Hans-Heinrich Zweifel schleicht sich an das Gebäude heran und zieht sich mit einem Klimmzug am Fenster hoch. Das Fabrikgelände in Agno im Tessin wirkt ausgestorben, Zweifel hat richtig überlegt: Am 1. November, an Allerheiligen, sind die Tessiner offenbar «entweder im Restaurant, auf dem Friedhof oder in der Kirche». Ein guter Zeitpunkt für ein
bisschen Spionage.
Was Zweifel an diesem Feiertag im Herbst 1962 herausfindet: In Agno warten eine Chips-Fritteuse und eine ihm unbekannte Maschine darauf, in Betrieb genommen zu werden. Im Lager sieht er ? wieder an einem Fensterrahmen hängend ? tausend Metallverkaufsstände. Die italienische Firma Pavesi will unverkennbar den Zweifels sehr ernsthaft Konkurrenz machen und ebenfalls Kartoffelchips herstellen.
Pavesi hat keine Chance. Wie alle anderen auch, die versuchen, Zweifel als Marktführer auszustechen, werden die Italiener scheitern. Knapp zwei Drittel aller in der Schweiz verspeisten Chips kommen heute aus dem Hause Zweifel, das Unternehmen hat 384 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von 166 Millionen Franken (2001). Das meiste Geld verdient Zweifel mit Chips (Umsatzanteil: 66 Prozent), ausserdem mit anderen salzigen Snacks (15 Prozent) und Handelswaren wie Gebäck und Nüssen (19 Prozent). Kartoffeln zu frittieren, ist eine Wissenschaft für sich, die in der Schweiz keiner so beherrscht wie die Zweifels. Teil des Geheimnisses ist es, die richtige Sorte Kartoffeln in der richtigen Dicke zu hobeln, in das richtige Öl zu werfen und mit den richtigen Gewürzen zu bestreuen. Im Rest dieser Geschichte geht es um Frischservice, Kampfgeist und Leidenschaft, geschmackliche Prägung und einen langen Atem.
Als Firmenchef Hans-Heinrich Zweifel für seine Klimmzugspionage ins Tessin reist, verkaufen die Zweifels seit fünf Jahren Chips, relativ unbehelligt von Konkurrenz; es gibt nur ein paar kleinere Hersteller, die nicht weiter bedrohlich sind. Was Zweifel aber durch das Fabrikfenster sieht, versetzt ihn in Aufruhr: tausend Verkaufsregale! Er selbst hat nur einhundert bestellt. Dazu die Gerüchte: Pavesi wolle zwei Millionen Franken für Werbung ausgeben. Sie hätten 50 Verkaufschauffeure. Ausserdem kennten sie sich gut aus mit Chips, hätten in Italien bereits Erfahrung gesammelt. Und sie wollten den Frischservice wöchentlich durchführen, also Woche für Woche bei den Kunden vorbeifahren, verfallene Chips einsammeln und gratis neue in die Regale stellen. Das klingt nach ernsthafter Gefahr.
Zweifel entwirft einen Schlachtplan: weitere 900 Verkaufsregale, ein grösseres Werbebudget. Und der Frischservice. Bis dahin tauscht Zweifel nur in Zürich alle zwei Wochen die Chips-Tüten aus, die Idee im Kopf: «Es gibt nichts Besseres als frische Chips und nichts Traurigeres als ranzige.» Mit Pavesi im Nacken führt Zweifel den Service schweizweit ein, ein teures Unterfangen, aber Zweifel will sich keinesfalls in die Knie zwingen lassen.
