Weil unsere Chauffeure erst ab 8 Uhr morgens durch den Zoll können, müssen sie anschliessend den ganzen Tag auf den überlasteten Autobahnen fahren, was die Zeit für die Auslieferung unserer Waren verlängert. Könnten sie jedoch mitten in der Nacht über die Grenze, würde dies Fahrzeiten und Kosten senken.» Als Unternehmer bestätigt Swissmem-Präsident Johann N. Schneider-Ammann die Ergebnisse der Avenir-Suisse-Studie «Teure Grenzen».
Doch der Berner FDP-Nationalrat lehnt eine Zollunion mit der EU entschieden ab, die von den Autoren als «radikalste» Lösung zur Senkung der volkswirtschaftlichen Kosten der Zollschranken in der Höhe von 3,8 Mrd Fr. bezeichnet wird. Die Schweiz würde mit einer solchen Zollunion ihre aussenwirtschaftspolitische Autonomie aufgeben, meint er und wird dabei unterstützt von anderen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die von der «HandelsZeitung» zu diesem Thema befragt wurden. Es ist auch die Haltung, welche der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse in seinem jüngst veröffentlichten EU-Positionspapier gegenüber einer Zollunion vertritt.
Fragwürdige Einbindung
Bei einer Zollunion würden im Warenverkehr zwar Formalitäten und Wartezeiten am Zoll sowie der teilweise mühsame Nachweis des Warenursprungs wegfallen. Zudem wäre die Produktezulassung im Vergleich zu heute um einiges einfacher. Es gebe auf Landwirtschaftsprodukten auch keine Zölle mehr. Gleichzeitig müsste die Schweiz die EU-Aussenzölle zu Drittstaaten, die mit 4,1% höher sind als durchschnittliche Schweizer Zölle von 2,3%, übernehmen.
Die Schweiz könnte zudem keine Freihandelsabkommen mehr abschliessen. Schneider-Ammann: «Es wäre falsch, sich auf diese Weise einbinden zu müssen. Unser Land muss aussenwirtschaftlich dort aktiv werden können, wo die für seine Wirtschaft wichtigen Zukunftsmärkte sind, das heisst weiter in den USA und in Asien.»
CVP-Präsidentin Doris Leuthard zweifelt am Ausmass der in der Studie genannten volkswirtschaftlichen Kosten der Zollschranken und steht wie der Unternehmer Schneider-Ammann einer Zollunion mit der EU sehr skeptisch gegenüber. Eine solche Union würde gleichzeitig eine Angleichung von Sozial- und Umweltstandards bedeuten, ist sie überzeugt und schiebt gleich die Frage nach:«Angleichung nach oben oder Angleichung nach unten?» Aus diesem Grund zieht Doris Leuthard den Abbau von nichttarifären Barrieren durch die Eliminierung technischer Handelshemmnisse sowie die gegenseitige Anerkennung des Cassis-de-Dijon-Prinzips einer Zollunion vor.
«Die einzige Alternative»
Da mit einer Zollunion auch der Mehrwertsteuersatz von heute 7,6% auf das EU-Minimum von 15% angehoben werden müsste, glauben bürgerliche Politiker nicht, dass das Volk zustimmen würde, «wenn es schon 0,8% für die Invalidenversicherung ablehnt», wie DorisLeuthard meint.
SVP-Präsident Ueli Maurer lehnt eine Zollunion zwischen der Schweiz und der EU klipp und klar ab. Gegenüber der «HandelsZeitung» begründet er seine Haltung: «Da man bei einer Zollunion alles übernehmen müsste, ohne dass man dazu etwas zu sagen hat, wäre ein EU-Beitritt letztlich ehrlicher.»
SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer hatte vor drei Jahren eine ähnliche Untersuchung gefordert. Den jetzt veröffentlichten Bericht müsse man im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis der Schweiz zur EU ernst nehmen. «Vielleicht kommt dann eine Mehrheit zum Schluss, dass ein Vollbeitritt die einzige Alternative zur heutigen Situation ist.»
