Wer nicht Acht gibt, verpasst den Eingang ins Bürogebäude an der Bahnhofstrasse 2 in Zug, idyllisch unter Einkaufsarkaden gelegen, links eine Boutique, rechts eine lang gezogene Cafeteria. Vor der verriegelten Drehtür steht eine Rufsäule mit Kamera. «Zweiter Stock», quäkt es aus dem Lautsprecher.

Das Unternehmen Xstrata belegt gerade mal eine Etage. Allerweltsbüros, mit einem Anstrich ins Protzige; das Sitzungszimmer, durch eine grossflächige Glaswand vom Gang abgetrennt, weiss durch Weite abzuschrecken. Dass hier lediglich zwölf Leute arbeiten sollen, erscheint absurd. Kaum ein Laut ist zu hören, fernab ein leises Telefongespräch, am Empfang etwas Leben in Form eines beinahe lautlos arbeitenden Sekretärs.

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Fast enttäuschend der Blick ins Machtzentrum der weltweit viertgrössten Minengesellschaft, die im vergangenen Jahr mit über 15 000 Mitarbeitern in Südafrika, Spanien, Australien und Amerika einen Umsatz von gegen 5,5 Milliarden Franken erwirtschaftet hat. «Wir operieren mit einer kleinen Zentrale, deren Aufgabe es auch ist, die einzelnen Geschäftseinheiten nicht im Übermass zu kontrollieren.» Michael Lawrence Davis, der sich knapp mit «Mick» vorstellt, lehnt sich nach seinen Worten zurück und betrachtet eingehend seine Fingernägel. Man spürt es fast körperlich: Dem 46-Jährigen ist nicht wohl in seiner Haut. Viel lieber, als mit Journalisten zu reden, würde der massige Xstrata-CEO mit einem seiner Bereichsleiter Probleme besprechen. Oder mal schnell ins südafrikanische Rustenburg oder nach Catamarca in Argentinien fliegen, um vor Ort einen Blick in die Minen zu werfen – was er auch zweimal im Monat tut.

Mick Davis ist ein ausgebuffter Profi im Rohstoffgeschäft. Sein Handwerk lernte er vor allem als Leiter der Kohlensparte sowie als Finanzchef des Bergbaugiganten Billiton. Der gebürtige Südafrikaner nimmt für sich in Anspruch, die 28-Milliarden-Dollar-Fusion von Billiton mit BHP zum zweitgrössten Minenkonzern inszeniert zu haben.

In der Branche jedenfalls hat Davis sich einen Namen gemacht als Experte für Firmenzusammenschlüsse. Hinzu kommt sein Geschick, gewinnschwache Unternehmen in profitable Gewässer zu steuern. Er ist aber auch ein bekennender Verfechter des Shareholder-Value-Gedankens. Es war die Kombination dieser drei Faktoren, die Mick Davis zum Wunschkandidaten machte, als der Xstrata-Verwaltungsrat sich im Jahr 2001 auf die Suche nach einem neuen Leiter für das Schweizer Minenunternehmen begab.

Wandelbar
Der wundersame Weg von der Südelektra zur Xstrata.


Xstrata zählt zu den alteingesessenen Schweizer Unternehmen. Es wurde 1926 von Privatbanken gegründet – nicht als Xstrata, sondern unter dem Namen Südelektra. Zweck des Unternehmens: Finanzierung von Wasserkraftwerken und Stromversorgungsprojekten in Südamerika, besonders in Peru. Der erste Kredit geht an die Lima Light Power & Tramways, weitere folgen.


Die Wirtschaftsdepression der Dreissigerjahre breitet sich auch in Südamerika aus. Der Absturz der Währungen sowie Wertverluste auf den Beteiligungen zwingen Südelektra zweimal zu heftigen Kapitalschnitten. Erst die Fünfzigerjahre bringen den Durchbruch in Form guter Resultate. 20 Jahre später jedoch ist es endgültig vorbei mit Stromgeschäften in Südamerika: Perus Militärregime verstaatlicht die Elektrizitätsgesellschaften. Südelektra mutiert zur Beteiligungsgesellschaft mit Fokus auf Blue Chips.


