Es gibt eine Passage aus Michael Endes Buch «Momo», die bis heute nicht an Relevanz verloren hat: «Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, [...] zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen.» Nicht nur gilt die Passage auch heute noch, sie ist sogar wichtiger denn je. Denn: Unsere Aufmerksamkeitsspanne nähert sich beharrlich der eines Goldfischs an. Zuhören, eine Runde schwimmen – und schon ist das Gehörte wieder vergessen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die Problematik wurzelt aber anderswo: Die wenigsten denken von sich, sie seien schlechte Zuhörerinnen. Ich selbst war lange überzeugt, das Zuhören sei eine meiner grossen Stärken. Bis mir das Buch «The Lost Art of Listening» in die Hände fiel. Hier erklärt Michael P. Nichols, wie wir beim als Zuhörer oft versagen. Dafür benennt er vier Typen, die möglicherweise auch Ihnen bekannt vorkommen:

  1. Faker: Das sind diejenigen, die nur so tun, als ob sie zuhören. Wer hat sich nicht schon mal dabei ertappt, im Gespräch nebenbei auf dem Natel zu tippen oder im Kopf die Einkaufsliste zu schreiben?
  2. Egozentrischer Zuhörerinnen: Die Kollegin erzählt von ihrem Stress im Büro. Statt auf das Gesagte einzugehen, nimmt der Zuhörer dies als Gelegenheit, um auf den eigenen Stress zu verweisen.

  3. Abhängiger Zuhörer: Während des Zuhörens rumort es im Kopf: Wirken meine Antworten schlau? Mag mich mein Gegenüber? Statt nur zuzuhören, nehmen diese Fragen im Kopf mehr Raum ein als nötig.

  4. Amateurtherapeutin: Nicht alle, die etwas erzählen, wünschen sich direkt Ratschläge für die Situation. Auch wenn sie in der Regel gut gemeint sind – manchmal will die Person einfach nur Dampf ablassen. Wer nicht sicher ist, darf auch nachfragen, ob man Ratschläge geben soll oder lieber einfach mitleiden.

Die Gastautorin

Tanja Lau ist Gründerin der Product Academy und unterstützt Firmen auf dem Weg zur schnell lernenden (Produkt-)Organisation.

Haben Sie sich in einem der vier Typen wiedererkannt? Dann sind Sie sicher nicht allein. Die meisten von uns würden nicht mit der Absicht zuhören, zu verstehen. Sondern mit der Absicht, zu antworten, schreibt Covey in seinem Bestseller «7 Habits of Highly Effective People». Um diese Absicht zu verändern, ist es wichtig, sich die drei zugrunde liegenden Ebenen des Zuhörens bewusst zu machen:

Level 0 – Zuhören zum Antworten: Jede Äusserung wird zur Bühne für die eigenen Geschichten und Antworten. 

Level 1 – Zuhören zum Verstehen: Hier dreht sich alles um die Sachebene. Der Zuhörer, die Zuhörerin stellt Fragen, um mehr Kontext zu erhalten. 

Level 2 – Zuhören zum Mitfühlen: Erst auf dieser Ebene achten wir auch auf die Körpersprache und versetzen uns wirklich in die Lage des anderen. 

Level 3 – Zuhören zum Einfangen der Stimmung: Jetzt kommt auch die Intuition ins Spiel. Was klingt zwischen den Zeilen mit? Was wurde bewusst nicht gesagt? Wie ist die Stimmung im Raum?

Alle Ebenen haben ihre Daseinsberechtigung. Wer es aber versteht, bewusst zwischen ihnen zu wechseln und sein Ego beim Zuhören in den Schlummermodus zu schalten, macht den Weg frei für eine ganz neue Gesprächserfahrung.

Es ist noch nicht zu spät für Neujahrsvorsätze – oder um sich alternative Ziele für 2024 zu suchen, falls Sie Ihre ersten Vorsätze bereits über Bord geworfen haben. Ein alternatives Experiment wäre: eine Woche lang jeden Tag mindestens einmal wirklich Zuhören üben. Das können Sie im Büro machen oder in Ihrer Freizeit ausprobieren – egal wo, Ihr Umfeld wird es merken.