Das Gehalt war bereits vereinbart, seine sportlichen Qualitäten waren unbestritten. Und doch beschlichen die Vorstandsmitglieder des Hamburger SV ernste Zweifel. In seiner Funktion als Fussballlehrer sei Jürgen Klopp zwar voll geeignet für den neu zu besetzenden Trainerposten, aber der Verein müsse eben auch die Außendarstellung bedenken.
Dass er mal zu spät gekommen war, könne möglicherweise auf eine generelle Unzuverlässigkeit zurückzuführen sein. Vor allem aber störten sich die Verantwortlichen am Erscheinungsbild des damaligen Trainers des FSV Mainz 05, dieses nonchalanten, bärtigen Lautsprechers. Flapsig sei er, war in einem internen Dossier zu lesen, unrasiert, mit langen Haaren auf dem Kopf und löchrigen Jeans an den Beinen. Was sollte denn die Öffentlichkeit denken? Kurzum: Dieser Klopp sei nicht vermittelbar, nicht vorzeigbar. Neuer HSV-Trainer wurde der Niederländer Martin Jol. Klopp ging zu Borussia Dortmund. 2008 war das.
Trainer des Jahres 2011 und 2012
Sechs Jahre später ist der HSV ein Abstiegskandidat, der seinerzeit unmittelbar vor dem Bankrott stehende BVB hingegen gewann zwei deutsche Meisterschaften, den DFB-Pokal und erreichte das Finale der Champions League. Jürgen Klopp wurde 2011 und 2012 zum Trainer des Jahres gewählt, ist der beliebteste Mann im deutschen Fußball und hat sein Image clever vermarktet. Nach «Welt»-Informationen verdient der 46-Jährige jährlich – erfolgsabhängige Prämien exklusive – mittlerweile 2,3 Millionen Euro durch Werbung.
Klopp ist zum großen Sympathieträger mutiert – europaweit. Selbst die Engländer verehren ihn aufgrund seiner Emotionalität, seiner Authentizität, seines Humors und seiner sportlichen Erfolge. Seit dem Triumphzug durch Europas Königsklasse in der vergangenen Saison gibt es keinen großen Klub der Premier League, der seinen Namen bei seiner Trainersuche nicht auf dem Zettel hat. Jürgen Klopp – flapsig, unrasiert und mit geringem Interesse für modische Trends – ist so etwas wie nationales Kulturgut und längst erster Anwärter auf das Amt des Bundestrainers, sollte es irgendwann vakant sein.
Wir wissen, welchen Rasierer Klopp benutzt
Er lächelt von Plakatwänden, scherzt mit Zlatan Ibrahimovic auf einer Galaveranstaltung, grinst uns im Vorabendprogramm aus dem Fernseher ins Wohnzimmer und hüpft am Wochenende so lange jubelnd an der Seitenlinie auf und ab, bis die Kappe mit dem «Pöhler«- Schriftzug vom Kopf gewackelt ist. Im TV sehen wir, wie er morgens seinen Bart stutzt und später seine Spieler im Auto spazieren fährt. Wir wissen, welchen Rasierer er benutzt und bei welcher Bank er sein Konto hat.
Klopp gehört zum Leben dazu, wir begegnen ihm beinahe täglich. Er bringt uns zum Staunen, zum Lachen, manchmal auch zum Nachdenken – die 70-jährige Rentnerin, wie den Zwölfjährigen Nachwuchskicker. Einer für alle – und alle für Klopp. Im «Kicker«»spricht er über 4-4-2 und Gegenpressing, in der «Bunten« über Liebe auf den ersten Blick und vor Studenten der Sporthochschule Köln über Motivation und Leistungsdiagnostik. Er bespielt die gesamte Klaviatur, sein Wort hat Gewicht. Er ist auf dem besten Weg, Franz Beckenbauer zu beerben. Jürgen Klopp als Kaiser 2.0. «Nein», an dieser Stelle widerspricht Marc Kosicke, «er ist Kloppo 1.0 – er trifft den Zeitgeist.»
Klopps Berater entdeckte eine Marktlücke
«Kloppo« – ein Name, der beim Versuch hilft, sich dem Phänomen zu nähern. Kein anderer Bundesligatrainer hat es verstanden, sich in diesem Maße zu vermarkten und aus seiner Popularität Kapital zu schlagen. «Kloppo« ist im doppelten Sinn der Mann für Millionen.
Kosicke ist nicht ganz unbeteiligt, dass aus dem Jürgen aus Glatten im Schwarzwald irgendwann der «Kloppo« für alle wurde. Ihre gemeinsame Geschichte beginnt in Mainz.
