«Namentlich wenn sie ein Handzeichen geben.» Dieser Halbsatz wurde vor 20 Jahren aus der Verkehrsregelnverordnung gestrichen. Fussgänger müssen seitdem nicht mehr mit der Hand anzeigen, wenn sie über einen Fussgängerstreifen wollen. Mit dieser Änderung begann der Ärger.

Seit damals streiten Fussgänger und Autofahrer über Handzeichen und Vortrittsrecht. Dabei haben Fussgänger bereits seit 1963 auf dem Fussgängerstreifen Vortritt - aber nur, wenn ein Fahrzeuglenker die Chance hat, noch zu bremsen. Das war bereits vor der Abschaffung des Handzeichens so.

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Das Handzeichen wurde damit dank seiner Abschaffung zum Politikum. Zuletzt vor zwei Jahren verlangte die SVP im Nationalrat erfolglos, es wieder einzuführen. «Immer nach einem schweren Unfall rufen einige Politiker nach dem Handzeichen», sagt Jean-Marc Thévenaz, Leiter Verkehrssicherheit beim TCS. Doch gehe diese Forderung in die falsche Richtung.

«Den Kindern wird heute etwas anderes beigebracht mit der Regel 'Warte-luege-lose-laufe'. Mit der Wiedereinführung des Handzeichens würde die seit Jahren vermittelte Verkehrserziehung unterlaufen.»

Schuldfrage ist geklärt

Bei der Schuldfrage spricht die Verkehrsstatistik eine eindeutige Sprache, wie Gianantonio Scaramuzza von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) aufzeigt. «Bei 88 Prozent der schweren Unfälle auf Fussgängerstreifen ist der Fahrzeuglenker Hauptverursacher. Er verweigert dem Fussgänger den Vortritt. »

Zumeist hat der Fahrer den Fussgänger - mit oder ohne Handzeichen - übersehen. «Die meisten Unfälle auf Fussgängerstreifen geschehen im Spätherbst oder zu Beginn des Winters in der Dämmerung, wenn die Sicht am schlechtesten ist», sagt Scaramuzza.

Falsche Sicherheit

Der Sprecher des Verkehrsclubs VCS, Gerhard Tubandt, ergänzt, dass über die Hälfte der tödlichen Unfälle in der Mitte oder zweiten Hälfte der Fussgängerstreifen geschehe. Das Handzeichen ist dann schon vorbei.

Gegen das Handzeichen spreche, dass es Kinder und Senioren in falscher Sicherheit wiege. «Kinder zum Beispiel denken, wenn sie ein Handzeichen geben, dann hält das Auto immer an.» Der VCS plädiert deshalb für Tempo 30, «wo immer möglich». Wer langsamer fahre, sehe mehr und werde besser gesehen. Bei Tempo 30 verkürze sich auch der Bremsweg. Und bei einem Unfall «steigen die Überlebenschancen»

Beim Handzeichen sind VCS und TCS sich für einmal einig: Beide Verbände halten eine Wiedereinführung für falsch. «Es ist ja nicht verboten worden, ein Handzeichen zu geben», sagen Tubandt und Thévenaz.

Seit zehn Jahren Stagnation

In den vergangenen 20 Jahren ist - trotz Bevölkerungszunahme und mehr Verkehr - die Zahl der Verkehrstoten stark gesunken. Weil die Autos sicherer wurden, sterben vor allem weniger Autoinsassen.

Bei den Fussgängern war der Rückgang weniger stark. 2013 starben gemäss dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) 69 Fussgänger, 21 davon auf einem Fussgängerstreifen. 1994 starben mit 126 Fussgängern - 39 davon auf Fussgängerstreifen - noch fast doppelt so viele. 1980 waren es gar noch 261 tote Fussgänger; 69 davon wurden auf einem Streifen überfahren.

Die Statistik zeige keine Zunahme nach Abschaffung der Handzeichen-Pflicht, sagt Scaramuzza. Allerdings sinkt seit zehn Jahren die Anzahl getöteter Fussgänger nicht mehr weiter. Zu hoch bleibt auch die Anzahl Schwerverletzter. 2013 waren es auf Fussgängerstreifen 301.

«Im Vergleich mit den Nachbarländern hat die Schweiz sich in den vergangenen 30 Jahren bei den Verkehrstoten stark verbessert, ausser bei den Fussgängern», kritisiert TCS-Experte Thévenaz. Abhilfe würden bessere Streifen und eine bessere Ausbildung aller Verkehrsteilnehmer bringen.

Falsche Sicherheit

Weniger Tote kann es gemäss Scaramuzza vor allem dank einer besseren Infrastruktur geben. «Über die Hälfte der mindestens 50'000 Schweizer Fussgängerstreifen entsprechen nicht den wichtigsten Sicherheitsanforderungen.» Falsch ausgeführte Fussgängerstreifen vermittelten den Fussgängern eine falsche Sicherheit. «Sobald ein Mensch die gelben Streifen sieht, denkt er, dass dieser sicher ist.»

Der BfU-Experte kritisiert, dass «man früher viel zu häufig und unüberlegt zum Pinsel griff». Gefährliche Streifen müssten saniert werden. «Am wirksamsten wäre es, sämtliche Fussgängerstreifen mit einer Fussgänger-Schutzinsel auszustatten.» Dies würde rund 1,5 Milliarden kosten. Fussgängerunfälle wiederum verursachten jährlich Kosten von 250 Millionen Franken.

Zum Vergleich: Die Befürworter einer zweiten Röhre für den Gotthard-Strassentunnel, darunter der TCS, argumentieren mit der Sicherheit. Die zweite Röhre wird auf 2,8 Milliarden Franken veranschlagt. Im Gotthard-Tunnel stirbt gemäss Statistik alle zwei Jahre ein Mensch.

(sda/lur)