Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, mögliche neue Pandemien, der Klimawandel und Cyberattacken: Am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos GR diskutieren ab Montag 2800 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über die aktuellen Herausforderungen. Diese Themen stehen beim Elitetreffen im Bündner Bergort im Vordergrund:
Schwierige Wirtschaftslage und Zukunft der Banken
Die Zentralbanker – darunter Christine Lagarde von der Europäischen Zentralbank und der Schweizer Nationalbank-Präsident Thomas Jordan – sowie die 1600 Wirtschaftsführer am WEF sehen sich mit einer schwierigen Weltwirtschaftslage konfrontiert: Mittelmässiges Wachstum, hohe Zinssätze, politische Risiken, Nachwirkungen der Pandemie und steigende Schulden.
Nach der Notrettung der Schweizer Grossbank Credit Suisse durch die Konkurrentin UBS spricht UBS-Chef Sergio Ermotti zur Frage, ob die Banken für die Zukunft gerüstet sind. Gut vertreten sind auch US-Tech-Konzerne: Reden werden etwa Marc Benioff, CEO des Unternehmenssoftware-Spezialisten Salesforce, Microsoft-Chef Satay Nadella und Alex Karp von der Datenanalysefirma Palantir. Gast sein soll auch der milliardenschwere Microsoft-Gründer und Philantroph Bill Gates.
Selenskyis Rückkehr nach Davos
Dieses Jahr ganz oben auf der Tagesordnung der 54. WEF-Jahrestagung stehen hochrangige Gespräche für eine Beendigung der Kriege im Gazastreifen und in der Ukraine. Wichtigster Gast ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er will am Dienstag für eine Rede persönlich nach Davos reisen. Vom Angreifer Russland ist offiziell erneut niemand dabei. Dafür nimmt der chinesische Ministerpräsident Li Qiang teil. China gilt als Verbündeter Russlands, und der Westen hofft, über Peking Einfluss auf Moskau nehmen zu können.
Annäherungen im Nahost-Konflikt?
Der im eskalierenden Nahost-Konflikt dauervermittelnde US-Aussenminister Antony Blinken reist nach Davos. Wichtig sind der geplante Auftritt des israelischen Präsidenten Isaac Herzog und die Teilnahme von Ministern der im Konflikt als Vermittler geltenden Länder Katar und Vereinigte Arabische Emirate. Zudem hat eine Reihe von hochrangigen Politikern aus der Konfliktregion Besuche angekündigt, unter anderem aus Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon und Irak.
Aus dem die islamistische Hamas unterstützenden Iran kommt nach derzeitigem Kenntnisstand niemand nach Davos. Noch unklar waren die Auswirkungen der jüngsten Eskalation auf das Treffen: der Militärschlag der USA und Grossbritannien mit weiteren Verbündeten gegen Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen.
Vertrauen zurückgewinnen
Der Leitsatz des WEF für dieses Jahr lautet «Rebuilding Trust» («Vertrauen wiederaufbauen»). An den Veranstaltungen von Montag bis Freitag, von denen über 200 live im Internet übertragen werden, diskutieren die Gäste die neuesten Vorschläge für Fortschritte in den Bereichen globale Sicherheit, Handel, Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Klima- und Naturschutz, Energiewende, technologische Umwälzungen sowie Gesundheit und Wohlbefinden.
EU und die Rolle Frankreichs in Europa
Zu den politischen Spitzengästen am diesjährigen WEF zählt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er soll eine Rede über die Rolle seines Landes in der Zukunft Europas halten. Am Forum sprechen wird auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen.
Bundesratstreffen mit Ukraine und China
Die Schweizer Regierung angeführt von Bundespräsidentin Viola Amherd wird die Gelegenheit nutzen, wenn sich zahlreiche Spitzenpolitiker aus aller Welt in Davos einfindet. Geplant sind Gespräche unter anderem mit dem ukrainischen Präsidenten und dem chinesischen Ministerpräsidenten.
Mit China dürfte die Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen im Fokus stehen. Von Interesse für die Schweiz sind auch in diesem Jahr Treffen mit EU-Vertretern. Der Bundesrat will in diesem Jahr mit der EU über ein Paket von Abkommen verhandeln zu den künftigen Beziehungen.
Erste Auslandsreise von Argentiniens Präsident
Die Organisatoren des WEF fördern die Teilnahme wichtiger Führungspersönlichkeiten aus dem globalen Süden. Illuster ist dieses Jahr der Auftritt des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei. Davos ist seine erste Auslandstation als Präsident. Der ultraliberale Staatschef leitete bereits zahlreiche Reformen ein, in Europa wurde er teils als Rechtspopulist kritisiert.