Kosicke war Sports Marketing Director bei Nike, und Klopp bat ihn um ein Sponsoring. Wenn Nike ihm nichts dafür zahlen wolle, so wäre das in Ordnung. Aber er fände die Marke und die Klamotten einfach so toll... Er bekam die Sportartikel, und als Kosicke zum 28. Februar 2007 beim Sportartikelhersteller kündigte und sich als Berater von Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff selbstständig machte, blieb die Zusammenarbeit auf Wunsch des Trainers bestehen.
Kosicke hatte eine Marktlücke erschlossen, die Agentur Projekt B wuchs schnell, heute zählen etwa 20 Personen aus Sport und Medien zu seinen Klienten – vornehmlich Fußballtrainer wie Bruno Labbadia, Holger Stanislawski oder Torsten Lieberknecht – mit Jürgen Klopp als bestem Pferd im Stall. «Wir mussten damals ein paar ganz schön dicke Bretter bohren«, erinnert sich Kosicke an Klopps Anfangszeit. Nicht nur in Hamburg gab es Vorbehalte.
Extrem gut zu vermarkten
Klopp, der 2001 als Spieler von Mainz 05 über Nacht den Trainerjob übernommen hatte, besaß trotz des Bundesligaaufstiegs drei Jahre danach kaum Lobby. Ein lustiger Vogel, herzlich, durchaus sympathisch und in seinem Mikrokosmos auch erfolgreich, aber mit seinem schwäbischen Idiom und der 18-jährigen Tätigkeit bei der Fahrstuhlmannschaft doch eher einer für die Provinz.
2005 begann er als TV-Experte im ZDF, steigerte seine Popularität immens und wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet – rückblickend die Grundsteinlegung für den wirtschaftlichen Erfolg. «Wir haben seinerzeit entschieden, erst einmal gar nichts zu machen. In erster Linie wollte Jürgen immer zeigen, dass er ein guter Bundesligatrainer ist», sagt Kosicke, «alle gut vermarkteten Leute sind erst mal auch sportlich erfolgreich.»
Klopp sanierte die vor der Insolvenz stehende Borussia und schuf damit auch für sich Werte. Sein Habitus des lockeren, lustigen, zugleich aber extrem fleißigen und erfolgreichen Arbeiters kam an. Der «Kloppo«, ein Typ von nebenan, war geboren. Und dieser war extrem gut zu vermarkten.
«Man nimmt es ihm ab»
«Grundsätzlich müssen sich Unternehmen überlegen, über welche Kanäle und mit welchen Botschaften sie mit den Konsumenten kommunizieren wollen», erklärt André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing, «und der Sport gibt uns authentische Emotionen, die sich Unternehmen erst durch Werbespots künstlich aufbauen müssten. Man borgt sich daher ein Image von einer Sportorganisation oder Person.»
Gäbe es ein besseres als das des authentischen, sympathischen, erfolgreichen Typs, der die Werte dieses beliebten Klubs neu auffüllte? Gäbe es einen besseren als den – im positiven Sinne – Menschenfänger «Klopp»«? «Wir hatten nie vor, Jürgen Klopp als Marke aufzubauen», beteuert Kosicke, «es geht um geleistete Arbeit und die Persönlichkeit, die man hat. Sportlicher Erfolg ist die Grundlage für eine gute Vermarktung.»
Und so warb «Kloppo« für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», fuhr Mitsubishi, später Seat, liess sich von der Ergo versichern und trommelte für die Volksbanken und Raiffeisenbanken, wo er ohnehin schon seit 15 Jahren ein Genossenschaftskonto hat. «Jürgen Klopp lässt sich einfach gut vermarkten. Er ist ein extrovertierter Typ, mit dem man einiges machen kann», sagt Bühler, «dem nimmt man eben ab, dass er im Opel rumfährt. In die S-Klasse von Mercedes würde er eher nicht passen.»
Vier Sponsoren, drei Unterstützer
Opel ist einer von vier aktuellen Sponsoren. Er wirbt zudem für Puma, die VR-Bank und ist offizieller Partner von Philips im Bereich Male Grooming und Shaving, wie es im Jahr 2014 stilecht heißt. Zwischenzeitlich rasierte er sich sogar in einem TV-Werbespot seinen Bart ab, ließ die blonde Pracht aber wieder sprießen und besetzt als Testimonial heute eher den Langhaarschneider des niederländischen Unternehmens.
