BILANZ: Sir Martin, die Unternehmensberatung Accenture hat ihre Werbespots mit dem Golfspieler Tiger Woods storniert. Wie stark haben die Enthüllungen über die Affären des Sportlers die Marke Tiger Woods beschädigt?

Martin Sorrell: Einige der Firmen, mit denen er Werbeverträge hat, haben klargemacht, dass sie über die Vorfälle nicht besonders glücklich sind. Zweifellos hat die Marke Tiger Woods einen gewissen Schaden erlitten. Es wird interessant sein zu beobachten, ob er sich davon erholen kann.

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Wie geht es WPP?

Ich bin jetzt rund 33 Jahre im Geschäft und kann mich nicht erinnern, dass die Verhältnisse jemals so schwierig waren wie heute. 2009 war brutal! Bei WPP ging der Umsatz in den ersten drei Quartalen um rund acht Prozent zurück. Ich rechne auch im neuen Jahr nicht mit einer entscheidenden Besserung der Lage.

Womit rechnen Sie für die Werbebranche insgesamt?

Sie steht weiter unter enormem Druck. Die meisten Kunden in den USA und Westeuropa sparen. Metro, Lidl, Wal-Mart, Tesco, Carrefour, alle diese Detailhandelsriesen üben Druck auf die Hersteller niedrigpreisiger Massengüter aus. Ich glaube, dass das auch 2010 so sein wird. Daher bleibt die Lage sehr schwierig.

Was bleibt den Agenturen in dieser Situation zu tun?

Es wird weitere Fusionen und Übernahmen geben. Ich behaupte ja schon seit drei Jahren, dass Havas den Rivalen Aegis erwerben wird. 2010 wird es so weit sein!

Woher wird das Wachstum kommen, wenn es bei WPP wieder aufwärtsgeht?

Sehr verkürzt gesagt: aus China und aus dem Internet. Wenn die chinesische Wirtschaft um acht Prozent wächst, legen die Werbeumsätze um das Doppelte zu, also um etwa 15 Prozent. Rein geografisch gesehen, zeigt Asien mit Ausnahme Japans und Australiens ein positives Wachstum, ebenso Lateinamerika, Afrika, der Nahe Osten, Zentral- und Osteuropa. Das nächste Jahrzehnt wird das Jahrzehnt Brasiliens sein. Wir haben in Lateinamerika einen Umsatz von rund einer Milliarde Dollar im Jahr – rund die Hälfte entfällt auf Brasilien. Auch Russland läuft gut. In Afrika und Nahost wird es für uns interessante Möglichkeiten geben.

Welche Regionen sind schwächer?

Westeuropa und dort vor allem Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Spanien. Die USA erholen sich und werden 2010 wieder besser abschneiden. WPP hat es sich zum Ziel gesetzt, ein Drittel des Umsatzes in den Schwellenländern zu erzielen, im Augenblick sind es rund 27 Prozent.

Wann hoffen Sie am Ziel zu sein?

Im Moment wächst der Umsatzanteil aus den Schwellenländern um rund ein Prozent im Jahr – in sechs Jahren wären wir dann bei einem Drittel. Derzeit glaube ich allerdings, dass die digitalen Medien, die im Moment etwa ein Viertel zu unserem Gesamtumsatz beitragen und derzeit ebenfalls um etwa ein Prozent im Jahr zulegen, schneller wachsen könnten.

Warum?

Umfragen zeigen, dass die Konsumenten schon mindestens 20 Prozent ihrer Zeit im Internet verbringen. Derzeit geben sie aber nur bis zu 13 Prozent ihrer Budgets online aus. Dieser Wert dürfte auf 20 Prozent steigen.

Sie haben mal gesagt, das elektronische Lesegerät Kindle habe ein riesiges Potenzial für Werbung, unklar sei nur der Zeithorizont. Was schätzen Sie – wie lange wird es dauern?

Ich weiss es nicht. Ich liebe meinen Kindle zwar nicht ganz so sehr wie meinen Blackberry, aber fast. Man kann E-Mails empfangen und senden, Zeitungen herunterladen, irgendwann wird das auch in Farbe möglich sein, man wird ihn einrollen und die elektronischen Seiten umblättern können. Aber alles das braucht eine Weile.

Wie kann die Werbeindustrie die Konsumenten künftig besser erreichen?