Es lohnt sich: Pavesis Frischservice ist nicht mehr originell. Ein schlechter Start für die Italiener. Der Kampf zieht sich trotzdem über zehn Jahre hin. Dann, 1972, liegt Zweifel eines Nachts wach und denkt, wie so oft, an Chips. Denkt: Jetzt musst du den mal anrufen, den Dottore Mirabelli von Pavesi, und über eine Kooperation reden. ? Ein paar Tage später reist Zweifel nach Lugano, Mittagessen im italienischen Restaurant. «Bei den Antipasti habe ich dann gesagt, zwei Frischservices sind teuer, können wir das nicht zusammenlegen?», erzählt Zweifel. «Da sagt er, entweder gibt es eine Fusion oder gar nichts. Okay, habe ich gemeint, eine Fusion, aber wir übernehmen euch, nicht umgekehrt. Das sei ihm schon klar, hat er geantwortet. Da habe ich ihm gerade die Hand gegeben. Seitdem esse ich Antipasti so gern.» Damit gehört der Schweizer Chips-Markt Zweifel weitgehend allein. Ein paar kleinere Konkurrenten sind im Kampf der Grossen, Zweifel und Pavesi, zerrieben worden.
Erst knapp dreissig Jahre später, 2001, kommt der nächste grosse Herausforderer: Procter & Gamble mit seinen Pringles. Ein anderes Kaliber. Jetzt kämpft ein Schweizer Familienbetrieb gegen einen internationalen Multi. Da läuft nichts mehr mit heimlicher Spionage, aber die Kampfeslust, die Zweifel ? inzwischen nicht mehr operativer Chef, sondern Verwaltungsratspräsident ? packt, ist dieselbe. «Ich habe einen Artikel in der Personalzeitung geschrieben», sagt Zweifel, «Kampf ist der Vater aller Dinge.»
Vorsichtshalber kalkuliert Zweifel einen rückläufigen Umsatz. Er budgetiert sieben Millionen Franken für die Werbung, in den Jahren davor waren es immer nur um die vier Millionen. Seinen Mitarbeitern verspricht er eine Prämie, wenn der Marktanteil von Pringles unter zehn Prozent bleibt und der Umsatz wider Erwarten nicht schrumpft. Es gibt eine fette Prämie: Zweifel verkauft in dem Jahr elf Prozent mehr Chips, der Markt für Kartoffelchips wächst um 6,5 Prozent. Pringles? Marktanteil liegt heute bei etwa 10 bis 15 Prozent, der von Zweifel bei knapp über 50 Prozent. «Ich habe schon überlegt, dem Chäib einen Brief zu schreiben und ihm für den Gesamteffekt zu danken», sagt Zweifel.
Kurze Zeit später erobert Zweifel eine weitere Bastion: die Migros-Verkaufsregale. Seit Sommer 2002 verkauft auch die Migros, grösste Lebensmitteleinzelhändlerin der Schweiz, die Kartoffelchips mit dem Z auf der Packung. Zweifel hat es damit in den auserlesenen Kreis der Markenprodukte in Migros-Regalen geschafft; Migros verkauft sonst fast nur Eigenmarken. Und kannibalisiert sich mit den Zweifel-Chips nun sogar selbst: Zweifel- und Migros-Chips liegen Seite an Seite, in einigen Migros-Filialen gibt es nur noch die fremden Produkte.
Zweifels Trick: Er hat es in rund 45 Jahren geschafft, die Schweizer auf seine Kartoffelchips einzuschwören. Der Schweizer liebste Geschmacksrichtung ist Paprika. Paprika schmeckt bei Zweifel eher nach «Barbecue, wie Gulasch, ein bisschen nach Fleisch und Zwiebeln», sagt Zweifel, und damit anders, als zum Beispiel Paprika-Chips in Deutschland schmecken. Von rund 6000 Tonnen verkauften Zweifel-Chips pro Jahr haben 3130 Tonnen Paprikageschmack, das ist ein Marktanteil von rund einem Viertel allein für die Chips in den orangefarbigen Tüten.
