Der in der Nacht zu Samstag zu Ende gehende meteorologische Winter zählt zu den zehn wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1901. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) schätzt, dass er in der Endbilanz auf dem vierten Platz landen wird, und zwar mit durchschnittlich drei Grad über dem langjährigen Mittelwert.
Wie es aussieht, dürfte nicht nur die Bilanz des meteorologischen Winters überdurchschnittlich warm ausfallen, sondern auch die des zeitversetzten astronomischen, der am 21. Dezember begann und noch bis zum 19. März dauern wird. Es bleibt mild und streckenweise sonnig, auch wenn die Temperaturen am Wochenende noch einmal ein paar Grad sinken sollen.
Globale warme Phase
Keine Frage, die milden Temperaturen zum Jahreswechsel sind Ausdruck auch davon, dass wir uns in einer global warmen Phase befinden. Wärmer wurde es seit Ende des 20. Jahrhunderts allerdings nicht mehr. 2013 war weltweit betrachtet nur das achtwärmste der letzten 125 Jahre. Und so ist der zu Ende gehende Winter denn auch keinesfalls Ausdruck eines dynamischen Trends unserer Tage.
Der letzte Winter zählte zu den düstersten überhaupt, der Jahresbeginn 2013 brachte den sonnenärmsten, wolkigsten Januar seit 60 Jahren. Im Winter 2013/14 dagegen schien überdurchschnittlich viel Sonne, fiel lediglich zwei Drittel des durchschnittlichen Niederschlags. Und ganz im Gegensatz zur derzeitigen Wetterlage zählten die vorherigen Winter seit 2009 zu den eisigsten der letzten Jahrzehnte. 2012/13 war es durchschnittlich um ein halbes Grad kälter als die langjährigen Mittelwerte von 1981 bis 2010.
Die derzeit überaus milden Tage, darin sind sich die Meteorologen einig, sind zuallererst Ausdruck von Wetter, nicht von Klima. Das zeigt schon der kurze Blick über den Horizont auf die Nöte der USA mit ihren Schneemassen und Rekord-Minustemperaturen im Januar. In Europa war das Ausbleiben der sibirischen Kälte – wie immer – der Ausdruck einer kräftigen Westwetterlage.
Trägheit des atmosphärischen Geschehens
Die Lage an unserem Himmel wurde in den vergangenen Monaten fast ausschliesslich vom Atlantik her bestimmt, von dort also, woher die Stürme kommen. Das deutete sich an, als im Spätherbst und Frühwinter die Orkane «Christian« und «Xaver« über das Land fegten und deshalb die Vermutung zu lesen war, dass der Winter nicht so kalt würde. Meeresklima ist über das Jahr schliesslich eher ausgeglichen als Kontinentalklima, wenig Frost, wenig Hitze. Die Vorhersage vom Herbst hat sich also noch deutlicher als erwartet bestätigt. Experten vermuten dahinter einen bestimmten Grund.
Das Wetter neigt schon immer zur Beharrlichkeit, es ändert sich einfach nicht so schnell, egal wie der Hahn auf dem Mist kräht. Genau genommen basieren auf dieser Erkenntnis auch die meisten derjenigen Bauernregeln, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zutreffen, zuallererst die Siebenschläferregel.
Jetstream in zwölf Kilometern Höhe
Die Trägheit des atmosphärischen Geschehens habe sich in den letzten Jahren allerdings verstärkt, nehmen Klimaforscher an. Der Schuldige ist der Jetstream in etwa elf bis zwölf Kilometer Höhe, der in eine Breite von jeweils mehreren Hundert Kilometern die gemässigten Breiten in der nördlichen und südlichen Erdhalbkugel von West nach Ost umströmt, auf mäandernder Spur.
Sein Name hat nichts damit zu tun, dass er sich auf der Höhe der Interkontinental-Jets bewegt, obwohl Piloten und Passagiere ihn durchaus bemerken können, wenn nämlich die Geschwindigkeitsanzeige bisweilen auf über 1200 Stundenkilometer über Grund klettert. Der Schub des «Strahlstroms«, wie er wörtlich übersetzt hiesse, hilft da schon mal mit mehreren Hundert Stundenkilometern nach.
Seine Kraft und seine schlangenartigen Bewegungen haben dabei erheblichen Einfluss auf das Wetter in den unteren Lagen, steuern etwa das Azorenhoch wie das Islandtief oder auch andere Klassiker unter den Grosswetterlagen. Verlagert er sich, ändert sich das Wetter.
