Die Versandapotheke Zur Rose ist seit der Gründung 1993 immer wieder neue Wege gegangen. Welche Bedeutung hat die Geschäftsmodell-Innovation in Ihrem Unternehmen?
Walter Oberhänsli*: Sie ist sehr wichtig. Wir verfügen aber nicht über eine besondere Organisation, die sich um diese Aufgabe kümmert. Entscheidend ist, dass unser Unternehmen offen ist für Veränderungen, offen für neue Marktbedingungen und vor allem offen für Opportunitäten. Letzteres ist sogar zentral. Es braucht häufig keinen genialen Geist, um eine neue Geschäftsidee zu entwickeln, es reicht, wenn man die Augen und die Ohren offen hält. Dann kann man eine günstige Gelegenheit nutzen.

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Wie gehen Sie konkret vor, wenn es darum geht, Ihr Geschäft an neue Rahmenbedingungen anzupassen?
Wir beobachten die allgemeinen Trends und die Entwicklungen in unserem Markt genau. Daraus versuchen wir die Auswirkungen auf unser Unternehmen abzuleiten. Hier haben wir eine gewisse Systematik entwickelt. Wir hinterfragen unsere eigene Strategie regelmässig, sprich im Jahresrhythmus. Dabei versuchen wir auch sehr selbstkritisch zu sein.

Im Gesundheitssektor hat der Regulator einen grossen Einfluss auf den Markt. So wurde beispielsweise der Versand von rezeptfreien Medikamenten verboten, was das Bundesgericht 2015 bestätigte. Wie reagieren Sie darauf?
Das Lobbying spielt in unserem Geschäft eine wichtige Rolle. Dennoch kann man einen Entscheid wie jenen des Bundesgerichts zum Versand von OTC-Medikamenten [over the counter, rezeptfrei] nicht antizipieren. Man muss damit umgehen können und das Unternehmen so aufstellen, dass ein negativer Entscheid nicht den gesamten Betrieb ins Straucheln bringt. Man muss immer bereit sein, dass etwas schiefgehen kann. Dies gilt aber nicht nur im Gesundheitssektor, sondern auch in den anderen Branchen.

Wie hat die Digitalisierung das Geschäft von Zur Rose verändert?
Die Digitalisierung war für uns schon früh sehr wichtig. Dabei ging es vor allem um den Bestellprozess, den man online deutlich vereinfachen konnte. Aus diesem Grund haben wir schon früh auf den Online-Kanal gesetzt. Heute beinhaltet die Digitalisierung aber deutlich mehr. Hier stehen wir noch in der Anfangsphase. Doch selbst triviale Lösungen können bereits eine grosse Wirkung haben. Ich denke dabei an den Medikationsplan, über den die Patienten die Liste ihrer benötigten Medikamente abrufen können. Ansonsten sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Wie nutzen Sie die Datenanalyse für neue Angebote?
Derzeit nutzen wir die Datenanalyse für die Optimierung unserer Marketingaktivitäten und bei der Preisgestaltung. Ich kann mir vorstellen, dass wir in einer nächsten Ausbaustufe, ähnlich wie bei Amazon, Referenzen einführen. Wenn jemand ein bestimmtes Produkt kauft, wird ihm automatisch ein weiteres, passendes angeboten. Letztlich wird man anhand von Big Data auch den Krankheitsverlauf besser vorhersehen können. In diesem Bereich steht die Branche noch am Anfang. In den nächsten Jahren kann hier noch viel geschehen.

Wie halten Sie mit der Digitalisierung Schritt?
Wir haben den erwähnten Medikationsplan als App lanciert. Die DocMorris-App ist im deutschen Gesundheitsmarkt eine der relevantesten Applikationen. Denn der Kundennutzen ist greifbar, auch wenn die Lösung simpel ist. Ein aktuelles Beispiel: Als meine Mutter nach einem Sturz in ein Spital eintreten musste, wusste niemand, welche Medikamente sie regelmässig einnahm. Hier bringt die App eine einfache Lösung. Darüber hinaus bieten wir eine Telepharmazie-Anwendung an. In einem Live-Video-Chat können sich die Kunden online von einem Apotheker beraten lassen. Dies ist vor allem dann sehr gefragt, wenn es um Themen geht, die man in einer Apotheke nicht neben anderen Kunden besprechen möchte. Schliesslich haben wir in der Schweiz schon früh das digitale Arztrezept herausgebracht.

