Spielten Steinzeitmenschen eine Art Klarinette? Oder waren die mit Löchern versehenen Röhrenknochen, in die sie hineinbliesen, doch eher eine Flöte? Eine heiss diskutierte Frage unter Fachleuten, die sich Mitte August in Berlin treffen.

Adje Both, Mitinitiator der 2. Sommerschule Musikarchäologie des Berliner Antike-Kollegs, demonstriert ein nachgebautes Instrument, auf dessen abgeschrägtem Mundstück eine Lamelle aus Birkenrinde sitzt. Er bläst beherzt hinein, ein sonores Brumm-Tröten erklingt, das zwar nicht direkt an eine Klarinette erinnert, aber laut ist, klangvoll und in der Tonhöhe modulierbar.

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38'000 vor Christus erste Instrumente

Unsere Steinzeitvorfahren hatten erwiesenermassen schon etwa 38'000 vor Christus erste Instrumente, denen sie Töne entlockten, sagt der Musikarchäologe. «Wir haben einige wenige, aber dafür spektakuläre Funde aus dieser Zeit.»

Viele stammen aus Deutschland, aus mehreren Höhlen auf der Schwäbischen Alb. «Dort wurde auch der Geierflügelknochen mit der ungewöhnlichen, lang abgeflachten Schräge gefunden. Ein solches Endstück ist als Flöte über den Rand kaum blasbar.» Also kam die Klarinetten-Theorie mit der in Schwingung versetzten Birkenrinde ins Spiel.

Faszinierende Machart

Ein anderer Fund aus der schwäbischen Geissenklösterle-Höhle ist aus Mammutelfenbein geschnitzt - mit geradem Blasrand. Eindeutig eine Flöte, sagt Both. Und auch wenn die Frage, ob nun das Prinzip Klarinette oder die Flöte früher da war, vielleicht immer offen bleibt, fasziniert ihn die Machart.

«Die Menschen hatten ja noch keinen Bohrer, sondern mussten das Elfenbein aufspalten, die Hälften aushöhlen und dann irgendwie mit Naturmaterialien wieder zusammenkleben.»

«Vielleicht sogar tatsächlich zum Vergnügen»

Mögliche andere Instrumente der Höhlenbewohner: Sogenannte Schwirrhölzer, bei denen ein rhombenförmiges Blättchen an einer Schnur durch die Luft gewirbelt wird und ein sphärisches Surren erzeugt. «Ein brummendes, geheimnisvolles Geräusch», kommentiert Both und berichtet von besonders attraktiven Exemplaren aus Rentiergeweih - «schön dekoriert mit Ritzungen».

Wozu diese Musik gespielt wurde? Darüber können die Forscher nur spekulieren, denn Wandmalereien gibt es nicht. Naheliegend seien oft schamanische Praktiken, für Tierzauber oder Jagdglück.

«Aber auch Regenzauber oder Rituale, um Ahnen oder Dämonen zu beschwören, sind bei manchen Instrumenten denkbar. Musik an sich ist ja eine magische Sache», sagt Both. Daneben gebe es aber durchaus Hinweise, dass auch im «häuslichen Kontext» musiziert wurde. «Vielleicht sogar tatsächlich zum Vergnügen.»

Spezielle Klänge in den Höhlen

Vor etwa 18'000 Jahren dann ein weiterer Meilenstein: Im Gebiet der heutigen Ukraine wird eine «Winterstation» eiszeitlicher Jäger aus dieser Zeit gefunden - mehrere Hütten, gebaut aus Mammutknochen und Stosszähnen, die als eine Art Zeltstangen fungierten und vermutlich mit Fellen bedeckt wurden. «Eine der vier bis fünf Hütten war anders als die anderen: Man fand ein richtiges Ensemble aus verschiedenen, mit roten Zackenlinien verzierten Knocheninstrumenten», sagt Both.

In den Höhlen von Isturitz (Frankreich) lagen die Überreste von immerhin 22 Vogelknochenflöten nebeneinander. «Und das sind grosse Hallen mit faszinierendem Hall», beschreibt Both. Auch sogenannte Litophone, Steine mit natürlichen Resonanzen, gibt es in den Tropfsteinhöhlen.

«Eine Art Natur-Xylofon»

«Die lamellenartigen Steinstrukturen funktionieren wie eine Art Natur-Xylofon.» Sprich: Es braucht nur noch Schlegel, um sie zum Klingen zu bringen.

Für Musikarchäologen bleibt in der Steinzeit, die erst mit der Sesshaftwerdung der Menschen um etwa 2000 vor Christi zu Ende ging, letztlich vieles Spekulation. Dennoch ist Both überzeugt: «Genau in diesem Moment entstand Kunst.»

(sda/gku)