Das Zögern will nicht recht zu ihm passen. Franz Julen, bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, muss sich zurücknehmen. Fragen zum Discount-Riesen Aldi, bei dem er seit 2016 im Beirat sitzt, darf er nicht beantworten. Die Nachkommen von Gründer Karl Albrecht verbitten sich jeden Kommentar zum Unternehmen. Dafür gibt Julen einiges über den Kiosk-Konzern Valora preis, dessen Verwaltungsrat er führt. Wir treffen ihn am Hauptsitz in Muttenz. Ein äusserlich trister Bau mit moderner Grossraumbürolandschaft im Innern.
Herr Julen, Sie waren 17 Jahre lang CEO des weltgrössten Sporthändlers. Vermissen Sie die glamouröse Welt des Sports, gerade jetzt im WM-Jahr?
Nein. Seit 2006 ist es der erste WM-Final, bei dem ich nicht im Stadion bin. Ich war an acht Champions-League-Finals dabei. Nicht einmal das vermisse ich. Ich geniesse es, das Ganze aus der Distanz zu verfolgen.
Sie hatten einen Vertrag bis 2018. Warum verliessen Sie Intersport schon zwei Jahre früher?
Die Firma brauchte nach 16 Jahren wieder frisches Blut. Ich traf den Entscheid im Mai 2015, als ich im Flieger auf dem Heimweg vom halbjährlichen Intersport-Go-to-Market-Meeting in Madrid war. Ich hielt wie jedes Mal meine Brandrede. Da dachte ich mir: Die armen 400 Mitarbeitenden aus der ganzen Welt müssen mich bis Ende 2018 noch sieben Mal reden hören. Es gibt genug CEOs auf dieser Welt, die nicht loslassen können.
Viele dachten, Sie würden in den Intersport-VR wechseln.
Ein CEO, der nachher VR-Präsident wird, will weiter CEO sein. Davon bin ich überzeugt. Für mich war das nie ein Thema. Obwohl ich jeden Tag mit viel Leidenschaft und Stolz zur Arbeit ging, habe ich mich von Intersport komplett gelöst.
Sie sagten einmal, Sie würden Intersport «mit Zuckerbrot und Peitsche» führen. Gilt das auch für Valora?
Ich habe hier als Präsident eine andere Rolle. Ich nehme mich viel mehr zurück. Meine Aufgabe ist es, den VR zu führen und Sparringspartner von CEO Michael Mueller zu sein. Wir haben ein sehr enges, vertrauensvolles und gutes Verhältnis. Innerhalb von VR und Konzernleitung diskutieren und analysieren wir gemeinsam. Dann wird entschieden, und der CEO setzt speditiv, kompromisslos und konsequent um. Ich nenne das Demokratur.
Franz Julen (59) ist einer der umtriebigsten Deal-Maker im Land. Er absolvierte die Hotelfachschule und betreute den Skirennfahrer Max Julen, seinen Bruder, der 1984 Olympiasieger im Riesenslalom wurde. Nach Stationen als Sportreporter, Vermarkter und Skihersteller übernahm er 1998 die Führung bei Intersport. In seinen 17 Jahren beim Sportartikelhändler verdoppelte er den Umsatz auf über 11 Milliarden. Heute präsidiert er Valora und sitzt im Beirat von Aldi Süd. Im September wird er Präsident der Zermatt Bergbahnen.
Valora setze jetzt auf «Foodvenience», heisst es im Jahresbericht. Können Sie uns den Begriff erklären?
Das ist die Kombination von «Food» und «Convenience» – Essen und Bequemlichkeit. Wir sind überzeugt, das wird immer mehr zusammenwachsen. Verpflegung unterwegs ist ein Megatrend. Wir werden darum immer mehr frische Ware anbieten – Sandwiches, Salate, Müesli und so weiter.
Letztes Jahr haben Sie die deutsche Kette BackWerk übernommen. Läuft das auch unter Foodvenience?