Wie kommt es bei den Kunden an?
Mittlerweile rezeptieren gut 1500 Ärzte elektronisch. Diese Lösung hat viele Vorteile gegenüber Rezepten auf Papier, allein schon wegen der Leserlichkeit der Schriften. In Deutschland haben wir diesbezüglich viel Energie und Geld investiert. Dort konnten wir uns bisher aber noch nicht durchsetzen. Es gibt zahlreiche Widerstände, schliesslich beflügelt die Digitalisierung der Rezepte auch den Online-Handel.

In der Telepharmazie arbeiten Sie mit der Deutschen Telekom zusammen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Sie findet auf der technologischen Seite statt. Die Telekom ist für den Live-Chat zuständig, vergleichbar mit einem Gespräch per Skype, allerdings in einer höheren Qualität. In der Schweiz besteht das Angebot noch nicht. Unsere Strategie lautet, dass wir Neuerungen erst in einem Land testen. Wenn es sich bewährt, weiten wir es auf andere Regionen aus.

Zur Rose hat nach Deutschland, Österreich und in die Niederlande expandiert. Wie haben diese Schritte das Unternehmen geprägt?
Wir sind 2004 nach Deutschland gegangen, letztlich aus der Erkenntnis, dass die Schweiz für das Geschäftsmodell von Zur Rose, dem Medikamentenversand, zu klein ist. Als damals der Medikamentenversand in Deutschland zugelassen wurde, haben wir die Chance gepackt und von unseren Erfahrungen in der Schweiz profitiert. Es war eine grosse Herausforderung für unser Unternehmen. Inzwischen erreichen wir in beiden Märkten einen Umsatz von über 400 Millionen Franken pro Jahr. Es war damals ein mutiger, aber richtiger Schritt.

Wie unterscheiden sich die Länder in ihren Anforderungen?
Es sind vor allem regulatorische Unterschiede. Der Versand von OTC-Medikamenten ist in Deutschland ein alltägliches Geschäft. In der Schweiz ist dies nicht erlaubt. Auf der anderen Seite können in der Schweiz problemlos elektronische Rezepte ausgestellt werden, was in Deutschland noch verboten ist. An diese Unterschiede müssen wir uns anpassen.

Wie wird sich Ihre Branche in Zukunft weiterentwickeln?
Der Versand von Arzneimitteln ist gefragt und dürfte mit der zunehmenden Digitalisierung noch an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig liegt auch der Omnichannel-Ansatz, bei dem sämtliche Vertriebskanäle genutzt werden, im Trend. Aus diesem Grund haben wir die Kooperation mit der Migros umgesetzt. Dass wir den stationären Handel beliefern, ist nicht nur auf das Bundesgerichtsurteil zurückzuführen. Eine ähnliche Strategie sieht man auch bei Nespresso oder Amazon.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für Ihr Unternehmen?
Die gesetzlichen Restriktionen machen uns sicherlich am meisten zu schaffen. Zudem könnten wir in Zukunft eine verstärkte Konkurrenz sehen. Heute sind in unserem Markt nur die klassischen Arzneimitteldistributoren aktiv. Es ist aber gut möglich, dass branchenfremde Riesen wie Amazon in unser Geschäft vorrücken werden. Wir haben dank unseren Marken schon einen gewissen Bekanntheitsgrad. Zum Beispiel ist unsere Marke DocMorris laut einer Marktstudie die bekannteste Versandapothekenmarke Deutschlands.

* Walter Oberhänsli ist Delegierter des Verwaltungsrats und CEO der Zur Rose-Gruppe. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Frauenfeld ist mit ihren Marken Zur Rose und DocMorris Europas grösste Versandapotheke und eine der führenden Ärztegrossistinnen der Schweiz. 2016 verbesserte die Firma ihren konsolidierten Umsatz um 5,4 Prozent auf 880 Millionen Franken.