1990 verkauft die Bankgesellschaft ihr 53-Prozent-Aktienpaket an Südelektra. Käufer ist Marc Rich. Für sein in der Marc Rich Holding zusammengefasstes Rohstoffimperium bildet die kotierte Südelektra das Tor zum Schweizer Kapitalmarkt. Rich will die fondsähnliche Finanzgesellschaft zur industriellen Beteiligungsfima mit Schwergewicht in Rohstoffen und Energie umbauen. Dazu werden der Obligationenbestand sowie alle Aktien bis auf die Blue Chips liquidiert. Die Verlagerung ins Rohstoffgeschäft beginnt 1992 mit dem Kauf einer Beteiligung an einem argentinischen Öl- und Erdgasvorkommen. Es folgen weitere Engagements (Metalle und Kohle).


Zur Jahrtausendwende präsentiert sich die Firma als diversifizierte Rohstoffgruppe. 82 Prozent des Umsatzes stammen aus der Produktion der für Edelstahl verwendeten Metalle Ferrochrom und Vanadium, der Rest aus Forstwirtschaft, Aluminium und Energie. 1999 wurde endgültig mit der Vergangenheit gebrochen und Südelektra in Xstrata umfirmiert. Marc Rich sieht diesem Wandel aus der Ferne zu; Jahre zuvor schon hat er seine Anteile ans Management abgestossen, die Firmengruppe Marc Rich nennt sich nun Glencore International.

Das Aufsichtsgremium wollte frischen Wind ins Unternehmen bringen. Zwar hatte man an der Ertragsentwicklung der aus Südelektra hervorgegangenen Rohstoffgruppe nicht viel auszusetzen (siehe Artikel zum Thema «Wandelbar: Der wundersame Weg von der Südelektra zur Xstrata.»). Dafür haperte es beim Kursverlauf: Die heimischen Anleger nahmen die Aktien des schwergewichtig im Metall- und Mineraliensektor aktiven Unternehmens kaum wahr, die Börsennotizen kamen nicht vom Fleck. Das störte vor allem den Hauptaktionär Glencore. Immerhin hält der führende Rohstoffhändler 40 Prozent an Xstrata.

Mick Davis bezog bei Xstrata Anfang Oktober 2001 sein Büro. Kaum im Amt, entwickelte der studierte Wirtschaftsprüfer eine ungeheure Dynamik – und griff zu ungewöhnlichen Methoden. Davis hatte 1997 die Aktien des damals südafrikanischen Unternehmens Billiton an die Börse in London gebracht und den Titeln damit zu neuem Auftrieb verholfen. Warum sollte diese Taktik nicht nochmals aufgehen? «Seit der Kotierung von Billiton ist London zum globalen Finanzzentrum für die Minenbranche geworden», erinnert sich der Südafrikaner. «Uns war klar: Wenn wir ein Unternehmen mit einer ausreichend kritischen Masse schaffen und dessen Aktien an der Londoner Börse kotieren würden, so sollten auch wir mehr Kapital erhalten für künftiges Wachstum.»

Die «kritische Masse» war schnell gesichtet. Wie es der Zufall wollte, hielt damals ausgerechnet Xstrata-Hauptaktionär Glencore sein äusserst voluminöses Kohlengeschäft feil. Dem führenden Rohstoffhändler kam das Interesse von Xstrata ebenfalls zupass; eineinhalb Jahre zuvor hatte Glencore-Chef Willy Strothotte gegenüber BILANZ erklärt, die australischen Kohlenaktivitäten würden bald am Aktienmarkt versilbert. Dann begann die nicht enden wollende Börsenbaisse, und der Anschlag in New York vom Herbst 2001 machte diesen Plänen endgültig den Garaus.

Manchem Beobachter ist der zeitgerechte Auftritt von Xstrata suspekt. «Die Verflechtung der beiden Firmen ist dubios», meint etwa ein Analyst, der bei einer mittelgrossen Zürcher Bank Xstrata während Jahren beobachtete. Hat Glencore die von ihr faktisch beherrschte Rohstoffgesellschaft gezwungen, ihr Kohlengeschäft zu übernehmen? Die Antwort von Davis fällt energisch aus: «Im Gegenteil, Xstrata ist aktiv geworden. Als wir das Potenzial erkannten, das eine Akquisition dieser Kohlenaktivitäten uns bietet, bin ich zu Glencore gegangen und habe denen einen Kaufvorschlag unterbreitet.»