Das ist sogar ein Vorreiter. BackWerk war früher einfach eine Bäckerei. Die haben früh realisiert, dass sie mehr Frische ins Sortiment bringen müssen und mehr On-the-go. Also Essen, das man im Büro oder unterwegs konsumieren kann. Das war auch ein Grund, warum wir das Unternehmen gekauft haben. Es hat bewiesen, dass eine solche Transformation funktioniert.
In Deutschland betreiben Sie 350 BackWerk-Filialen. In der Schweiz gibts aber erst zwei. Kommt da noch was?
Ja, wir haben die Absicht, mit BackWerk zu expandieren. Als Franchise-System sind wir neben Deutschland bereits in Holland und Österreich gut vertreten. Wir werden auch hier wachsen. Aber zuerst modernisieren wir die beiden bestehenden Standorte. Bis Ende 2022 wollen wir international 80 bis 100 Neueröffnungen haben.
Sie setzen bei Valora verstärkt auf das Franchise-Modell. Ist das die Zukunft?
Damit stärkt man den Unternehmergeist. Die Hauptaufgabe der Franchise-Nehmer ist es, zu verkaufen und sich um den Kunden zu kümmern. Andere Bereiche wie Sortiment, Marketing, Ladenbau, IT und Lieferung nimmt ihm der Franchise-Geber weitgehend ab. Ich bin überzeugt, dass dies dem voll integrierten System überlegen ist. Zwei Drittel des Valora-Netzwerks bestehen heute aus Franchise-Nehmern oder Agenturen. Wir betreiben aber auch weiter eigene Filialen. Es braucht den Mix.
Wie hoch ist Ihr Valora-Pensum?
40 bis 50 Prozent. Ich weiss nicht, wie das diese Multi-VRPs zeitlich machen. Also ich könnte das nicht.
Valora hat seit 2016 einen Mann in San Francisco, der die Retail-Trends aus dem Silicon Valley aufspüren soll. Was erzählt der Ihnen?
So einiges. Die Ideen für unsere Apps kommen aus dem Valley. Das Team des Valora Lab, zu dem auch unser Mann in San Francisco gehört, hilft uns schliesslich, die Kundendaten zu nutzen, um damit die Kundenzufriedenheit, das Sortiment und die Personalplanung zu verbessern und personalisierte Angebote zu schaffen. Mit dem Lab konzipieren wir nun einen Future Store, den wir Anfang 2019 am Zürcher Hauptbahnhof eröffnen wollen.
Future Store?
Das wird eine neue Form des Convenience Stores, ausgerüstet mit neuester Technologie. Dazu zählt auch Self-Check-out. In erster Linie geht es darum, dass der Kunde schnell zu seinem Einkauf kommt. Es wird erst mal ein einzelner Shop mit diversen Innovationen, also noch kein Konzept, das wir gleich auf 500 Filialen ausrollen. Aus technologischer Sicht werden wir eine neue Dimension im Retail erreichen! Mehr will ich noch nicht verraten.
Wollen Sie so die SBB überzeugen, dass Valora auch nach 2020 die momentan 200 Convenience-Flächen an den Bahnhöfen mieten darf? Die wurden überraschend neu ausgeschrieben.
Wir sind in einem ständigen Dialog mit den SBB, darum kommt die Ausschreibung nicht überraschend. Wir stellen uns dem Wettbewerb und rechnen uns sehr gute Chancen aus. Auch in der jüngsten Ausschreibung am Flughafen Zürich waren wir erfolgreich. Wir haben bewiesen, dass wir Trends vorausschauend aufgreifen und die Formate ständig weiterentwickeln. Wie beim Future Store.
Bald kommt die Schweiz-Offensive von Amazon. Was sind die Folgen für den Schweizer Detailhandel?
