Die Ideenwerkstatt der SBB befindet sich in einem schwarzen Kubus am Bahnhof Bern. Fixe Arbeitsplätze gibt es nicht. Besprechungen finden im offenen Raum und nicht im geschlossenen Büro statt. An der Wand hängen die Lebensläufe der Angestellten. Eine Holzpalette ist zum Gemüsegarten umfunktioniert.
Architektur und Inneneinrichtung machen klar: Hier weht ein anderer Wind als in der Zentrale in Wankdorf BE, wo das Management um Andreas Meyer und der Grossteil der SBB-Bürolisten arbeiten. Drei Kilometer entfernt vom Herz des Staatsbetriebes tüfteln fünfzig Personen an neuen Ideen für die Zukunft der Mobilität. Im Zentrum steht nicht der klassische Schienenverkehr, sondern die Frage, wie sich die Menschen in Zukunft im öffentlichen Raum bewegen. Statt Tunnelblick für den Zug gibt es im Bollwerk 10 Raum für Lufttaxis, Drohnen, autonome Fahrzeuge, Velos und elektrische Autos.
Die Freiheit ist gewollt. SBB-Chef Andreas Meyer hat die Angestellten dieser Ideenwerkstatt bewusst aus der silohaften Konzernstruktur gelöst. Der Bähnler-Brutkasten gehört nicht in die Division Personenverkehr. Er ist auch nicht der Infrastruktur zugeordnet. Die Stellung ist übergeordnet, einer Stabsstelle gleich.
Green-Class-Abo für Halbtax-Kunden
Geleitet wird die Einheit von Björn Bender, der mit seinem Team für die SBB als Head of New Mobility Services am Code der Zukunft schreibt. Bender ist seit Anfang April im Amt. Er denkt und lenkt im Schnellzugstempo. Für den Sommer hat er zwei Ankündigungen: Erstens öffnen die SBB das Green-Class-Modell, das ein Generalabonnement mit einem Elektrowagen kombiniert, für Halbtax-Kunden. Und zweitens entwickeln die SBB gemeinsam mit städtischen Partnern ein Abo für kombinierte Mobilität. Für die Anfangsphase sind die SBB im Gespräch mit den regionalen Gesellschaften in Bern, Basel und Zürich. Das heisst, die Staatsbahn spannt mit den regionalen Gesellschaften Bernmobil, BVB und VBZ zusammen.
«Wir arbeiten daran», sagt Bender, ein definitives Startdatum für das «zeitlich befristete Pilotprojekt» könne man aber noch nicht nennen, so der Deutsche, der zuletzt elf Jahre im Sold der Deutschen Bahn (DB) stand. Das Abo soll in drei Formen kommen: small, medium und large. Kunden sollen alle gängigen Verkehrsmittel über eine App nutzen können. Zusätzlich zu einem Abo der lokalen Verkehrsbetriebe soll es beispielsweise Zugriff auf Veloverleihsysteme, Mietwagen, Sharing-Autos, Taxidienste und Elektroscooter geben.
Die SBB seien grundsätzlich offen für Partnerschaften mit allen Anbietern von Mobilitätsdienstleistungen, wie Bender sagt. Die Grundüberlegung hinter dem «Sharing Bundle»-Angebot: «Statt dass man sich fünf verschiedene Scooter- oder Leihvelo-Apps auf sein Handy lädt, erhält man über ein einziges Angebot Zugriff auf alle relevanten Verkehrsträger in der Stadt.» Oder kurz: «Mit einer App fährt man überall mit.»
Vorbild in Helsinki
Ein ähnliches System gibt es in Helsinki. Dort arbeitet Sampo Hietanen mit seiner Crew an der Verkehrs-App Whim. Die Firma dahinter heisst Maas Global und wird als das nächste Milliarden-Startup gehandelt. Mehr als drei Millionen Buchungen haben Kunden bereits über Whim getätigt. Verfügbar ist die Applikation mittlerweile auch im britischen Birmingham und in der niederländischen Stadt Antwerpen. Der Markteintritt in Wien steht unmittelbar bevor.
In Helsinki bietet Whim vier Preismodelle: Das günstigste kostet 62 Euro und beinhaltet ein Monatsabo für den öffentlichen Verkehr, unlimitierte Kilometer mit den Leihvelos der Stadt, eine 5 Kilometer lange Taxifahrt zum reduzierten Tarif von 10 Euro und einen Leihwagen für 49 Euro pro Tag. Das teuerste Abo kostet 500 Euro und bietet unlimitierten Zugang zu Taxi, Leihwagen, Bus, Bahn und Velo.
Für die Schweiz hat Whim den Weg schon vorgezeichnet. Ende 2019 oder Anfang 2020 möchten die Finnen mit ihrer Lösung an den Start, wie Gründer Hietanen sagt. Aktuell knüpft ein Vertreter des Unternehmens Kontakte vor Ort. «Die Schweiz könnte das erste Land werden, in dem wir landesweit operieren», so Hietanen. Die Finnen waren zuletzt auch Vorbild für einen parlamentarischen Vorstoss in der Innerschweiz, der verlangt, dass sich der Luzerner Verkehrsverbund für andere Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen öffnen soll, etwa für Velo-Sharing-Dienste. Ziel sei eine Weiterentwicklung Richtung digitale Mobilitätsplattform. Whim wird explizit als Inspiration vermerkt. In Berlin gibt es ein ähnliches Projekt namens Jelbi.
Neue Teslas für die SBB
Das neue SBB-Kombi-Bündel richtet sich an eine urbane Kundschaft. Nach einer ersten Pilotphase, in der nur einige hundert Personen pro Stadt mitmachen können, soll das Angebot schrittweise ausgebaut werden. So startete einst auch das Green-Class-Angebot, das ein Zug-Abo mit einem persönlichen Elektroauto und einem Parkplatz am Bahnhof vereint. Vor drei Jahren begann der Testbetrieb, mittlerweile gehört das Modell zum Standardsortiment. 15 000 Kilometer pro Jahr sind im Preis inbegriffen. Zur Auswahl stehen Elektrowagen von BMW, Nissan, Volkswagen, Tesla. Das günstigste Angebot – ein BMW i3 in Verbindung mit einem 2.-Klasse-GA – kostet aber immer noch deutlich über tausend Franken pro Monat.
Potenzial im Flottenmanagement Der Preis wirkt für viele Kunden abschreckend. Die SBB öffnen sich deswegen einem grösseren Nutzerkreis und offerieren ab 30. Juli diverse Green-Class-Varianten für Halbtax-Besitzer. Das günstigste Angebot werde so für deutlich unter tausend Franken zu haben sein, sagt Bender. Der Manager, in dessen Garage sieben Velos und eine Vespa (Baujahr 71) stehen, ein Auto aber fehlt, verspricht überdies, dass neue Wagen eingeflottet werden. Grosses Thema seien Teslas der Reihe Model 3.
Überhaupt: Im Flottenmanagement sieht Bender Potenzial. Schon bei der DB widmete er sich dem Thema. Dieses will er auch seinem neuen Chef Andreas Meyer schmackhaft machen. «Ich bin überzeugt, dass wir mit einem guten Mobilitätsangebot den klassischen Firmenwagen weitgehend ersetzen können», sagt Bender.