So kam das bis dahin etwas gar schmalbrüstige Rohstoffunternehmen nur fünf Monate nach Davis’ Amtsantritt für 2,5 Milliarden Dollar zu 26 Kohlenminen in Australien und Südafrika. Zusammen mit dem Riesendeal setzte der Xstrata-Chef gleich noch zum Sprung über den Kanal an. Sein Meisterstreich: Er verschmolz die schweizerische Xstrata mit der neu geschaffenen Xstrata Plc zu einem Unternehmen nach britischem Recht, doch mit Hauptsitz im fiskalisch attraktiven Zug, führte in Grossbritannien eine Kapitalerhöhung durch und verlegte die Hauptkotierung an die Londoner Börse. Der Schweizer Aktienmarkt verkam für das neue Schwergewicht im Rohstoffgeschäft zum Nebenschauplatz.

War die Ertragslage von Xstrata bis zu diesem Zeitpunkt von den Preisschwankungen im Metallmarkt beeinflusst gewesen, trug das Kohlengeschäft zu einem etwas stetigeren Mittelzufluss bei. Während andere Manager einen Einkauf dieser Grössenordnung zuerst einmal hätten verdauen wollen, setzte Davis wenige Monate später zum nächsten Coup an. Diesmal versuchte er sich an der australischen Minengruppe MIM. Und biss sich, zumindest vorderhand, prompt einige Zähne aus. Die hart und aggressiv geführte Übernahmeschlacht lief über mehrere Monate, im Sommer des vergangenen Jahres kam Xstrata für 3,3 Milliarden US-Dollar schliesslich zum Handkuss. Ein Schnäppchen, ist man sich in der Branche einig. «Xstrata hat MIM zum richtigen Zeitpunkt übernommen, als der Kohlenpreis und damit auch die Aktien sehr tief notierten», meint Beat Schaffner, Analyst bei der Neuen Zürcher Bank (NZB).

Seit dem Antritt von Mick Davis hat sich der einstige Nischenplayer im Rohwarengeschäft zur weltweit viertgrössten Minengesellschaft gemausert. Auch wenn der Abstand zu den Big three gross ist, kann sich Xstrata in einzelnen Bereichen durchaus mit der Konkurrenz messen: Das Unternehmen ist weltgrösster Ferrochromproduzent und zweitgrösster Vanadiumhersteller, drittgrösster Kohlenexporteur sowie einer der grössten Raffineure von Zink. Auch ertragsmässig braucht Xstrata den Vergleich nicht zu scheuen. «Sogar im für Minengesellschaften schlechten Jahr 2003 hat Xstrata eine operative Marge von 9,7 Prozent herausgeholt», sagt Beat Schaffner. Davis hatte auch eine gehörige Portion Glück. Kaum war der MIM-Deal unter Dach und Fach, begannen sich die Rohstoffpreise zu erholen. Insbesondere der Kohlenpreis ist seither stark gestiegen, weshalb Xstrata für das laufende Jahr denn auch eine Verdoppelung der Ebit-Marge zugestanden wird. Die Aktien gehören mittlerweile zu den favorisierten Werten unter den in London gehandelten Minentiteln.

Viel Beifall zollen die Analysten der ungewöhnlich schlanken Führungsstruktur. Die 15 324 Beschäftigten der Xstrata werden von gerade mal 27 Personen gelenkt, davon 12 in Zug und 15 in London. Dabei beschränkt man sich in diesen beiden Schaltzentralen aufs Allernötigste wie Cash-Management, Rechnungslegung, Strategie und Kommunikation. «Der Fokus bei unserer Unternehmensphilosophie liegt auf dem Shareholder-Value. Auch bin ich überzeugt, dass eine dezentralisierte Managementstruktur, die den einzelnen Geschäftseinheiten mehr Einfluss verleiht, ebenfalls Mehrwerte kreiert», erläutert Mick Davis die Gründe für das personalarme Topmanagement.

