Wenn sie auf der Bühne zu singen begann, wurde die nur 1,47 Meter kleine Edith Piaf ganz gross. Ein einfaches schwarzes Kleid, ein Scheinwerferstrahl, einige wenige Gesten - und dann diese gewaltige Stimme, wenn sie etwa «Non, je ne regrette rien» schmetterte.
«Ich bereue nichts» - ein besseres Motto hätte es für die Sängerin nicht geben können, die am 10. Oktober 1963 nach einem Leben der Triumphe und Tragödien, der Erfolge und Exzesse im Alter von nur 47 Jahren starb. Um Piafs Leben ranken sich zahllose Legenden.
Sie selber hat das befeuert: So erzählte Piaf gerne, dass sie im Pariser Stadtteil Belleville auf der Strasse geboren wurde. In Wirklichkeit kam sie am 19. Dezember 1915 im Pariser Tenon-Spital zur Welt, Geburtsname: Edith Giovanna Gassion.
Auch, dass sie in ihrer Kindheit vier Jahre lang blind war, ist falsch. Sie hatte lediglich wegen einer Infektion einige Wochen lang Sehprobleme, wie es in der kürzlich erschienenen Biografie «Piaf, ein französischer Mythos» des Journalisten Robert Belleret heisst.
Dass Piaf eine schwere Kindheit hatte, daran gibt es aber keine Zweifel. Ihre Eltern, ein Zirkusartist und eine Sängerin, schickten das kleine Mädchen zu den Grosseltern in die Normandie, wo Piaf in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Mit 15 Jahren kehrte sie zurück nach Paris und begann, auf der Strasse zu singen.
«Weiblicher Don Juan»
Dort wurde sie von Louis Leplée entdeckt, dem Besitzer des Nachtlokals Gerny's. Weil ihn das Mädchen an einen Vogel erinnerte, gab er ihr den Spitznamen «La Môme Piaf» - môme bedeutet Göre, piaf ist ein Spatz. Vom Gerny's aus eroberte Piaf Paris, Frankreich - und schliesslich die USA, wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg hinzog.
Die Chansonsängerin Piaf lebte das Leben eines Rockstars, verprasste Geld, feierte exzessiv, sammelte Liebhaber, trank und verfiel den Drogen. Piaf habe «alle Rekorde der Verführung, der Leidenschaft, des Leidens, der Verrücktheiten, der Provokationen, der Ausschweifungen» gebrochen, schreibt ihr Biograf Belleret.
Ein «weiblicher Don Juan» sei sie gewesen, voller Leidenschaft, wie die glühenden Briefe an die grosse Liebe ihres Lebens zeigen, den französischen Boxchampion Marcel Cerdan. Dessen tragischer Tod bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg zu der in New York lebenden Piaf war der wohl grösste Schicksalsschlag im Leben der Sängerin.
«Diktatorisches Kind»
Für viele Männer war Piaf Liebhaberin und Förderin zugleich: Chanson-Grössen wie Yves Montand und Georges Moustaki, mit denen Piaf das Bett teilte, verdanken der Sängerin ihre Karrieren.
«Geben Sie es zu, ich habe Glück, so viele Liebhaber zu haben», sagte Piaf einmal: «Welche Frau wäre nicht auf mich eifersüchtig? Sie sind alle jung, schön, verführerisch, und nachdem sie mit mir zusammen waren, entdeckt man an ihnen sogar Talent.»
Das war die andere Seite der Piaf: Sie konnte gehässig sein. Sie ertrug es nicht, wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte oder ihr die Show stahl. Der ebenfalls von ihr geförderte Chansonnier Charles Aznavour bezeichnete sie als «diktatorisches Kind».
Falsche Sterbeurkunde
Wie ihre Geburt umweht auch Piafs Tod der Hauch des Mythos. Von ihrem ausschweifenden Lebensstil geschwächt starb Piaf am 10. Oktober 1963 im südfranzösischen Grasse nach langer Krankheit an den Folgen innerer Blutungen.
Ihr Leichnam wurde noch in der Nacht heimlich - und illegal - nach Paris gebracht, damit sie dort begraben werden konnte, in der Hauptstadt wurde am folgenden Tag ein falscher Todesschein ausgestellt. Der «Spatz von Paris» war verstummt - Piafs Lieder aber waren längst unsterblich.
(sda/vst)