Die Engagements bei Opel und Puma, beide Sponsoren von Borussia Dortmund, sind an die Laufzeit der Kontrakte beim BVB gekoppelt, alle anderen Verträge haben mittelfristige Laufzeiten. Unter drei Jahren ist Klopp nicht zu bekommen.
Das Portfolio komplettieren drei sogenannte Wohlfühlpartner: Skiclub Kampen, ein Sylter Herrenausstatter und Spirituosenhersteller, das italienische Brillenunternehmen Luxottica , dem Marken wie Ray-Ban, Oakley oder Persol gehören, und der Uhrenhersteller TW Steel. Hier fließt kein Geld, es gibt keine Sponsorentermine. Die Unternehmen haben keine Rechte, statten Kloppo aber großzügig aus. «Mit zunehmenden Erfolg konnten wir die richtigen Partner auswählen, die Jürgen in seiner Echtheit unterstützen», so Kosicke. «Es ist für mich eine Ehre mit Puma zusammenarbeiten zu dürfen», versichert Klopp, «wenn die Treter scheiße wären, würde ich sie nicht anziehen. Egal, wer sie gemacht hat.»
Die Zeiten des Tapetenkleisters sind vorbei
Die Zeiten, als er etwas unbeholfen aus dem persilweißen Hemd grinste und mit einem Tapetenkleister in der Hand seinen Spruch aufsagte («Bei jedem Einsatz Höchstleistung«), sind vorbei. Vor allem aber sollen nun keine weiteren Sponsorings mehr dazu kommen. Die aktuellen Partner sprechen sich über die Zeitpunkte ihrer Kampagnen ab, um beim Konsumenten eine Übersättigung zu verhindern. «Vier Partner, die den 360-Grad-Ansatz mit TV, Print und Digital verfolgen, reichen» , weiß Kosicke, will sich auf die Bereiche Auto, Sportartikel, Bank und Rasierer aber nicht grundsätzlich festlegen: «Jürgen steht auch für andere Segmente, wie beispielsweise Telekommunikation oder Kaffee.»
Auch andere Trainer ließen sich problemlos mit Produkten assoziieren. Wer könnte sich den stilsicheren Bruno Labbadia nicht als Botschafter einer teuren Uhr oder als deutschen George Clooney für einen Espresso werbend vorstellen? Sami Hyypiä, Leverkusens Cheftrainer, als kantiges Gesicht einer Kampagne von Fisherman's Friend?
Vieles scheint denkbar, aber nur schwer umzusetzen. Gerade im wechselhaften Trainerberuf scheuen Firmen und Agenturen das Risiko. Die Angst vor zu geringer Coverage, wie es in der Branche heißt, schreckt ab. «Es ist schwer, ein Unternehmen dazu zu bewegen, in seiner Kommunikation lediglich auf eine Person zu setzen», weiß Kosicke, «und außer Nationalspielern tauchen auch kaum Spieler in der Werbung auf.»
Faktor sportlicher Erfolg ist wichtig
Bühler ergänzt: «Popularität spielt eine extrem wichtige Rolle, und der Faktor 'Sportlicher Erfolg' ist nicht zu vernachlässigen. Giovanni Trapattoni etwa war erfolgreich, extrovertiert und hat etwas geboten. Man sucht sich Personen, die nicht in der Masse untergehen.« Trapattoni warb zu seiner Zeit als Trainer in Stuttgart mal für Joghurt, ansonsten beschränkten sich die Werbeauftritte von Bundesligatrainern auf den Vereinssponsor. Und die finanzielle Dimension eines Jürgen Klopp hat ohnehin keiner auch nur annähernd erreicht.
Mittlerweile trägt Klopp bei Champions-League-Spielen schon mal einen Anzug und hat mit seiner Haartransplantation im vergangenen Jahr etwas an der Verpackung gearbeitet, ist sich aber grundsätzlich treu geblieben. In einer Zeit, in der Sportler wie Politiker immer profilloser werden, Ecken und Kanten abgeschliffen sind, trifft der charismatische Klopp den Zeitgeist.
«Er ist nicht zwingend ein einzigartiges Phänomen, aber ganz sicher ein seltenes», glaubt Bühler, der der Branche des Sportsponsorings für die Zukunft steigende Umsatzzahlen prognostiziert. Wovon auch Werbeidol Klopp profitieren dürfte: Sechs Millionen Euro Jahresgehalt, mehr als zwei Millionen Euro Werbeeinnahmen, und das Ende der Fahnenstange scheint noch nicht erreicht. «Wir machen uns da gar nicht so viele Gedanken», sagt Kosicke und lacht, «aber wie immer im Leben gilt: Es geht immer mehr.»
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.