BILANZ: Herr Mersch, Sie sind nicht nur Präsident der luxemburgischen Nationalbank, sondern nach dreizehn Jahren auch eines der drei dienstältesten Mitglieder im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie stabil ist das europäische Bankensystem im Jahr drei nach der Krise?
Yves Mersch: Genaueres werden wir Ende Juni wissen, wenn die Ergebnisse der neuen Stresstests veröffentlicht werden. Fest steht aber jetzt schon: Die Bankenwelt ist viel widerstandfähiger geworden durch die Rekapitalisierungen der jüngsten Zeit. Eine Krise könnte sie heute viel besser verarbeiten.
Wenn es in den drei Problemstaaten Griechenland, Irland und Portugal zu Umschuldungen käme, müssten die europäischen Banken Milliardenbeträge abschreiben. Sind sie dafür fit genug?
Umschuldungen könnten ein herber Schlag für manche Banken sein, zumal Ansteckungsgefahr droht. Allerdings halte ich dieses Szenario für höchst unwahrscheinlich.
Wie weit erhöhen die neuen Basel-III-Richtlinien die Stabilität?
Die Banken haben von sich aus schon sehr viel gemacht, obwohl die neuen Regeln erst 2019 in Kraft treten. Der Marktdruck ist gross, um die Anforderungen schnellstmöglich zu erfüllen. Das sehen wir etwa bei den Kapital- und Liquiditätsvorschriften.
Gehen die neuen Regeln weit genug?
Sie könnten sogar zu weit gehen. Wenn auf globalem Niveau eine Antwort gegeben wird, ist diese manchmal undifferenziert auf der nationalen Ebene. Dadurch können bestimmte Geschäftsmodelle, die mit der Krise gar nichts zu tun hatten, Probleme bekommen. Etwa die Anlagen in Investmentfonds: Sie sind genauso sicher wie die Einlagen im Retailgeschäft, werden aber nicht genauso behandelt. Wir müssen aufpassen, dass wir die europäischen Banken nicht härter bestrafen als andere. Das europäische Universalbankenmodell hat ja die Krise nicht ausgelöst.
In der Schweiz will man deutlich schärfere Regeln als im Rest der Welt: Statt 10,5 Prozent Eigenkapital gemäss den neuen Basel-III-Regeln sollen die Grossbanken 19 Prozent halten. Der Finanzsektor ist in Luxemburg sogar noch wichtiger als in der Schweiz. Wollen Sie auch schärfere Regeln?
Unser Finanzsektor ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Doch wir vermeiden Alleingänge und setzen grundsätzlich auf europäische Regeln. Die sind aber noch nicht festgeschrieben.
Der EU reichen die von Basel III verlangten 10,5 Prozent Eigenkapital. Geht Luxemburg also nicht darüber hinaus?
Wenn die EU sich für diese Höhe entscheidet, werden wir sie wohl übernehmen. Die EU-Regeln sollten bis Sommer oder Frühherbst stehen. Dann müssen wir noch sehen, dass bei der Umsetzung die europäischen Banken nicht benachteiligt werden. Bei uns betreut das Finanzministerium die Regulierungsfragen. Ich rechne damit, dass wir abwarten, wie sich die anderen Länder positionieren. Es ist gut möglich, dass die EU eine Klausel einsetzt, dass wir die neuen Basel-III-Regeln erst dann umsetzen, wenn die USA die neuen Regeln auch übernehmen.
Das ist aber gefährlich. Die Amerikaner haben ja nicht einmal Basel II anerkannt.
Wir reden immer von gleichen Wettbewerbsbedingungen auf globalem Niveau. Diese müssen auch bei der Umsetzung gelten. Leider hapert es da oft.
Aber die Schweiz marschiert vorweg.
Sie ist ja nicht Mitglied der EU. Wir müssen in der Europäischen Union gemeinsam handeln. Und wir dürfen keine Wettbewerbsnachteile für unsere Banken schaffen. Deshalb warten wir erst mal ab.
Auf einem anderen Gebiet handeln Sie jedoch gemeinsam mit der Schweiz. Auch Luxemburg verteidigt das Bankgeheimnis gegen die EU. Ihr Land hat den von Brüssel geforderten automatischen Informationsaustausch bisher abwenden können.
Als kleines Land ist es schwierig, auf Dauer gegen den Zeitgeist anzukämpfen. Wir wissen aber auch aus der Geschichte, dass es nie einen Bankenplatz gab, der den Respekt vor der Privatsphäre nicht sehr hoch bewertete.
Wie wichtig ist das Bankgeheimnis für Ihren Finanzplatz?
Wir sind etwas weniger abhängig von der Vermögensverwaltung für Privatkunden als die Schweiz. Aber wir sollten uns ohnehin nichts vormachen. Der neue Wohlstand kommt nicht aus Europa, sondern stammt von anderen Kontinenten. Diese werden sich jedoch nicht am automatischen Informationsaustausch beteiligen. Es kann deshalb nicht in unserem Interesse sein, diese Kunden von vornherein kopfscheu zu machen. Diese neuen vermögenden Privatkunden wollen diversifizieren, sie wollen ihre Gelder auf mehrere Regionen verteilen. Wenn wir hier in Europa eine zu scharfe Gesetzgebung einführen, schwächen wir uns damit nur selbst.
Dann ist Brüssel also auf dem falschen Weg?
Jedenfalls wollen wir in Luxemburg nicht den gläsernen Bürger.
Die EU aber schon.
Dass man aus Abschreckungsgründen Steuersünder mit Handschellen vorführte, würden wir nicht gut finden.
Wie wichtig ist die Schweiz bei Ihrem Kampf für das Bankgeheimnis?
Die Schweiz hat Wertvorstellungen, die wir grösstenteils teilen. Ich bin froh, dass wir als eines der kleinsten Länder Europas nicht allein dastehen.
Wäre Ihr Kampf ohne die Schweiz nicht sogar aussichtslos?
Ja, wir sind hier alliiert. Wir haben viel gemeinsam mit der Schweiz.
Dennoch wird der Druck der EU zur Einführung des automatischen Informationsaustauschs steigen.
Wir spüren das besonders, wenn Staaten ohne eigene ausgeprägte Finanzplatztradition die Präsidentschaft innehaben. Sie sind in dieser Frage offensiver.
Es muss Sie erleichtert haben, dass die Schweiz statt des automatischen Informationsaustauschs die Abgeltungssteuer durchsetzen konnte.
Die Abgeltungssteuer ist der einfachere Weg, und vor allem bleibt die Privatsphäre erhalten.
Die Schweiz verhandelt beim Steuerdossier lieber mit Deutschland und England statt der gesamten EU. Ein richtiger Weg?
Es ist sicher der effektivere Weg. Wenn man sich einigt, kann die EU nicht mehr dagegen sein.
Euro-Veteran
Yves Mersch (61) leitet seit 1998 die Luxemburger Zentralbank und ist Mitglied des EZB-Rats, des wichtigsten Beschlussgremiums der Europäischen Zentralbank. Der Finanzplatz Luxemburg erwirtschaftet 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die Bilanzsummen der luxemburgischen Banken sind zwanzigmal, diejenigen der fünf grössten Banken sechsmal so gross wie das BIP.