dem Tisch. Beltracchi hat abgelehnt, wie er Ende der 1970er Jahre einst das Angebot eines Münchner Galeristen in den Wind schlug, der ihm «regelrecht nachstellte», wie es der Meisterfälscher formuliert.
«Meine Freiheit war mir wichtiger», sagt Beltracchi über die Absage seinerzeit. Und irgendwie gilt das auch für heute. Statt die Millionen einzusacken und den Palazzo in Venedig zu kaufen, von dem er vor der Verhaftung träumte, will er sich als Künstler etablieren. Er arbeitet am Kunstprojekt «Kairos», das im Herbst Premiere feiert. Beltracchi kreiert dafür rund zwei Dutzend Bilder. Sein Schaffen deckt 2000 Jahre europäischer Kunstgeschichte ab. Er malt in der Handschrift von van Gogh, Monet und anderen grossen Meistern, signiert aber mit seinem eigenen Namen. Alles legal. Auf einer Holztafel malt er eine Szene aus dem Lukas-Evangelium – die Dämonenaustreibung von Maria Magdalena – im Stil der Renaissance. Das Holz stammt von einem Schrank aus dem 18. Jahrhundert. «Früher hätte ich dafür einen Schrank aus dem 15. Jahrhundert nehmen müssen», sagt Beltracchi. Er grinst schalkhaft.
Religiöse Motive begleiten den Maler schon sein ganzes Leben. Beltracchi spürt eine starke Verbindung zur mittelalterlich-religiösen Malerei. «Ich bin unter Engeln aus Gips und Holz aufgewachsen», sagt er. Und obschon der Wahlschweizer das Christentum als 2000 Jahre dauerndes «Theaterstück» bezeichnet hat, ist er immer noch Mitglied der katholischen Kirche. Er verhandelt derzeit sogar mit einer Zürcher Gemeinde über das Bemalen eines Gotteshauses. Das wäre eine «Wahnsinnsarbeit», sagt er. Es würde ein Jahr in Anspruch nehmen.
Als Motiv ausgesucht hat Beltracchi sich die Szene der Ankunft der Arche Noah. Bunt, gross und hell soll das Werk werden. «Ich will nichts Dunkles und Bedrohliches malen», so der Meisterfälscher. «Ich male nur etwas, wenn es Freude und Hoffnung vermittelt.»