Aus Lateinamerika und Asien verzeichnet das WEF eine Rekordteilnahme unter den 800 CEOs. Dies reflektiere die globalen wirtschaftlichen Verschiebungen, hiess es von den Organisatoren.
KI und ihre Herausforderungen
Die Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Herausforderungen sollen am diesjährigen WEF ein wichtiges Thema sein: Wie kann die Technik zum Nutzen aller eingesetzt werden? Welche Regulierungen braucht es gegen welche Risiken? Welche Innovationen sind möglich, und wie kann KI etwa mit Biotechnologie zusammenwirken? Gast ist auch Sam Altman, Begründer des Chatroboters Chat GPT.
Und was sonst noch interessant ist:
Geschichte und Bedeutung
Das 1971 vom Deutschen Klaus Schwab gegründete globale Elitetreffen war auch schon hochkarätiger besetzt. Aus dem Kreis der sieben grössten westlichen Industrienationen ist nur ein Regierungschef vertreten, nämlich Emmanuel Macron aus Frankreich. Es fehlen etwa der deutsche Kanzler Olaf Scholz und der britische Premier Rishi Sunak. Auch US-Präsident Joe Biden lässt das Treffen erneut aus. Dafür kommt mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang der höchste chinesische Regierungsvertreter nach Davos seit der Teilnahme von Präsident Xi Jinping 2017. Der Bundesrat hält das WEF für «eine der wichtigsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Veranstaltungen der Welt». Mehr als 2800 Teilnehmer aus 120 Ländern reisen an, darunter mehr als 60 Staats- und Regierungschefs. Rund 400 Medienschaffende aus dem In- und Ausland berichten über das Geschehen.
DIe Ukraine-Konferenz
Unmittelbar vor dem WEF findet dieses Jahr am Sonntag in Davos ein Ukraine-Konferenz statt. Am 4. sogenannten Friedensformel-Treffen diskutieren die Sicherheitsberater von über 80 Ländern über die Zukunft der Ukraine und die sogenannte ukrainische Friedensformel mit einem Zehn-Punkte-Plan für ein Ende des russischen Angriffskrieges. Um eigentliche Friedensgespräche handelt es sich aber nicht. Russland ist nicht dabei. Die Konferenz dient vor allem dazu, die Verbündeten der Ukraine bei der Stange zu halten. Besprochen werden die von Arbeitsgruppen vorgelegten Ergebnisse, die die zehn Grundsätze diskutiert haben. Besprochen werden soll auch das weitere Vorgehen. Die Schweiz beteiligt sich namentlich an den Arbeitsgruppen «Nukleare Sicherheit», «Ernährungssicherheit» und «Bestätigung des Kriegsendes».
Kritik und Demonstrationen
Kritikerinnen und Kritiker versammeln sich traditionell am Sonntag vor dem Beginn des WEF in Davos. Auch heuer wurde eine Demonstration mehrerer Organisationen bewilligt, unter ihnen sind die Juso, die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) und die «Winterwanderung nach Davos». Sie protestieren gegen «das verschlossene Treffen der Mächtigen und Reichen» und werfen den Teilnehmenden am Weltwirtschaftsforum unter dem Motto «Smash WEF - Take back control!» («WEF zerschlagen - die Kontrolle zurückholen») die Verantwortung für Krisen und Kriege vor.
Rund um die Sicherheit
Das Treffen der Mächtigen aus aller Welt ist eine grosse Herausforderung für die Sicherheitskräfte. Rigorose Massnahmen verlangen etwa die Besuche der Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus der Ukraine, Emmanuel Macron aus Frankreich und Isaac Herzog aus Israel. Checkpoints, Scharfschützen, Flugverbotszonen und mehrere dutzend Kilometer Zaun sind nur einige wenige der Massnahmen. Bis zu 5000 Armeeangehörigen unterstützen die Polizei für das fünftägige Treffen. Die Zusatzkosten für die Sicherheit betragen laut dem Bund gegen 9 Millionen Franken. Dafür kommen die Stiftung WEF, der Bund, der Kanton Graubünden sowie die Gemeinden Davos und Klosters auf.
Die Organisation
Das World Economic Forum (WEF) ist eine Stiftung und Lobbyorganisation mit Sitz in Cologny GE. Sie finanziert sich vor allem über ihre Mitglieder - die rund 1000 wichtigsten multinationalen Unternehmen. Die Firmen zahlen zehntausende Franken Jahresbeiträge, die WEF-Teilnehmer dazu noch mehrere zehntausend Franken Eintrittsgeld. Die Stiftung erzielte im Finanzjahr Juli 2022 bis Juni 2023 einen Umsatz von 409 Millionen Franken. Das WEF beschäftigt weltweit rund 850 Mitarbeitende.
(sda/rul)