Die Entwicklung von Zalando beeindruckt: Innert acht Jahren wurde aus dem Online-Startup ein börsenkotierter Konzern mit über 10'000 Mitarbeitern. 3 Milliarden Euro Umsatz hat der Online-Versender im vergangenen Jahr gemacht. Und das deutsche Unternehmen will weiter wachsen. Mit Zusatzanwendungen und Beratungstools wandelt sich der Modehändler mittlerweile zunehmend zu einem Tech-Unternehmen. Das Ziel: Alle Beteiligten der Modebranche zu vernetzen. Immer schneller. Immer flexibler. Immer individueller. Das gilt auch für die Schweiz.
Im Interview erklärt Schweiz-Chef Dominik Rief was hinter der Strategie steckt, die Herausforderungen und Besonderheiten in der Schweiz, wie der Handel der Zukunft aussieht und warum sich der stationäre Handel auf eine Kooperation mit Zalando einlassen sollte.
Herr Rief, neben Mönchengladbach, Erfurt und Brieselang starten Sie nun ein Logistikzentrum nahe der Schweizer Grenze im baden-württembergischen Lahr. Warum nicht in der Schweiz?
Dominik Rief*: Die Schweiz hat eine besondere Herausforderung wegen des Zolls. Der Standort Lahr wird alle Zalando-Länder bedienen, er ermöglicht es uns aber besonders näher am Schweizer Kunden zu sein, anderseits aber auch Kunden in Süddeutschland und Frankreich schneller beliefern zu können.
Das Problem mit dem Zoll hatten Sie ja von Anfang an.
Das hat uns natürlich vor Herausforderungen gestellt. Wir haben aber einen sehr guten Prozess entwickelt, so dass der Kunde seine Lieferung reibungslos und schnell bekommt.
Derzeit brauchen Zalando-Pakete in die Schweiz noch drei bis fünf Tage. Um wie viele Tage wird sich die Lieferzeit dann verkürzen?
Es wird schneller werden, um wie viele Tage kann ich noch nicht genau sagen. Hinzu kommt, dass nicht immer alle Produkte an einem Standort verfügbar sind, manche Pakete für die Schweizer Kunden werden weiterhin aus anderen Logistikzentren kommen.
Wird dann auch eine Lieferung am gleichen Tag möglich sein?
Optionen wie die Warenzustellung am gleichen Tag sind sicherlich denkbar. Diesbezüglich arbeiten wir eng mit der Schweizer Post zusammen und prüfen, ob und wie sich das umsetzen lässt. Versprechen können wir aber noch nichts.
Durch den Boom der Online-Shops wird es auf den Strassen immer voller, was sich wiederum auf die Lieferzeiten auswirkt. Sind Drohnen für Sie eine Alternative?
Wir schauen uns neue Technologien immer an. Was neue Lieferservices angeht, vertrauen wir der Schweizer Post, die Wachstumschancen und Potenziale immer schon früh erkannt hat und diesbezüglich sehr innovativ ist.
Sie weisen Ihre Ergebnisse nur für die gesamte Region Deutschland-Österreich-Schweiz aus. Schätzungen gehen davon aus, dass Sie in diesem Jahr rund 500 Millionen Franken Umsatz in der Schweiz generieren werden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Geschäftsverlauf in der Schweiz?
Wir sind sehr zufrieden. Seit unserem Markteintritt im Jahr 2011 haben die Schweizer Kunden sehr positiv auf unser Angebot reagiert.
Woran liegt das?
Die Schweizer haben ein Grundvertrauen in E-Commerce. Ein Grossteil der Bevölkerung war bei unserem Markteintritt durch Angebote aus anderen Branchen mit dem Online-Handel schon vertraut. Zudem schätzen sie unser grosses Angebot und das unkomplizierte Einkaufserlebnis.
Dennoch zahlen Kunden in der Schweiz mehr als zum Beispiel in Deutschland.
Ja, es gibt zum Teil einen Preisunterschied, der unter anderem auf den Zoll zurückzuführen ist. Wir geben aber andererseits Preisvorteile, die wir als internationaler Händler etwa beim Einkauf erzielen, direkt an den Kunden weiter.
Wie wird sich der Online-Handel in den nächsten Jahren verändern?
