Das Fachblatt «Rolling Stone» ehrte ihn mit Rang 24 der «100 grössten Künstler aller Zeiten». Am Dienstag wird Jerry Lee Lewis, genannt «der Killer», 80 Jahre alt.
Er braucht einen Stock, um über die Bühne zu gehen. Aber wenn Jerry Lee Lewis in die Tasten greift, steht der Flügel noch immer in Flammen. Und das Publikum ist hingerissen. Seine Songs «Great Balls of Fire» und «Whole Lotta Shaking' Goin' On» gehören zu den bekanntesten des 20. Jahrhunderts.
Zwei neue Alben und eine Autobiographie
Ein Rückenleiden fesselt ihn dieser Tage oft ans Bett. Doch Lewis lässt sich nicht von Widrigkeiten aufhalten. Hat er noch nie. So brachte er sich den Fans in den Monaten vor seinem Geburtstag mit zwei neuen Alben, einer Autobiografie («Jerry Lee Lewis - His Own Story») sowie Konzerten in England und Schottland wieder in Erinnerung. Seine Rechnung geht auf.
Das Londoner Palladium war ausverkauft. Kritiker waren beeindruckt. «Der Killer zeigt, dass er weiter Feuer in sich hat», schrieb der renommierte «The Independent». Danach lehnt Lewis alle Interviews ab, um Kraft für die nächsten Auftritte zu schöpfen, beide im Oktober, in Texas und New York.
Lennon küsste seine Füsse
Er gilt als einer der vier Könige des Rock 'n' Roll - neben Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard. «Elvis war der Grösste», sagte Jerry Lee gern, «ich war der Beste». Auf jeden Fall war er der Wildeste. Kein anderes Rockerleben ist so gezeichnet von Drogen, Gewalt, Sex, Schulden und Tod wie das von Jerry Lee, dem Spross einer Familie christlicher Fundamentalisten.
Lewis' Rock ist eine wilde Mischung aus Jazz, Country, R&B und Boogie. Er war unter den Ersten, die einen Platz in der Rock and Roll Hall of Fame bekamen. 2008 folgte die Hit Parade Hall of Fame. John Lennon soll ihm bei der ersten Begegnung die Füsse geküsst haben.
Der Rocker mit dem strohblonden, ins Gesicht hängenden Haar war berüchtigt dafür, Konzerte in letzter Minute abzusagen. Er hat Konventionalstrafen bezahlt wie kaum ein anderer. Meistens «pumpte» Jerry Lee sein Piano im Stehen, setzte oder stellte sich auch darauf. In mehreren Live-Auftritten zündete er den Flügel nach getaner Arbeit an.
Todesengel
Kaum weniger bewegt als seine Laufbahn war Lewis' Privatleben. Sechs Ehen hat er hinter sich, die erste ging er mit 16 ein. Gerade volljährig wurde er Vater, allerdings schon mit der zweiten Frau. Ehe Nummer drei wurde ihm beruflich zum Verhängnis. Er war 22, als er seine 13-jährige Grosscousine Myra Gale Brown heiratete. In Grossbritannien löste das Verhalten einen Sturm der Entrüstung aus und zwang Lewis, seine Tournee am dritten Abend abzubrechen.
Nach Myra gelang es dem singenden Pianisten aus dem tiefen Süden der USA nie mehr, unter den «Top 20» der amerikanischen Popcharts zu landen.
Der gemeinsame Sohn mit Myra ertrank 1962 dreijährig im Pool. Das gleiche Schicksal ereilte Ehefrau Nummer vier. Ein 19-jähriger Sohn starb 1973 bei einem Autounfall, seine fünfte Ehefrau 1983 offenbar an einer Überdosis Heroin. Lewis' bewegtes Leben wurde 1986 mit Dennis Quaid in der Hauptrolle unter dem Titel «Great Balls of Fire» verfilmt.
Praktisch: 7. Ehefrau ist Krankenpflegerin
Heute lebt er, der wildeste unter den Bad Boys der Rock-Ära, mit Judith, seiner Pflegerin und Ehefrau Nummer sieben, auf der «Lewis Ranch» in Nesbit unweit von Memphis. Bei einem Interview vor dem Londoner Konzert sah er weiss im Gesicht aus, «wachsartig und aufgedunsen», wie der britische «The Guardian» schrieb.
Angst, wegen seiner Musik zur Hölle verdammt zu sein, hat Lewis offenbar auch heute noch. «Ich war immer besorgt, ob ich im Himmel oder der Hölle landen werde», sagte er dem «Guardian». «Ich sorge mich weiterhin, abends vor dem Zubettgehen. Es ist eine sehr ernste Situation.»
(sda/dbe/ama)