Wettbewerb ist gut. Das wird den Detailhandel innovativer machen. Ich höre leider den Ruf nach Protektionismus. Das ist typisch schweizerisch. Warum nicht zusammenarbeiten? Amazon hat das technologische Know-how, wir haben die besten Hochfrequenz-Standorte. Den Kampf gegen die Tech-Giganten kann man nicht gewinnen, das zeigt der Fall Siroop.
Der Valora-Kiosk als Pick-up-Standort für Amazon-Päckli? Verhandeln Sie schon?
Dazu geben wir keine Auskunft.
Was ist bei Siroop falsch gelaufen?
Ich kann das nicht beurteilen. Gegen einen solchen Tech-Giganten anzukommen, ist Mission Impossible. Mit Coop und Swisscom standen zwei Topunternehmen hinter dem Marktplatz – eigentlich eine ideale Konstellation. Das sagt doch alles.
Warum arbeitet denn Aldi nicht mit Amazon zusammen?
Ich bin stolz, im Beirat der Unternehmensgruppe Aldi Süd zu sein. Ich lerne viel und kann meine internationale Detailhandelserfahrung einbringen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, als Mitglied des Gremiums zur Geschäftsentwicklung von Aldi Auskunft zu geben.
Dürfen wir fragen, wie es dazu kam?
Ich wurde angefragt. Wir haben uns schnell sehr gut verstanden. Ich kann mich mit den Werten identifizieren. Ich spüre das Vertrauen und habe den Entscheid noch keinen Tag bereut.
Die Albrechts sind verschwiegen, über den Beirat weiss man eigentlich nur, dass er «die Werte und Traditionen des Familienunternehmens Aldi Süd bewahren» muss. Von den sechs Mitgliedern sind drei aus der Familie und drei Externe. Davon sind Sie der Einzige mit Detailhandelserfahrung. Stimmen unsere Recherchen?
Ich will mich zu diesem Gremium nicht äussern. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich beobachte: Die Schweizer wachen langsam auf und realisieren, dass Aldi nicht der böse deutsche Eindringling ist. Viele sind dankbar, dass Aldi in die Schweiz gekommen ist und die viel zu hohen Lebensmittelpreise gedrückt hat.
Wenn wir bei Migros und Coop einkaufen, geht der Profit in eine Genossenschaft, die Kultur und Sport unterstützt. Bei Aldi bereichert sich eine milliardenschwere Familie in Deutschland.
Es ist jedem Konsumenten überlassen, wo er einkauft. Bei Aldi erhält er ein Top-Produkt zu einem Superpreis. Ganz ehrlich: Migros und Coop sind Benchmarks im internationalen Lebensmitteldetailhandel. Auch wegen ihrer Loyalitätsprogramme. Aber es gibt kein anderes Land, in dem zwei Giganten einen so hohen Marktanteil besitzen. Auch ihre Margen sind mit Abstand die höchsten in der Branche.
So richtig vom Fleck kommt Aldi in der Schweiz nicht. Vor allem in den Städten findet der Discounter kaum Filialen.
Ich kommentiere keine Fragen zur Geschäftsentwicklung bei Aldi.
Rolando Benedick, Ihr Vorgänger bei Valora, meinte einmal über Sie: «Er sagt, was er denkt, das ist fantastisch!» Machen Sie das auch im Aldi-Beirat?
Sicher. Egal, was ich mache, mit wem ich zu tun habe: Ich sage immer deutlich meine Meinung und nehme nie ein Blatt vor den Mund.
Spüren Sie von Albrechts Dankbarkeit, dass Sie dort immer Ihre Meinung sagen?
Ja, es wird geschätzt.
Was heisst das für Lebensmittelhändler, wenn Amazon zunehmend über das Angebot Fresh frische Ware liefert?
