Die Geschichte falscher Vorhersagen ist lang und zuweilen amüsant: «Who the hell wants to hear actors talk?» war von Warner Brothers 1927 - zu Zeiten des Stummfilms - rhetorisch gemeint. Alle wollen das, liebe Warner-Brüder - doch schön, dass es euch trotzdem noch gibt. Auch Daimler Benz hat die Kurve gekriegt, obwohl sie 1900 das potenzielle Wachstum des Automobilmarktes geradezu fantastisch falsch eingeschätzt hatte («Die weltweite Nachfrage nach Automobilen wird 1 Mio nicht übersteigen, insbesondere wegen der beschränkten Anzahl an Chauffeuren»).
Das Bonmot des dänischen Physikers und Nobelpreisträgers Niels Bohr («Prognosen sind schwierig, vor allem über die Zukunft») gilt noch heute. Man ist in guter Gesellschaft von Bill Gates («64 Kilobyte sind genug», gesagt 1981) und Konsorten. Fairerweise ist zu sagen, dass es eine ebenso eindrückliche Liste richtiger Prognosen gibt.
Aber bleiben wir für einmal bei Warner Brothers und Daimler Benz. Was hat zu diesen falschen Einschätzungen der Zukunft geführt? Die Beispiele zeigen die typische, intuitive Weise, wie viele Menschen die Zukunft antizipieren: Sie gehen davon aus, dass die Zukunft aus «ein bisschen mehr vom selben» sein wird: Ein bisschen mehr Senioren, ein bisschen schnellere Rechner, ein bisschen komfortablere Züge und Autos. Dass sich Autos zum Massenkonsumgut entwickeln und die meis-ten ihre eigenen Chauffeure sein werden, war an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhunderts noch nicht offensichtlich.
«Unerhörte» Zukunft
Aber die Zukunft ist eben auch so: Ungesehen und unerhört. Daraus folgt unweigerlich die Schwierigkeit richtiger Prognosen. Wer die Möglichkeiten der Zukunft antizipieren will, muss auch das Undenkbare zu denken versuchen. Seriöserweise kann dabei keine Prognose herauskommen, sondern eine Reihe Chancen und Risiken Zukunft im Plural. Dies mag Erwartungen an die Zukunftsforschung enttäuschen aber diese Ent-Täuschung (das Ende einer falschen Erwartung) ist notwendig und erwünscht. Denn falsche Denkmuster sind mächtige Innovationshemmer.
Das Auflösen ungeeigneter Denkmuster zur Zukunftsplanung haben wir uns zur Aufgabe gemacht. Wir nennen es die «kulturelle Innovation» also die Erneuerungsfähigkeit der mentalen Strukturen. Sie ist mindestens so sehr für die erfolgreiche Erschliessung neuer Märkte erforderlich wie technologische Innovationen. Zur kulturellen Innovation gehört ein beweglich eingestellter Wahrnehmungsapparat, die Denkform des «Es kann ganz anders sein» und nicht zuletzt eine emotionale Disposition, die keine Angst vor dem Neuen hat. Diese drei Eigenschaften machen Zukunftsfähigkeit aus.
Prognose als Risiko
Innovation ist die Umsetzung von Forschung und Entwicklung in marktfähige Produkte. In vielen Branchen sind die Kenntnisse vorhanden, was technologisch in den nächsten Jahren möglich sein wird. Doch technische Prognosen genügen nicht, um die Marktchancen richtig vorherzusehen. Viele Umfeldfaktoren spielen hinein: Von Regulierungen über Standardisierungen bis hin zu künftigen Kundenbedürfnissen und Wertschätzungen (Wertewandel). Viele dieser Faktoren sind Ergebnisse offener Entwicklungen. Wenn die Zukunft offen ist, wird eine vermeintliche Prognose zum Risiko. Die moderne Zukunftsforschung spricht daher nicht von «Forecast» (Vorhersage), sondern von «Foresight» und hat dafür ein Arsenal von Methoden entwickelt.
Die bekannteste ist die Szenariotechnik, die einem Unternehmen einen Vorrat an strategischen Handlungsoptionen in die Hand gibt (wie es Eckard Minx, der Leiter des Bereichs Technik und Gesellschaft des DaimlerChrysler Think Tank einmal genannt hat). Darüber hinaus gibt es beispielsweise die strategische Simulation für das Management von Zukunftsdynamiken, das Horizon Scanning für die Früherkennung entscheidender Veränderungen und die Analyse grundlegender Megatrends.
Zukunftsforschung ist mehr als strategische Planung. Die situationsgerechte Kombination verschiedener Instrumente verhilft Unternehmen, ihre Strategie in ein systematisches, adäquates Verständnis möglicher Zukünfte einzubetten.
Georges T. Roos, Inhaber, Roos Büro für kulturelle Innovation - Trend-Analyse und Zukunftsgestaltung, Luzern.
Veranstaltungshinweis
European Futurists Conference Lucerne
Vom 10. bis 12. Juli 2005 ist Luzern die Hauptstadt der europäischen Zukunftsforscher: Die erste «European Futurists Conference» ist den «Future Tools for Growth», den Instrumenten der Zukunftsforschung für Innovationsmanagement und -strategie, gewidmet. 30 führende Zukunftsforscher (etwa Matthias Horx, Patrick Dixon, Michael Jackson, Huges de Jouvenel) und Foresight Units führender Firmen (u.a. Siemens, Swiss Re, Swisscom, Nokia) geben Einblick in die Zukunft. Die öffentliche Veranstaltung richtet sich gleichermassen an Zukunftsexperten und Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung. Georges T. Roos ist Geschäftsführer der Konferenz.