Mit einer Lokomotive wurde die deutsche Wirtschaft bisweilen verglichen – vorauseilend, zugkräftig und stets unter Dampf. Wenn die Konjunktur in anderen Teilen Europas zu lahmen drohte oder gar die Gefahr eines rezessiven Einbruchs bestand, konnten sich die Handelspartner der Deutschen in früheren Jahren jeweils der begründeten Hoffnung hingeben, dass die grösste und dynamischste Volkswirtschaft auf dem Kontinent den Karren nach ein paar Monaten schon wieder aus dem Dreck ziehen würde.

Ein Blick auf den Zustand, in dem Deutschland derzeit verharrt, entlarvt dieses Bild als Wunschdenken. Die vermeintlich zuverlässige Zugmaschine hat mit den Jahren Rost angesetzt, kämpft sich unter erschwerten Rahmenbedingungen nur noch mühsam voran, und ihre Antriebswelle knarzt heute bedrohlich. Kurz: Die Lokomotive Europas – und in diesem Punkt sind sich die Ökonomen einig – bedarf dringend einer Generalrevision.

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Die Zugmaschine Deutschland hat mit den Jahren Rost
angesetzt und kämpft sich nur noch mühsam voran.


Kurz vor der Kanzlerwahl vom 22. September gibt zwischen Rhein und Oder vor allem ein Thema zu reden: das Versagen der amtierenden Koalitionsregierung in der Beschäftigungspolitik. Vier Jahre nach dem Wahlsieg von Gerhard Schröder steuert die Zahl der Arbeitslosen im wieder vereinigten Deutschland erneut auf die Vier-Millionen-Schallmauer zu und liegt damit praktisch auf gleichem Niveau wie bei dessen Amtsantritt. Dabei wollte sich der amtierende Bundeskanzler doch – ganz explizit – am Abbau des Arbeitslosenheeres messen lassen. Sein programmatisches Ziel, die Zahl der Stellenlosen auf unter dreieinhalb Millionen Personen zu drücken, hat Schröder ebenso verfehlt, wie es der Chef der rot-grünen Koalition und seine volkswirtschaftlichen Einflüsterer in den letzten vier Jahren versäumt haben, den Reformstau in Deutschland nachhaltig zu beheben.

Ob CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und lähmendes Besitzstanddenken über die besseren Rezepte verfügt? Vor dem Hintergrund der schleppenden Wirtschaftsentwicklung im Freistaat Bayern, Stoibers langjährigem Einflussgebiet, machen sich Fachleute diesbezüglich keine übertriebenen Hoffnungen.


Hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von Deutschland sehen
sich viele Firmen mit einem Klumpenrisiko konfrontiert.


Ein wenig ermutigendes Bild von der Zugkraft der deutschen Wirtschaft vermittelt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seiner jüngsten Prognose: 0,7 Prozent Wachstum stellt der Washingtoner Think-Tank für das laufende Jahr in Aussicht – nicht einmal halb so viel wie für die Eurozone insgesamt.

Wie die Erfahrung zeigt, wurde vermutlich selbst dieser Wert noch zu hoch angesetzt. Falls es in Deutschland hingegen wider Erwarten zu einer positiven Überraschung kommen sollte, so erwartet die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eine solche frühestens nach der Bundestagswahl – und zwar unabhängig davon, welche Partei am 22. September gewinnen wird. Entscheidend sei einzig, dass Problemfelder wie die grassierende Arbeitslosigkeit oder das ungebremste Wachstum der Gesundheitskosten von der neuen Regierung endlich wirkungsvoll angegangen würden, argumentiert die GfK.

In besonderem Mass betroffen von der Lethargie in ihrem wichtigsten Absatzmarkt ist die exportabhängige Schweiz. Auf gegen 30 Milliarden Franken lässt sich der letztjährige Nachfrageimpuls aus Deutschland beziffern, was 22 Prozent der helvetischen Gesamtausfuhren oder 7,3 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht. Die Vereinigten Staaten als zweitwichtigste Exportdestination der Schweiz absorbieren mit Waren und Dienstleitungen von rund 14 Milliarden Franken pro Jahr nicht einmal halb so viel, was die volkswirtschaftliche Bedeutung des europäischen Nachbarn eindrucksvoll unterstreicht.

Hinsichtlich der geringen Streuung ihrer Absatzkanäle sehen sich viele Schweizer Firmen diesbezüglich mit einem Klumpenrisiko konfrontiert. Vorab in der Maschinenbaubranche und im Bauzulieferungsbereich ist es keine Seltenheit, dass mehr als jeder dritte Umsatzfranken auf dem deutschen Markt erwirtschaftet wird. Die schleppende Konjunktur im Norden bekommt aber auch die Schweizer Freizeit- und Tourismusbranche deutlich zu spüren. Symptomatisch für den geschilderten Zusammenhang ist die jüngste Prognoserevision der BAK Konjunkturforschung: Statt eines Wachstums von 1,5 Prozent rechnet das Basler Institut für das laufende Jahr nur noch mit einer Ausweitung des Schweizer BIP um 0,7 Prozent.

Begründet wird die Zurücknahme des Wachstumsziels mit negativen Einflüssen, die laut BAK «primär vom Ausland ausgehen». Infolge einer verzögerten Erholung in den wichtigsten Absatzmärkten rechnen die Auguren frühestens in den Wintermonaten mit einer spürbaren Belebung der Schweizer Wirtschaft.