Zweifel verdirbt sozusagen Schweizer Kinder fürs Leben: einmal Zweifel-Paprika-Chips, immer Zweifel-Paprika-Chips. Wie man die Kartoffelscheiben frittiert, ist an sich kein Geheimnis: Kartoffeln waschen, durch eine Art Zentrifuge mit Schmirgelpapier jagen und so schälen, schlechte Kartoffeln von Hand aussortieren, hobeln, nochmal waschen, damit überflüssige Stärke verschwindet, durch ein neun Meter langes Ölbad wirbeln, Gewürz darüberstreuen und einpacken. Details machen den Unterschied: die Kartoffeln mit Namen wie Erntestolz oder Lady Rosetta, das Sonnenblumenöl, in der Fritteuse auf rund 160 Grad erhitzt, die Gewürzmischung.
Im Prinzip funktionierte das schon so, als Zweifel das Chips-Geschäft von seinem Cousin Hans Meier erbte. Anfang der Fünfzigerjahre frittierte der Landwirt die ersten Kartoffelscheiben in einer alten Feldküchenpfanne. Die Idee hatte er aus den USA importiert. Als Meier 1956 starb, meinte Hans-Heinrich Zweifels Vater Heinrich, der im Zürcher Quartier Höngg eine Mosterei betrieb: «Chips machen Durst, Most löscht den Durst ? das passt gut zusammen.»
Hans-Heinrich, 25-jährig und frisch gebackener ETH-Agraringenieur, wurde praktisch über Nacht Chef einer Chips-Fabrik. Zunächst blieb die Chips-Herstellung unter dem Dach der väterlichen Mosterei, Heinrich Zweifel liess seinem Sohn aber freie Hand. Und nahm zähneknirschend die Verluste auf seine Kappe. Die Bilanzgespräche im September, Jahr für Jahr dasselbe: «Ihr macht zu viel Reklame», sagte der alte Zweifel. «Für dieses Jahr kann man das nicht mehr ändern, das ist schon ausgegeben», antwortete Hans-Heinrich Zweifel. «Aber dafür haben wir den Umsatz verdoppelt.» «Na, dann hoffen wir, dass nächstes Jahr besser wird.» Wurde es aber die ersten vier Jahre nicht. Geld frass vor allem der Aufbau des Frischservice ? der Zweifel dann letztlich half, den Kampf gegen Pavesi zu gewinnen.
Die grösste Niederlage steckte Zweifel bei dem Versuch ein, seine Chips in Ungarn zu verkaufen. Der erste grosse Versuch im Ausland, 1990. Zweifel zahlte jedes Jahr drauf und war 1994 froh, das Geschäft halbwegs günstig losschlagen zu können. Eine heikle Sache mit dem Ausland; auch mit Lizenznehmern klappte es nie besonders gut. Nur auf den Kanarischen Inseln verkaufen sich die Zweifel-Chips, wenn im Sommer die Schweizer dort Urlaub machen. Das Ausland hat immer noch seinen Reiz. Das Schönste wäre, so einen Klang zu bekommen wie Schweizer Uhren, Schweizer Schokolade, Schweizer Käse.
Eine der Aufgaben für den Firmenchef Mathias Adank, seit April 2002 im Amt. Der inzwischen 70-jährige Zweifel, ein Patron alter Schule, ist zwar noch fast täglich im Büro, doch befasst er sich als Verwaltungsratspräsident vor allem mit strategischen Fragen. Erste Bewährungsprobe für Adank, den ehemaligen Nestlé-Manager: die Diskussion über das Krebs erregende Acrylamid in Chips. Adank senkte die Temperatur des Öls, verlangsamte das Frittieren und drückte so den Acrylamid-Wert in den Chips. Das ist teurer, dafür verkaufte Zweifel nicht weniger Chips ? wohl auch deshalb, weil bis heute nicht eindeutig klar ist, wie ungesund das Gift wirklich ist.
Früher oder später soll die Firma wieder ganz zurück in Familienhand ? und an die Börse auf keinen Fall. Zweifels jüngster Sohn, Christoph, verdient sich seine Sporen noch bei einem anderen Lebensmittelunternehmen ab, hat aber Interesse am väterlichen Betrieb, Tochter Barbara sitzt im Verwaltungsrat.