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Zollschranken kosten die Schweiz 3,8 Milliarden Franken
Zollformalitäten, Wartezeiten an der Grenze, Ursprungslandregel und Produktezulassung verteuern Exporte um 1,9 und Importe um 2,3%. Die zollbedingten Kosten reduzieren das Bruttoinlandprodukt (BIP) insgesamt um 0,85%. Oder mit anderen Worten: Die volkswirtschaftlichen Kosten der Grenze belaufen sich auf 3,8 Mrd Fr. Das entspricht ungefähr dem Vierfachen der Zolleinnahmen.
Das sind die wesentlichen Erkenntnisse der Studie «Teure Grenzen», die Ruedi Minsch und Peter Moser, beides Professoren an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur, im Auftrag von Avenir Suisse durchgeführt haben. Die Zahlen basieren auf Angaben von 624 Unternehmen, welche die an rund 9000 Unternehmen verschickte Umfrage beantwortet haben.
Die Zollformalitäten allein verursachen gemäss Studie einen Ressourcenverschleiss von 1% des grenzüberschreitenden Handels. Je kleiner die Unternehmen, desto höher ist die Belastung. Wartezeiten an der Grenze verteuern die Transportkosten um 8%, Importe und Exporte werden je um rund 0,4% höher. Viele Unternehmen fühlen sich durch die begrenzten Zollöffnungszeiten behindert. Gemäss Angaben der Weltbank steht die Schweiz bei der Regulierung im Grenzverkehr auf Rang 57, Dänemark, Schweden und Deutschland auf den Plätzen 1 bis 3. Für den Ursprungsnachweis müssen grössere Unternehmen bis zu 15 000 Fr. jährlich ausgeben, was allerdings nicht so sehr ins Gewicht fällt. Bei der Produktezulassung hingegen betragen die Kostennachteile 0,5% des in der EU erzielten Warenertrages.
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Kommentar: Der Preis ist zu hoch
Jedes Abkommen hat seinen Preis. Wirtschaftsabkommen einen ökonomischen, politische Abkommen einen politischen. Der frühere Staatssekretär Franz Blankart warnte an der Tagung von Avenir Suisse, an welcher die Studie «Teure Grenzen» vorgestellt wurde, die beiden zu vermischen. «Ich habe nie ein Wirtschaftsabkommen abgeschlossen, für das wir einen politischen Preis bezahlen mussten», meinte er. Damit war auch klar, was der brillante Handelsdiplomat über die Idee einer Zollunion zwischen der Schweiz und der EU denkt: Sie ist der falsche Weg, um die in der Studie nachgewiesenen Probleme zu lösen.
So luzid der Gedanke einer Zollunion auch ist: Der Preis, den die Schweiz bezahlen müsste, um ein solches Abkommen zu erhalten, wäre viel zu hoch. Ganz abgesehen davon, dass der Mehrwertsteuersatz auf EU-Niveau stiege, müsste sie im Bereich der Aussenwirtschaftspolitik ihre Autonomie aufgeben. Sie könnte nicht mehr gemäss den Bedürfnissen ihrer Wirtschaft eigene Schwerpunkte setzen, sondern müsste nach der Pfeife der EU tanzen. Unvorstellbar, dass das Schweizer Volk je einem solchen Integrationsschritt zustimmen würde.
Dennoch ist es zu begrüssen, dass die Autoren der Studie die Idee einer Zollunion in die nun laufende Diskussion einbringen. Denn sie zwingt uns zur ökonomischen und politischen Ehrlichkeit: Ebenso wie die Vor- und Nachteile einer Zollunion gegeneinander abzuwägen sind, muss auch der bilaterale Weg, für den allein es derzeit unter den aussenpolitischen Optionen eine Mehrheit im Volk gibt, immer wieder hinterfragt werden. Denn es gibt im Verhältnis SchweizEU noch einige offene Fragen, auf welche die bilateralen Verträge keine Antwort geben. Können sie auf diese Weise gefunden werden? Braucht es nicht andere Lösungen? Lösungen allerdings, deren Preis die Schweiz zu zahlen gewillt ist.