Die Schweizer hängen an ihrem Bargeld – eigentlich. Aber die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass seit einigen Monaten in Läden und Restaurants und selbst in Ämtern fast ausschliesslich mit Karte gezahlt wird. Dadurch werden auch die Bancomaten weniger genutzt.
Bereits im vergangenen Jahr gingen die Auszahlungen laut der Finanzdienstleisterin SIX, welche für die meisten Geldautomaten hierzulande die Plattform beziehungsweise die Benutzeroberfläche zur Verfügung stellt, um 10 bis 15 Prozent zurück.
Der «Shutdown» im vergangenen Frühling habe zu einer weiteren Beschleunigung des Rückgangs geführt, sagt SIX-Sprecher Julian Chan auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. «Für 2020 erwarten wir einen weiteren Rückgang der Auszahlungen um 20 bis 25 Prozent.»
Hohe Kosten
«Das Betreiben von Bancomaten ist mit ziemlich hohen Kosten verbunden», sagt Andreas Dietrich, Professor für Finanzdienstleistungen an der Hochschule Luzern. Ihm zufolge kostet ein Gerät - abhängig von den verschiedenen Funktionen - einmalig inklusive dem Einbau rund 40'000 bis 90'000 Franken und danach - abhängig von der Standortmiete und der Videoüberwachung - jährlich rund 15'000 bis 40'000 Franken Unterhalt.
Wenn also ein Bancomat nicht mehr viel genutzt wird, ab wann lohnt sich der Betrieb nicht mehr? Wichtig sei vor allem die Anzahl an Transaktionen, also wie sich das Kundenverhalten verändere, sagt Dietrich.
Die Entscheidung lässt sich aber nicht allein darauf reduzieren, wie oft Geld abgehoben oder eingezahlt wird. Denn die Beweggründe für einen Automaten können bei den verschiedenen Instituten stark auseinandergehen: Manche Standorte dienen zum Beispiel primär Prestige- oder Marketingzwecken; die Wirtschaftlichkeit ist dann eher sekundär.
Ein Bancomat für mehrere Banken?
Dennoch müssen sich die Banken Gedanken darüber machen, welche Bancomaten allenfalls verschwinden sollten. Die Zahl der Bargeldabhebungen an Geldautomaten habe sich nämlich bereits in den vergangenen Jahren stark reduziert, sagt Dietrich.
Nach einem stetigen Anstieg und einem Rekordjahr 2015 hätten die Transaktionen in den vergangenen fünf Jahren stark abgenommen. Und seit Corona habe sich der Rückgang der Bargeldbezüge eben beschleunigt.
Banken wollen Kosten sparen
Man könne jetzt deswegen zwar noch keinen bedeutenden Abbau von Bancomaten feststellen. Aber eins ist klar: Bei sinkenden Transaktionszahlen und gleichbleibender Anzahl Geldautomaten erhöhten sich die Kosten pro Transaktion erheblich, sagt Dietrich. Um Kosten zu sparen, dürften Banken nach Alternativen suchen und ihr Geldautomatennetz reduzieren.
Das sieht auch Benjamin Manz vom Internetvergleichsdienst Moneyland so: Denkbar sei zum Beispiel, dass in Zukunft mehrere Banken ein Gerät gemeinsam betreiben. «In vielen Dörfern gibt es einen Bancomaten der Raiffeisenbank, einen der Kantonalbank und je einen Bancomaten der UBS und der CS, die ihre Filiale längst geschlossen haben», verdeutlicht Manz.
Nachfrage bestimmt das Angebot
Raiffeisen Schweiz geht etwa davon aus, dass die Anzahl der eigenen Geräte in den kommenden ein bis zwei Jahren stagniert und mittel- bis langfristig zurückgeht. «Der Bedarf an Bargeldbezügen ist generell rückläufig, während bargeldlose respektive mobile Zahlungen zunehmen», heisst es von der genossenschaftlich organisierten Bankengruppe.
«Die ausserordentliche Situation im Frühjahr hat diese Tendenz zusätzlich verstärkt.» Raiffeisen verfügt gemäss eigenen Angaben über das dichteste Bancomaten-Netz der Schweiz. Ende Juni waren es 1771 Bancomaten.
Postfinance hat noch 1000 Automaten
Auch bei der Postfinance widerspiegelt die sinkende Anzahl Postomaten «grundsätzlich» die rückläufige Anfrage nach Bargeld. Die Tochter der Schweizerischen Post betreibt heute knapp 1000 Automaten.
Für die Credit Suisse ist die längerfristige Nachfrage nach Bargeld der Haupttreiber für die künftige Ausgestaltung des Geldautomatennetzes. Der Rückgang der Transaktionen im Frühling heisst also noch nicht, dass die Grossbank sofort Automaten abbauen wird. Doch der bisherige Trend - ein jährlicher Rückgang von bis zu 10 Prozent bei den Transaktionen - dürfte sich durch die Coronaviruskrise verschärfen.
Die Schweizer und das liebe Bargeld
Insgesamt gab es in der Schweiz laut Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Ende August fast 7000 Geldausgabeautomaten. Die SIX rechnet in den nächsten fünf Jahren mit einem Rückgang der Anzahl Automaten zwischen 30 und 40 Prozent.
Was den Trend aber auch teilweise bremst: Teilweise würden Banken aber auch vermehrt Schalter abbauen oder ganze Filialen schliessen und stattdessen von aussen zugängliche Geldautomaten aufstellen. Das führt wiederum zu einer leichten Zunahme an Bancomaten.
Experten erwarten also unter dem Strich allesamt einen weiteren Rückgang der Bancomaten in der Schweiz - sowie des Gebrauchs von Bargeld allgemein. Die Bancomaten werden hierzulande aber wohl noch lange nicht von der Bildfläche verschwinden.
Bargeld ist «exotisch»
Das zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Ländern: In der Schweiz kommt auf etwa 1200 Einwohner ein Bancomat, wie Manz von Moneyland sagt. In anderen Ländern - insbesondere in Skandinavien - sei es hingegen mittlerweile «exotisch, mit Bargeld zu bezahlen».
«Die Schweiz ist trotz Corona immer noch ein Bargeld-Land», sagt Manz. «Viele Schweizer halten am Bargeld fest, auch wenn jetzt aufgrund von Corona die elektronischen Zahlungen zunehmen.» 2019 waren laut Statistik der SNB Banknoten im Wert von durchschnittlich fast 80 Milliarden Franken im Umlauf. In den vergangenen fünf Jahren hat dieser Wert jeweils zugenommen.
(awp/mbü)