Im Sport lagen wir mit unseren Prognosen falsch, dass der Onlinehandel nur einzelne Bereiche erfassen würde. Das gilt auch für Lebensmittel. Die grosse Frage wird sein: Wer schafft es da als Erstes, profitabel zu werden? Es ist auf jeden Fall ein Kundenbedürfnis. Letztlich wird sich der ganze Einzelhandel on- und offline verbinden. Wer keine optimale Onlinelösung hat und diese Verzahnung nicht umsetzt, ist weg. Darum kaufen E-Commerce-Giganten wie Amazon, Alibaba oder Zalando immer mehr stationäre Händler.
Warum werden Sie im September das Amt des VR-Präsidenten der Zermatt Bergbahnen übernehmen? Familie Julen dominiert das Dorf ja sowieso.
Das ist für mich eine Herzensangelegenheit. Auf allen Intersport-Reisen habe ich immer voller Stolz über mein Zermatt geredet. Aber auch Zermatt als Topdestination hat Herausforderungen. Ich möchte mithelfen, diese zu meistern. Als die Anfrage kam, habe ich die Entscheidung in zwei Sekunden getroffen.
Ende September nimmt Zermatt die neue 3S-Bergbahn in Betrieb, die höchste der Welt. Warum braucht es die? Es gibt bereits eine Bahn aufs Klein Matterhorn.
Ja, mit grossen Wartezeiten. Wir reden über ein Projekt, das weltweit einzigartig ist. Unter widrigsten Umständen wird dort auf fast 4000 Metern eine Pionierleistung erbracht. Wir werden weiter investieren: in Bahnen, in Beschneiungsanlagen, in Pisten. Der Winter ist gesetzt. Aber Zermatt hat noch viel Potenzial im Sommer. Dafür braucht es die neue Bahn aufs Klein Matterhorn. Und die Vision ist, dass es 2021 auch eine Bahn von der italienischen Seite, von Testa Grigia, aufs Klein Matterhorn gibt. Dann sind Italien und die Schweiz 365 Tage im Jahr verbunden. Später sollen zwei weitere italienische Bahnen dazukommen, um weitere 180 Kilometer Pisten zu erschliessen. Damit werden wir zu einem der weltweit grössten Skigebiete.
Also noch mehr Andrang.
Zermatt hatte immer einen gesunden Respekt vor der Kommerzialisierung. Wir werden auch in Zukunft kein Disneyland auf dem Klein Matterhorn machen. Wir werden es ausbauen, aber zusammen mit den Umweltverbänden und dem nötigen Respekt vor der Natur.
Das heisst auch in Zukunft keine Tagestouristen – das ist ja die USP von Zermatt.
Ja, aber der Konsument ändert sich ständig. Da muss man sich auch anpassen.
Wenn man sich die Bilanz der Zermatt Bergbahnen anschaut, scheint es: Sie wissen nicht, wohin mit dem Geld. Gleichzeitig hat Zermatt die höchsten Ticketpreise der Schweiz. Wäre es nicht sinnvoller, die Überschüsse für eine Preissenkung zu verwenden?
Beim Preisdumping werden wir nicht mitmachen. Die Zermatt Bergbahnen stehen weiterhin für Topqualität zu einem fairen Preis. Unser Umsatz liegt bei 69 Millionen Franken, wir wollen daraus weiterhin zwischen 25 und 30 Millionen Franken Cashflow generieren. Wir brauchen das für die notwendigen Investitionen, auch zum Erhalt der Substanz und für Dividenden. Wir wollen uns auch nicht weiter verschulden. Und das Skigebiet zu betreiben, kostet pro Tag 280 000 Franken. Wir halten an unserer Preisstrategie fest. Aber wir werden Dynamic Pricing einführen.
Konkret?
Die Zeit ist vorbei, als eine Tageskarte das ganze Jahr über gleich viel kostete. Es wird Vor-, Grund- und Hochsaisonpreise geben. Es gibt einen Onlinerabatt und einen für Frühbucher. Wir wollen die Auslastung glätten. In nachfrageschwachen Zeiten werden die Tickets günstiger, in nachfragestarken teurer. Wie bei einer Airline.