Den Leitern der Bereiche Legierungen, Kohle, Kupfer und Zink, die sich im Zentrum des jeweiligen Rohstoffabbaus befinden, wird grosse Autonomie eingeräumt. «Es macht doch keinen Sinn, dem Chef der Kohlenaktivitäten sagen zu wollen, wie er sein Geschäft zu führen habe. Der weiss das viel besser als wir in Zug», so Davis. Nur sei bei dieser Art von Management die Qualität der Bereichsleiter ausschlaggebend – ein Punkt, dem Davis grösste Aufmerksamkeit schenkt. Wie auch der Kommunikation. Davis ist sich bewusst, dass das Führungsmodell «zusammenbrechen würde, wenn die Kommunikation nicht richtig funktioniert».

Einmal im Monat treffen sich die führenden Manager mit den Bereichsleitern. Sonst sind Videokonferenzen ein wichtiges Kommunikationsmittel. Der CEO setzt lieber auf E-Mails und Telefon. Mick Davis selbst ist hin und her gerissen zwischen London und Zug; während dreier Tage in der Woche ist er im Städtchen am Zugersee anzutreffen, die restlichen zwei Tage in der Themsestadt. Die Wochenenden verbringt der 46-Jährige in London bei seiner Frau, einer Anwältin, sowie seinen drei Kindern.

Auf die Verbindung zum Rohstoffhändler Glencore angesprochen, wird der Xstrata-Chef fast sauertöpfisch. Zu gut kennt er das Misstrauen, das dieser Geschäftsbeziehung entgegengebracht wird. Xstrata gehört seit 1990 in den Einflussbereich des mächtigen Rohstoffhändlers. Die 53-Prozent-Beteiligung ist inzwischen auf 40 Prozent zusammengeschmolzen, die Glencore direkt und indirekt über die Credit Suisse First Boston hält. Als wichtigster Aktionär werde Glencore bei wichtigen Transaktionen konsultiert, meint Davis unter mehrmaliger Verlagerung seines nicht unbeträchtlichen Gewichts. Ins Tagesgeschäft jedoch sei der Aktionär nicht involviert.

Jahrelang hat Glencore einen Grossteil der Xstrata-Rohstoffe vermarktet. «Das war reine Arbeitsteilung. Wir machten die Gewinne bei der Produktion, Glencore im Handel», erinnert sich der ehemalige Xstrata-CEO Daniel J. Sauter. Heute zählt Xstrata vor allem auf das erstklassige Netzwerk der Partnerfirma. Mick Davis: «Glencore liefert uns ihr Know-how über die Märkte, doch wir verkaufen unsere Rohstoffe selbst.» Dieses Wissen hat einen hohen Preis: Im vergangenen Jahr musste Xstrata für Agenten- und Marketinggebühren 25 Millionen Dollar überweisen.

Überhaupt ist für Glencore die Rechnung aufgegangen. Nicht nur vermochte der Rohstoffhändler seine Kohlenaktivitäten zu einem guten Preis abzustossen und damit gebundene Mittel im Milliardenumfang freizuschaufeln. Auch hat Davis seinen Auftrag, den Aktienkurs in luftigere Höhen zu führen, erfüllt. «Dank cleveren Zukäufen hat Xstrata zusätzlich zur Diversifikation Marktmacht gewonnen und wird inzwischen an der Börse auch wahrgenommen», urteilt Chris Burger von der Bank Vontobel. Und ob Xstrata wahrgenommen wird! Stand die Börsenkapitalisierung vor drei Jahren noch auf 1,7 Milliarden Franken, hat sich dieser Wert bis heute fast versechsfacht. Glencore konnte auf ihrer Beteiligung eine Wertsteigerung von 3,1 Milliarden Franken verbuchen.

Ist Mick Davis’ Heisshunger auf Grösse gestillt? Zum ersten Mal huscht ein Lächeln über das breite Gesicht des Südafrikaners. Grösse allein sei nicht erstrebenswert, sondern einzig das Schaffen von Mehrwert. Und er fügt an: «Wenn wir ein attraktives Unternehmen ausmachen, das zu uns passt und nicht allzu teuer ist, werden wir es kaufen.» Glencore wird sich nicht dagegen sträuben.