Letzte Woche startete in Arosa das Humorfestival. Den Humor verloren aber hat Tourismusdirektor Hans-Kaspar Schwarzenbach angesichts der Entwicklung, die er skizziert: 1994 wurden in Arosa 1,15 Mio Logiernächte gezählt, heuer sind es noch 910000. Zahlreiche Hotels wurden geschlossen, rund 2000 Hotelbetten sind in den letzten Jahren verschwunden. Und die Aussichten sehen düster aus: Bis 2014 werden weitere 1000 Hotelbetten vernichtet, falls die Entwicklung so weiterläuft. Aber nicht nur Hotels, sondern auch zahlreiche Dienstleistungsbetriebe machten in jüngster Zeit den Laden dicht. Seit 1989 hat das 3200 grosse Seelendorf 500 Arbeitsplätze verloren.

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Dafür boomen die Zweitwohnungen, die oft auf Grundstücken früherer Hotels entstehen. Auf 4500 Hotelbetten kommen in Arosa 4000 Zweitwohnungsbetten, die nicht vermietet werden, so genannte kalte Betten. Sie sind dem Tourismusdirektor ein Dorn im Auge. Denn sie belasten die Gemeinde. Diese muss die Infrastruktur Elektrizität, Kanalisation, Bussystem auf die Spitzenzeiten im Winter ausrichten, in denen sich während nur zwei Wochen rund 25000 Personen im Kurort tummeln. «Wir müssen eine Kläranlage bauen und unterhalten, die für eine Stadt wie Frauenfeld angemessen wäre», klagt Schwarzenbach. Auch staatliche Dienstleistungen wie Feuerwehr, Sanität, Polizei müssen aufgrund des Zweitwohnungsbestandes im erhöhten Umfang bereit gehalten werden.

Zweitwohnungen sind aber durchschnittlich nur 30 Nächte pro Jahr belegt im Gegensatz zu Hotelbetten, in denen pro Jahr während 130 Nächten ein Gast schläft.

Die Gemeinde hat deshalb Alarm geschlagen und ihre Einwohner in einer Umfrage nach der gewünschten Entwicklung befragt. Das Resultat: Die Einwohner möchten 1,1 Mio Logiernächte in ihrem Kurort, was gegenüber heute ein Wachstum von 20% bedeuten würde.

Baugewerbe wird mächtiger

Der Wohnungsbau hat aber nicht nur negative Seiten für den Tourismusort. Er kurbelt die Bauwirtschaft an. Und ermöglicht sogar Investitionen in dringend nötige Hotelrenovationen. So konnte Anfang Dezember das Waldhotel National in Arosa eine neue Wellnessanlage einweihen, dank finanziellen Mitteln, die aus dem Verkauf von Eigentumswohnungen fliessen. Elf Appartements mit 31/2 bis 61/2 Zimmern wurden neben dem Waldhotel National erstellt, die Andy Abplanalp, Hauptaktionär des Hotels, für 900000 bis 3 Mio Fr. verkauft. Er hofft, dass die betuchten Privatgäste aus der neuen Überbauung auch die Hotelrestaurants besuchen werden.

Auch Thomas Bieger, Professor am Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus an der Universität St. Gallen, sieht nicht nur Nachteile im Bau und Verkauf von Zweitwohnungen: «Die erzielten Verkaufserträge sind primäre Einkommen, eigentliche Exporterlöse, die von aussen in die Region fliessen.» Es werden Arbeitsplätze im Bau und in den angelagerten Branchen geschaffen. Allerdings überwiegen für ihn die Nachteile bei der überhitzten Zweitwohnungsentwicklung, wie sie zurzeit in den Top-Destinationen in Graubünden verläuft. «Um Arbeitsplätze in der Baubranche zu erhalten, müssen immer wieder weitere Zweitwohnungen errichtet werden. Die Ortschaft wird zersiedelt, der Verkehr nimmt zu, die Fensterläden bleiben mehrheitlich geschlossen.» Damit verliert der Tourismusort an Attraktivität, es entstehen Geisterdörfer. Zudem würde vor Ort das ohnehin starke und politisch einflussreiche Baugewerbe noch mächtiger.

Jüngstes Beispiel für die Macht der Baulobby: Soeben hat der Grosse Rat im Kanton Graubünden einen Antrag abgeschmettert, der im Raumplanungsgesetz den Zweitwohnungsbau eindämmen wollte. Und auf Bundesebene befürwortet der Bundesrat gar eine Aufhebung der Lex Koller, die den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland beschränkt. Was dem Zweitwohnungsbau zusätzliche Impulse verschaffen wird.

Eine kurzsichtige Perspektive: Touristikexperte Bieger sieht als grösstes Problem des Schweizer Tourismus nicht die im Vergleich zu Österreich überhöhten Preise, sondern die vielen Zweitwohnungen. Im Tirol beispielsweise werden Zweitwohnungen gesetzlich limitiert, entsprechend beträgt ihr Anteil nur 8%. Bieger schlägt vor, beim Zweitwohnungsbau Sondergebühren zu fordern, die dann in den Tourismus und die Bergbahnen fliessen.

Das Wirtschaftsforum Graubünden wiederum plädiert für eine Erhöhung der Liegenschaftssteuer. So würde bei einer solchen Erhöhung um 1ä der Gemeindesteuerfuss in Arosa von 90 auf 76% gesenkt werden können.

St. Moritz läuft aus dem Ruder

Noch ist der Kampf nicht entschieden. In verschiedenen Gemeinden in Graubünden sind Eingaben für die Eindämmung von Zweitwohnungen noch hängig. So wird im Februar in elf Gemeinden des Kreises Oberengadin über eine Initiative abgestimmt, die den Bau von Zweitwohnungen limitiert. Und letzte Woche hat der Architekt Robert Obrist in St. Moritz eine Motion eingereicht, die den Bau von Zweitwohnungen auf 3500 m2 pro Jahr kontigentieren möchte. «Die Entwicklung ist komplett aus dem Ruder gelaufen», begründet Obrist seinen Vorstoss.

Dieselbe Ansicht vertritt auch der St. Moritzer Kurdirektor Hanspeter Danuser: «Die Alarmglocken läuten. Wir müssen die Situation in den Griff bekommen. Es muss ein wieder gesundes Mass entstehen.» Über 100 Mio Fr. betrage das jährliche Bauvolumen bei einer Einwohnerzahl von nur 5500. Ein gesundes Mass wäre für Danuser ein Anteil von Zweitwohnungen von unter 10%. Heute aber sind in St. Moritz 60% der Wohnungen Zweitwohnungen.

Als erstes Zwischenziel möchte Danuser den Anteil auf 50% herunterdrücken. Auch wenn das schwierig ist: «Wenn man ein Hotel in Wohnungen verwandelt, erhält man viel leichter Geld, als wenn man in ein Hotel investiert», erklärt Danuser. «Die Hotels aber beflügeln das Tal nachhaltiger und langfristiger.»