Den zweiten Tag am Wef kann man als kollektives Augenreiben nach der Inauguration von Donald Trump beschreiben. In den grossen und kleinen Veranstaltungen war der neue und alte Präsident Thema: Ob es um die wirtschaftliche Entwicklung ging, um Währungen und Kapitalmärkte, um die Geopolitik, den Krieg in der Ukraine oder um die Rolle von China. Und obwohl am Montag in Davos und im Kongresshaus bereits Vollbetrieb geherrscht hat, war der Dienstag offiziell der erste Tag des Wef.
So fanden gestern nicht nur die offiziellen Eröffnungsreden durch Wef-Präsident Borge Brende, Wef-Gründer Klaus Schwab und der Tradition folgend durch die amtierende Schweizer Bundespräsidentin, dieses Jahr Karin Keller-Sutter statt. Zu Wort kamen auch eine Reihe von Politikern aus Europa, der Staatschef der Ukraine, Volodymyr Zelensky und ein hoher Regierungsvertreter Chinas.
In der Antrittsrede von Wef-Präsident Borge Brende war von einem neuen Zeitalter die Rede. Er verglich die Bedeutung des angelaufenen Jahres 2025 mit 1989, als die Berliner Mauer fiel. Anders als damals – das hat sich in allen Reden gezeigt – erscheint die aktuelle Wende aber nicht als eine zum Guten.«Die bisherige internationale Ordnung ist Vergangenheit, eine neue ist noch nicht gebildet», sagte Brende und erklärte damit, dass die internationalen Konflikte massiv zugenommen haben.
Karin Keller-Sutter kritisiert indirekt Trump
Alles, was Trump am Montag und Dienstag in Washington angekündigt hat, zeugt von diesem Ende der alten Weltordnung. Ende globale Zusammenarbeit, Ende Klimaabkommen, Protektionismus, weg mit fast allem, was bisher als wichtig und richtig galt. Auch die Rede von Karin Keller-Sutter drehte sich indirekt um die Vorgänge in den USA.
Konkret sprach sie mit Verweis auf die Wirtschaftsnobelpreisträger von 2024, Daron Acomoglu, Simon Johnson und James Robinson, von der fundamentalen Bedeutung von liberalen und demokratischen Werten und entsprechenden starken Institutionen, die verhindern, dass eine kleine Gruppe von Entscheidungsträgern die Macht entsprechend ihren eigenen Interessen ausüben. Das jüngste Vorgehen von Donald Trump passt zu dieser Beschreibung. Wie ein absolutistischer Herrscher behandelt der neue Präsident zusammen mit seinen befreundeten Multimilliardären Staatsangelegenheiten wie sein privates Business.
Die Reden von europäischen Spitzenpolitikern drehten sich um die europäische Antwort auf Trump – durch Auftritte unter anderen von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und dem Noch-Bundeskanzler Deutschlands Olaf Scholz. Auch sein Herausforderer Friedrich Merz machte in Davos seine Aufwartung. Besondere Bedeutung hatte der Auftritt des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky, der zum zweiten Mal seit der Invasion durch Russland ans Wef nach Davos gereist ist.
Die grossen Versprechen der Ursula von der Layen
Von der Leyen und Olaf Scholz legten sich für Europa mächtig ins Zeug, ohne – wie schon Keller-Sutter – den Namen Donald Trump in den Mund zu nehmen. Von der Leyen kündigte Massnahmen an, um Europas wirtschaftlichen Rückstand gegenüber den USA aufzuholen und um gegenüber der Supermacht unabhängiger zu werden. Dazu formulierte sie eine Reformagenda für die EU, die im vollbesetzten Kongress-Saal das Herz so mancher Managerinnen und Manager höher schlagen liesse, hätten sie nur das Vertrauen, dass das Angekündigte auch wirklich umgesetzt wird. Zu oft haben sie – auch in Davos - solche Ankündigungen schon gehört.
Die EU soll laut von der Leyen einen einheitlichen Kapitalmarkt bekommen. Dazu sollen unter anderem eigene, EU-weite einheitliche Sparprodukte geschaffen werden. Immerhin hätten Sparerinnen und Sparer in der EU insgesamt 1,4 Billionen Euro auf der hohen Kante, die Amerikaner nur 800 Millionen. Dennoch würden auch Europas Firmen ihr Kapital lieber an der Wall Street aufnehmen – so wie Expertinnen und Experten in die USA abwandern und Firmen ihren Sitz dahin verlegen, weil sie von der Bürokratiewalze der Europäer genug haben. Das soll sich laut von der Leyen nun ändern.
Skeptische Manager und deutscher Wahlkampf
Die Kommissionspräsidentin kündigte einen breitangelegten Bürokratie-Abbau an, etwa bei der verhassten Lieferketten-Richtlinie, die Schweizer NGOs so gerne auch hierzulande umsetzen möchten. Und sie griff eine Idee auf, welche die Berater von McKinsey vor kurzem vorgestellt hatten: Damit Firmen EU-weit agieren können, soll ein «28. Regime» (über die 27 EU-Mitgliedsländer hinaus) geschaffen werden – mit Regeln, die für bestimmte Firmen EU-einheitlich gelten sollen und die nationalen Regeln übersteuern. Und die EU will massiv in neue Technologien wie Quanten-Computer und Kernfusion investieren.