Extreme Wetterlagen in der Welt
Seit einiger Zeit allerdings habe der Jetstream an Kraft verloren, seine Mäander fielen auch nicht mehr so deutlich aus. Deshalb ändere sich das Wetter weniger häufig. Als markantestes Beispiel dafür gilt die verheerende Flut in Pakistan nach wochenlangem Regen im Jahr 2010 bei gleichzeitiger lang anhaltender Trockenheit in Russland. Besonders auch der derzeitige Stillstand – egal ob beim milden Winter hier, der Flut in Grossbritannien, der klirrenden Kälte im Osten der USA oder der Dürre in Kalifornien – wird nun darauf zurückgeführt. Die vergangenen drei Monate zeichneten sich denn auch durch eine sehr beständige Wetterlage aus: Tiefdruckgebiete schickten Dauerregen aus Westen nach Grossbritannien, Mitteleuropa bekam sonnige Milde aus Südsüdwest.
Aufheizung der Arktis
Die Klimaforschung zählt heute zu den am stärksten besetzten akademischen Disziplinen, und deshalb war es nur eine Frage der Zeit, dass auch diese Veränderung des Jetstreams auf die globale Erwärmung zurückgeführt wird. So geschah es und der Zusammenhang wird derzeit in der besonders starken Aufheizung der Arktis gesucht – bei unveränderter Temperaturlage in den Tropen. Weil sich dadurch die Temperaturunterschiede zwischen Nord und Süd verringerten, werde weniger Energie für die Beschleunigung des Jetstreams frei, lautet die Lesart.
Niemand behauptet allerdings, dass die Theorie bereits bewiesen sei, dafür gibt es noch zu viele Unsicherheiten. Bislang lautete die Lesart, dass der Klimawandel über immer mehr freigesetzte Energie für Extremereignisse sorge, doch ein lahmender Jetstream würde zu dieser Grundannahme nur bedingt passen.
Klimaerwärmung und Jetstream
Ausserdem war der sommerliche Eisrückgang in der Arktis, der über einen verringerten Albedo(Rückstrahl)-Effekt die Polarregion verstärkt aufheizt, im vergangenen Jahr so gering wie nie in den letzten neun Jahren. Und schliesslich hatte sich der lahmende Jetstream in den letzten fünf, sechs Jahren zwar immer weiter nach Norden verlagert, bis auf die Höhe von Schottland. Die Flut in Südengland wird nun allerdings darauf zurückgeführt, dass er in diesem Winter besonders weit nach Süden ausholte.
Auch grundsätzlich wird der Zusammenhang von Klimaerwärmung und Veränderungen des Jetstreams infrage gestellt. Mike Lockwood von der Universität im südwestenglischen Reading sieht den Grund für die Verlagerungen, die sich hoch oben in der Stratosphäre abspielen, in dem allzu oft unterschätzten Klimafaktor: der Sonne. Die seit mehreren Jahren extrem niedrigen solaren Aktivitäten hätten – wie in vergleichbaren früheren Perioden – auch den Jetstream erlahmen lassen, sagt Lockwood.
Wie aber wird der Sommer?
So oder so: Der Winter ist gelaufen. Wie aber wird der Sommer? Kein Meteorologe wird auf so eine Frage eine ernsthafte Antwort geben. Drei, fünf, maximal zehn Tage schaut die Branche in die Zukunft, alles darüber hinausgehende bezeichnet sie als unseriös. Wir können uns der Antwort allerdings annähern.
Kommt der Jetstream überhaupt nicht mehr in Gang und bleibt die Grosswetterlage, wie sie ist, sieht es nach einem schlechten Sommer aus. So war es auch nach dem genannten besonders warmen Winter 2006/07: Der darauffolgende Sommer blieb trüb und kühl, und die Westwetterlage rettete sich sogar noch in den nächsten Winter 2007/2008 – auch der war recht mild.
Nass, nur wenige heisse Tage
Sommer mit Westwetter sind nass, bringen nur wenige heisse Tage. Die grosse Hitze käme aus dem Osten oder Süden, aber die wäre durch eine starke Nordatlantische Oszillation (NAO), wie sie derzeit herrscht, blockiert. Meist lösen sich vornehmliche West- mit vornehmlichen Ostwetterlagen (starke mit schwachen NAOs also) im Rhythmus von zwei, drei Jahrzehnten ab. Es kann aber auch dazwischen mal Sprünge geben.
Rund um den Siebenschläfertag sind wir klüger. Nach einer – statistisch durchaus haltbaren – Bauernregel bleibt das Wetter, wie es in jener Zeit herrscht, anschliessend noch sieben Wochen erhalten. Aber die Zeit um den Siebenschläfer kommt erst zur Monatswende von Juni auf Juli.
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.