Das iPhone, Smartphones, die neue Google-Android-Software und das neue Google-Telefon – all das verändert das Verhalten der Menschen. In Deutschland beispielsweise hatten wir eine phänomenal erfolgreiche Kampagne, bei der Kunden per SMS darauf hingewiesen wurden, dass es schneite und es an der Zeit war, sich Winterreifen zu besorgen. Aber alles in allem ist es enttäuschend, dass die mobile Werbung bisher noch keinen echten Durchbruch erzielt hat.

Welchen Stellenwert hat das mobile Internet in den Schwellenländern?

In China, Indien und Brasilien haben die traditionellen Medien noch eine starke Position, man kann sie nicht ignorieren. Aber viele Verbraucher gehen mobil und nicht über den PC ins Internet. 700 Millionen Chinesen haben ein Handy, jeden Monat kommen acht Millionen neue Handynutzer hinzu. Die Firma China Mobile allein hat 500 Millionen Kunden!

Was bringen der Kurznachrichtendienst Twitter und die sozialen Netzwerke MySpace und Facebook langfristig für die Werbung?

Warten wir es ab. Sie sind jetzt sehr stark in Mode, aber das kann sich schnell wieder ändern. Vor drei bis vier Jahren sprach jeder über Second Life. Das war die grosse Sache – aber jetzt erscheint diese zweite Welt eigentlich nur noch obskur.

Also alles nur Übertreibung?

Die einzig wirklich wichtige Konstante ist Google. Wir haben ein ambivalentes Verhältnis zu Google. Wir sind Freund und Gegner, friends and enemies, wie man auf Englisch sagt, oder «Frenemies», wie ich sage. Wir sind einerseits der grösste Kunde von Google – andererseits macht es uns Sorge, dass Google-Chef Eric Schmidt erklärt hat, dass Google selbst direkt in das Werbegeschäft vorstossen wolle, und schon einige Initiativen startete.

Wie beurteilen Sie den Konflikt zwischen Google und den Printmedien wie Tageszeitungen oder Magazinen?

Die traditionellen Medien haben hier nur eine Möglichkeit: Sie müssen sich ihre
Inhalte vom Verbraucher bezahlen lassen, sonst wird es tödlich für sie enden. Ich sage das schon seit Jahren, aber keiner hört uns zu. Der australische Medientycoon Rupert Murdoch, dem zum Beispiel das «Wall Street Journal» gehört, hat jetzt Druck in diese Richtung gemacht, und Google hat in begrenztem Masse nachgegeben.

Was prophezeien Sie vor diesem Hintergrund den traditionellen Medien?

Ich erwarte drei grosse Entwicklungen. Erstens wird man für Inhalte, ob TV oder Druckerzeugnisse, bezahlen müssen. Zweitens: Es wird mehr Zusammenschlüsse und Übernahmen geben. Drittens: Regierungen werden entscheiden müssen, ob es im Interesse der Allgemeinheit ist, dass bestimmte Medien wie zum Beispiel Lokalzeitungen öffentliche Subventionen erhalten. Immerhin gibt es bereits Wohltätigkeitsorganisationen, die das tun und zum Beispiel lokale Medien finanzieren. Bei den Printmedien rechne ich mit weiteren Pleiten. Aber letztlich ist es eine Frage der Definition. Man muss einfach aufhören, in den traditionellen Kategorien zu denken.

Sir Martin, 2010 feiert WPP den 25.  Geburtstag, Sie selbst werden am Valentinstag 65 Jahre alt. Wann werden Sie sich mit Ihrem Kindle zur Ruhe setzen?

Ich gehe nicht freiwillig in Rente. Erst dann, wenn man mir sagt: Martin, du hast genug Schaden angerichtet, es ist Zeit zu gehen.

Martin Sorrell (64) ist Gründer und CEO des weltgrössten Werbekonzerns, WPP, mit Sitz in London, zu dem unter anderem die Agenturen Ogilvy & Mather, JWT, Young & Rubicam und Grey Global gehören. Im Jahr 2000 wurde Sorrell von der Queen zum Ritter geschlagen. In der Schweiz ist WPP unter anderem mit Advico Young & Rubicam, JWT+H+F, Ogilvy & Mather, Grey oder Burson-Marsteller vertreten.