«Sie sagt, was wir alle hören wollen», meinte im Anschluss der Präsident eines Schweizer SMI-Konzerns zur «Handelszeitung». Alle Vorhaben, die von der Leyen ankündigte, hätten das Zeug, die Wirtschaft in Europa zu beflügeln. «Aber jetzt will ich erst einmal die Umsetzung sehen», so der Manager. Und ob Länder wie Deutschland und Frankreich wirklich bereit sind, ihre rigide Arbeitsgesetzgebung von einem EU-Regelwerk übersteuern zu lassen, daran sind Zweifel erlaubt.
Schliesslich machte sich in Davos gestern auch der deutsche Wahlkampf bemerkbar. Noch-Kanzler Olaf Scholz gab sich als besonnener Staatsmann und mahnte im Verhältnis zu Trump zur Gelassenheit. «Nicht jeder Tweet sollte uns in existenzielle Debatten stürzen», so Scholz. Sein Gegenspieler Friedrich Merz kritisierte die Politik der bisherigen Regierung unter Scholz und gab sich seinerseits überzeugt, mit Trump einen Weg zu finden.
Zelensky geisselt die Schwäche Europas
Als einer der Hauptredner am Wef widmete sich selbst der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky am Dienstag mehr der Schwäche Europas als dem Krieg in seiner Heimat. Damit bezog er sich allerdings weniger auf die Wirtschaft, als vielmehr auf die strategische Position des alten Kontinents. Die Europäer benötigen die USA, meinte er, die Amerikaner seien umgekehrt aber auf die Europäer angewiesen. Angesichts dieses Machtgefälles es ungewiss, ob Europa überhaupt mit am Tisch sitzt, wenn es um die Zukunft der Ukraine geht. Diese Schwäche könne sich Europa nicht leisten.
Hier wird denn auch klar, wo der Zusammenhang zum Krieg in seinem Heimatland steht. Ohne Goodwill der Amerikaner ist Europa gegenüber einem Angriff der Russen weitgehend machtlos. Und mit einem stärkeren Europa kann die Zukunft der Ukraine glaubwürdiger gesichert werden, als wenn auch deren Schicksal von den Amerikanern abhängt. In einer weiteren Veranstaltung für ausgewählte Medienvertreter machte Zelensky deutlich, was er von den Plänen für einen Waffenstillstand hält, wie er sich nach den Plänen von Trump und seiner Berater abzeichnet –vor allem von einer Übereinkunft, gemäss der Russland die besetzten Gebiete behalten würde.
Im rechtlichen Sinne würde die Ukraine niemals ein Abtreten von Teilen seines Staatsgebietes anerkennen können, machte der ukrainische Präsident deutlich. Im Sinne eines Waffenstillstands schloss er eine solche Lösung aber nicht aus. Schliesslich wolle auch die Ukraine das Blutvergiessen so rasch wie möglich beenden. Offen bleibe aber, wie in einem solchen Regime die Sicherheit der Ukraine gewährleistet werden kann und durch wen – womit er wieder einen Bogen zur Schwäche der Europäer schlug.
Die Warnung des chinesischen Vize-Premiers
Wie bei den Europäern war auch in der Rede des chinesischen Vizepremiers Ding Xuexiang die neue Weltordnung unter Trump Thema. Und auch Xuexiang sprach nie direkt über den US-Präsidenten. Vielmehr versuchte er, wie schon der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jingping in Davos nach der ersten Wahl von Trump 2017, China als Vorreiter der wirtschaftlichen Offenheit zu präsentieren.
Im Gespräch mit Wef-Präsident Borge Brende sprach der chinesische Politiker aber auch eine Warnung aus: Auf die Frage, wie China reagieren würde, wenn es zu einer Spaltung der Welt in zwei Blöcke kam, meinte Xuexiang, die Folgen wären unvorstellbar: Nicht nur sei es dann sehr schwer, noch gemeinsame Lösungen für Weltprobleme zu finden, noch schlimmer sei, dass es dann wohl zu Konfrontationen kommen würde, die die ganze Welt miteinbeziehen. Genau das wolle Chinas Parteichef Xi Jinping verhindern,
Nach dem grossen Reden am Dienstag steht am Mittwoch am Wef eine Unzahl kleinerer Veranstaltungen im Vordergrund. Sie drehen sich weiter um die grossen politischen und wirtschaftlichen weltweiten Fragen, aber auch um solche der Gesundheit, der Nachhaltigkeit und der technologischen Entwicklungen wie der Künstlichen Intelligenz. Mit Sicherheit wird Donald Trump dabei wieder eine grosse Rolle spielen.