Der ganze Prozess wird noch schneller und flexibler. Das Smartphone eröffnet komplett neue Möglichkeiten, weil es immer und überall dabei ist. Der Kunde kann uns darüber zum Beispiel seinen Standort mitteilen. Daraus ergeben sich für die Zustellung aber auch Retoure neue Möglichkeiten. Zudem sind momentan Angebot und Nachfrage noch nicht optimal aufeinander abgestimmt. Über 80 Prozent der Mode-Produkte sind derzeit dezentral irgendwo in Läden in Europa verfügbar, der Kunde ist aber online unterwegs. Wir versuchen mit unserer Plattform-Strategie, online und stationäres Angebot zusammen zu bringen, so dass auch Ware in lokalen Läden digital auffindbar wird. So muss ein Schuh beispielsweise nicht mehr aus Erfurt ins Tessin geschickt werden, sondern kann aus dem Laden nebenan geliefert werden. So bringt man Angebot und Nachfrage noch viel effizienter zusammen.
Sie sprechen von Kooperationen mit dem stationären Handel?
Ja.
Warum sollte sich der Handel darauf einlassen?
Kunden shoppen heute immer mehr online, das wird sich auch weiter so entwickeln. Wir bieten Einzelhändlern eine Digitalisierungsstrategie. Neben ihrem Verkauf im Geschäft können sie so zusätzliche Kunden gewinnen, die online nach Produkten suchen, die sie vor Ort haben.
Gibt es diesbezüglich Projekte in der Schweiz?
Grundsätzlich wollen wir diese Kooperationen in allen Ländern schaffen, auch in der Schweiz. Aber eine konkrete Zusammenarbeit gibt es noch nicht, wir stehen noch ganz am Anfang und führen gerade erste Testpiloten mit Geschäften in Berlin durch.
Sie wandeln sich derzeit von einem reinen Online-Shop zum Tech-Unternehmen, das alle Teilnehmer der Modeindustrie – Kunde, Hersteller, Händler, Stylisten - miteinander vernetzen will. Sieht so der Handel der Zukunft aus?
Für uns war das der nächste konsequente Schritt. Der erste Schritt mit der Digitalisierung war es, einen grossen Produktkatalog online verfügbar zu machen. Der nächste Schritt ist nun, alle Bereiche der Modeindustrie zu vernetzen. So kann sich jeder Einzelne auf sein Kerngebiet fokussieren, während wir - Zalando - sich darum kümmert, alles zu verbinden.
Und obwohl Sie so viele Zusatzanwendungen und Beratungstools haben, liegt Ihre Retourenquote bei 50 Prozent. Sie sagen sogar, Retouren seien erwünscht. Warum?
Wir möchten nicht dass ein interessierter Kunde ein Produkt nur deswegen nicht bestellt, weil es umständlich ist, es wieder zurückzuschicken, falls es ihm nicht gefällt. Deswegen sind Retouren von uns erwünscht. Ein Kunde soll ein Produkt auch dann bestellen können, wenn er sich nicht sicher ist, ob er das Produkt behält.
Den Mehraufwand und die Kosten haben Sie dennoch. Sie versuchen doch sicherlich die zu reduzieren?
Wir versuchen die «vermeidbaren» Retouren zu reduzieren. Das sind Lieferungen die zurückgehen, weil der Kunde sich das Produkt anders vorgestellt hat. Das versuchen wir aktiv zu vermeiden, indem wir die Produkte so gut wie möglich darstellen und beschreiben: Zum Beispiel indem wir mit dem richtigen Licht fotografieren oder bestimmte Models auswählen. Zudem raten wir unseren Kunden bei gewissen Produkten diese eine Nummer grösser oder kleiner zu bestellen, wenn wir entsprechendes Feedback dazu erhalten haben.
Will man als Kunde seine Retouren angeben, ist das bislang nur über Desktop möglich. Über die Zalando-App können die Rücksendungen nicht abgewickelt werden. Wie passt das zu Ihrer «Mobile First»-Strategie?
Das ist in der Tat ein Punkt an dem wir noch arbeiten – in vielen Ländern geht es schon, in der Schweiz noch nicht. Der Grund ist, dass wir wegen des Bankgeheimnisses keine Kontodaten speichern dürfen. Haben Schweizer Kunden schon Geld für eine retournierte Ware überwiesen, müssen wir sie für die Rückerstattung proaktiv nach ihren Kontodaten fragen. Das ist ein Prozess, den es für Desktop immer schon gibt, der aber für die App noch entwickelt werden muss.
Welche Projekte planen Sie als Nächstes für die Schweiz?
Das Einkaufserlebnis soll noch einfacher, unkomplizierter, flexibler und personalisierter werden. Zudem wird es mehr Hintergrundinformationen zu Produkten und Marken geben und die Beratung wird ausgebaut. Konkreteres können wir aber noch nicht sagen.
*Dominik Rief (29) ist bei Zalando Country Manager für die Schweiz und Österreich. Er trat 2011 in das Unternehmen ein und hatte vor seiner aktuellen Funktion den Markteintritt in die Schweiz und Österreich begleitet. Rief hat in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert.