Von allen Schweizer Detailhändlern ist Coop am erfolgreichsten auf Youtube – zumindest gemessen an den Klickzahlen. Der 2014er-Coop-Naturaplan-Song des kanadischen Schwesternduos Lennon und Maisy wurde mehr als fünf Millionen Mal angeschaut, fast 50'000 Menschen haben den Youtube-Like-Button gedrückt.
Damit ist das Lied, das im Februar 2014 publiziert wurde, das erfolgreichste Youtube-Video von Coop. Es ist auch das einzige, das die Millionengrenze geknackt hat. Knapp darunter, bei rund 900'000 Views, steht der Coop-Bio-Song «I Love» der fiktiven Band Sons of Nature.
Migros weit dahinter
Die Migros kann von diesen Zahlen nur träumen. Das erfolgreichste Video der Nummer eins im Detailhandel wurde rund 625'000 Mal angeschaut. Der Weihnachtssong «Ensemble», der mit mehr als 40'000 Downloads Doppelplatin-Status erreicht hat, kommt nur auf 565'000 Views aus Youtube.
Aldi Schweiz und Lidl Schweiz können Coop die Youtube-Krone auch nicht entreissen. Kein einziges Video der beiden Unternehmen schafft mehr als 100'000 Klicks.
Klicks kaufen alle
Dieser Erfolg ist aber teuer erkauft. Das vermutet Nelly Riggenbach von der Videoproduktionsfirma Chimney. Coop hat ihr zufolge Geld dafür bezahlt, dass Youtube und die Mutter-Firma Google das Video prominent listen, um die Klickzahlen in die Höhe zu treiben. Das sei eine gängige Strategie. «Alle machen das», sagt Riggenbach.
Ein Blick in die Klickstatistik erhärtet die Annahme. Unter jedem Video gibt es drei Menüpunkte: «Hinzufügen», «Teilen» und «Mehr». Unter «Mehr» wird der Punkt «Statistik» geführt. Firmen können dieses Feature eigentlich sperren lassen, sagt Riggenbach.
Indizien zeigen: Coop hilft nach
Coop hat das bei einigen Videos auch gemacht, darunter den beiden Bio-Songs. Bei manchen Videos kann man aber einen Blick in die Klickstatistik werfen. Der Werbeclip zu den «Abenteuer Natur»-Sammelkarten etwa wurde 676'000 Mal angeschaut. Alle Klicks stammen aus der Zeit von April 2015 bis Mai 2015 – exakt der Zeitraum, als die Karten im Umlauf waren. Danach geht die Klickrate wieder gegen Null. «Das ist ein klares Zeichen, dass Coop die Werbung finanziell gepusht hat», sagt Nelly Riggenbach.
Ein zweites Indiz: Die Zahl der Abonnenten des Coop-Werbung-Kanals ist relativ gering. Gerade einmal 1700 Personen haben ein Coop-Youtube-Abo. Die Migros kommt alleine in der Deutschschweiz auf mehr als das Dreifache, zusammen mit dem französischen und dem italienischen Kanal sogar fast auf das Vierfache. Trotzdem haben die Coop-Videos im Schnitt am meisten Zuschauer, nämlich über 26'000. Diese Summe erreicht die Migros knapp mit allen drei Sprachkanälen, wie eine Auswertung von Chimney zeigt.
Hat sich Coop also die Youtube-Krone erkauft? «Ja», sagt Riggenbach. «Nein», sagt Coop. Der Detailhändler gibt zwar zu, seine Kampagnen zu pushen, sagt aber auch klar, dass keine Klickfarmen in Bangladesch, den Philippinen oder sonstwo involviert sind. Zu den Werbeausgaben äussert sich Coop nicht, zu den Mitbewerben auch nicht. Pressesprecher Ramon Gander sagt einzig: «Unsere Youtube-Strategie ist in unsere gesamte Mediastrategie eingebettet. Wir nutzen Youtube insbesondere im Rahmen grösserer Kampagnen.»
«Der simple Klick-Grössen-Vergleich greife ohnehin zu kurz», sagt die Migros-Sprecherin Martina Bosshard. Die Laufzeit spiele eine Rolle. Ausserdem stelle sich die Frage, ob ein Video ausschliesslich in der Schweiz gesehen wurde. Der Coop-Naturaplan-Song hat vermutlich auch der Interpreten und der Sprache wegen einige Klicks aus Kanada und anderen Ländern abgestaubt. Das ist aber nicht die Zielgruppe der Migros.
Migros sieht Youtube als Videothek
Die Klickzahlen der Konkurrenz sorgen weder für Neid noch für Besorgnis bei der Migros. Man ist zufrieden mit dem Erreichten. Youtube ist dabei in erster Linie eine Videothek – oder um es in den Worten der Migros-Sprecherin zu sagen: «Youtube bietet die Möglichkeit, Videos einfach auf eigenen Kanälen einzubinden. Das macht Youtube zu einem wichtigen digitalen Kanal für die integrierte Kommunikation.» Ähnlich sieht es auch Coop. Für die Nummer zwei im Detailhandel ist Youtube ein Archiv für TV-Spots.
«Das ist zu wenig», sagt Expertin Riggenbach. Sie fällt ein vernichtendes Urteil über die ganze Branche: «Alle Schweizer Detailhändler behandeln Youtube stiefmütterlich.» In den Kommunikationsabteilungen ignoriere man das Potenzial allzu oft. Dabei wurde das Video-Portal im Februar zehn Jahre alt. Es hat sich mittlerweile zur zweitwichtigsten Suchmaschine der Welt gemausert. «Youtube ist hier, um zu bleiben», sagt Riggenbach. Youtube werde sogar Facebook überleben.
Vorbild müsste die UBS sein
Best-Practice-Beispiel sei die UBS. Die Grossbank vermeide die gängigsten Fehler. Zunächst einmal herrsche Ordnung: Während die Migros und Coop viele kleine Youtube-Kanäle betreiben, vereint der grösste Vermögensverwalter des Landes alles unter einem Dach. Das ist nicht nur übersichtlich, sondern sorgt auch dafür, dass sich die Firmenauftritte nicht gegenseitig kannibalisieren. Coop ist hier das Negativbeispiel: Der Naturaplan-Kanal hat vier Mal mehr Abonnenten als der eigentliche Coop-Werbung-Account. Migros schlägt sich aber auch nicht besser: Kulturprozent, Magazin, Freizeit und andere Subkanäle sorgen für einen Wirrwarr.
Die UBS habe überdies begriffen, wie man einen Text suchmaschinenoptimiert schreibe. Die ersten 45 Zeichen seien entscheidend. «Hier müssen Firmen Mehrwert liefern, wenn sie wollen, dass ihr Video über Youtube gefunden wird», sagt Riggenbach. Wörter wie «Kochen», «Fitness» oder «Basteln» werden wesentlich öfter gesucht als Firmennamen. Nicht zuletzt tritt die UBS einheitlich auf: Schriftart, Titel, Logo – das alles ist nicht zufällig, sondern folgt klaren Regeln. Das überzeugt die Expertin.