Man kann ja auch mal dankbar sein. Wem? Miguel Galluzzi. Das ist der Designer, der Ende des vergangenen Jahrhunderts die legendäre Ducati Monster entwarf. Diesmal hat Galluzzi sich für Moto Guzzi an die Arbeit gemacht. Das war vor ziemlich genau drei Jahren.

Die Leute von Guzzi wollten gleich zwei Modelle von ihm haben, und ganz zu Beginn seines Schöpfungsprozesses muss sich im Designbüro Galluzzi folgende Szene abgespielt haben: Der Maestro sitzt bei einer Kanne Kaffee am Schreibtisch, seinen Bleistift sieht man nervös zwischen Zeige- und Mittelfinger hin- und herpendeln, während die andere, freie Hand damit beschäftigt ist, bei Harley Davidson in der Modellübersicht zu blättern und in alten Moto-Guzzi-Prospekten.

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Erst dann hat er seinen Stift angesetzt, und seit ein paar Wochen ist das Ergebnis heraus. Die beiden neuen Galluzzi-Guzzis sind da, die eine heisst Eldorado, die andere Audace. Man kann das so zusammenfassen: Es ist eine Schande.

Beide neuen Guzzis sind Designvarianten der California 1400 Touring. Die kam vor drei Jahren auf den Motorradmarkt. Dass das eine echte Guzzi war und dass die beiden neuen auch welche sind, lässt sich praktisch nur am Motor erkennen. Es ist die typische, legendäre, luftgekühlte und vom Motorenkonzept her einmalige V2-Maschine, quer eingebaut. Mit riesigem 1380-ccm-Hubraum, 96 PS und ordentlich Bums.

120 Nm Drehmoment bei gemütlich kurbelnden 3000 Umdrehungen, das ist die Macht, die Berge versetzt. Und um so etwas Ähnliches handelt es sich bei den beiden Guzzis auch. Sie bringen es vollgetankt klar über 300 Kilogramm.

Galluzzi hat in beide neuen Guzzis so viel Harley-Davidson eingekreuzt, dass man auf das Modell tippen kann. Die Audace sehen wir neben einer Fat Boy Special (21.895 Euro), die Eldorado stellen wir neben die Softail Deluxe (ab 21.195 Euro).

Ducati gehört zum VW-Konzern, MV Augusta zu Daimler
Was dabei auffällt: Die Guzzis sind grösser mit einem ellenlang-endlosen Radstand von knapp 1,70 Metern, sie sind deutlich kräftiger motorisiert und vor allem die Eldorado steht als ein imposantes Show-, Design- und Prachtstück da. Momentan dürfte die Eldorado im Serienmotorradbau der Höhepunkt der Vintage- und Retrowelle sein. Weisswandreifen, gekapselte Federelemente, der Tank erst verchromt, dann teillackiert, das Röhrenrücklicht am Heck – so etwas Stilbildendes schneidet der Designstudent sich aus und legt sich es unters Kopfkissen.

Aber die Schande, wo soll da die Schande sein? Der Volkswagen-Konzern hat sich Ducati einverleibt, Mercedes hat sich MV Agusta gegriffen. Aber allen in der Branche, die ein Gefühl für Spirit haben, die einen Instinkt, die Wissen und Geschäftssinn haben – allen ist klar: Moto Guzzi wäre der Hauptgewinn gewesen, ist es noch. Moto Guzzi und nichts anderes.

Es ist genau so, wie es Stefan Pierer, der bedeutendste europäische Manager in der Motorradindustrie auf den Punkt bringt: Der Adler auf dem historischen Moto-Guzzi-Wappen ist in Europa genau das, was Harley-Davidson für die USA bedeutet: ein Überflieger, ein Mythos und ein Idol, etwas ähnlich Ideelles, Ehrenvolles wie eine Goldmedaille.

Miguel Galuzzi kann nichts für die Schande der zwei Harley-Davidson-Ebenbilder. Da hatten auch alle japanischen Marken keine Skrupel. Es war halt ein Auftrag. Der Unterschied ist nur: Egal, wie viel Harley-Davidson an den berühmten, unverkennbaren V2-Motor aus den 50er-Jahren (zuerst übrigens in einen kleinen Fiat eingebaut) dran- und drumherumgeschraubt wird: Eine Moto Guzzi bleibt durch diesen Motor immer selbst das Original.

Es gibt reichlich elektrisch-elektronisch-digitalen Firlefanz rund um den mächtigen historischen V2. Drive-by-Wire, computergesteuerte Einspritzung, dreifach wählbares Motor-Mapping, auch eine Traktionskontrolle ist an Bord. Aber das wahre, echte Vorschlaghammer-Moto-Guzzi-Erlebnis ergibt sich nicht durch technische Datenblätter oder Angucken im Stand.

Die Riesen-Guzzis sind ideal zum Cruisen
Es kommt mit dem Druck auf den Starterknopf. Da bricht ein Dinosaurier durch die Büsche. Was eine Schraube ist und nicht bombenfest angezogen, fliegt sofort zur Seite. Die Lenkerenden flattern, das ganze Motorrad bebt, die Erde darunter auch.

Aber mit dem ersten Gasstoss ist das vorbei. Mit mehr als nur Standgas hängt die Maschine praktisch vibrationsfrei im gummigelagerten Rahmen. Dafür gibt es eine andere, urviechmäßige Sensation. Beim ruckartigen Hochdrehen wickelt das Trumm von einer Maschine den Rest des Motorrads gleichsam um die Kurbelwelle herum.

Die Audace und die Eldorado kippen dann mächtig nach rechts. Aber der Schub, den der 1400er dann über den ersten Gang und die Kardanwelle nach hinten weiterreicht, lässt wirklich keine Wünsche mehr offen. Es ist, bei kernig-tiefgründigem Bollern so eindrucksvoll wie der Faustschlag auf den Wirtshaustisch, dass die Bierkrüge tanzen. Bei mehr als 4000 Umdrehungen wird's dann aber uninteressant.

Speed macht keinen Spass, die Riesen-Guzzis sind etwas zum Thronen und zum Cruisen. Wobei Fahrwerk, Sitzposition und auch der Auspuffsound der Audace deutlich sportlicher als bei der Eldorado sind. Mit der pechschwarzen Audace ist mit ein bisschen Übung sogar gemässigt flottes Kurvenwedeln drin.

Beide Guzzis haben denselben Preis (18'500 Euro). Die amerikanische Konkurrenz liegt bei vergleichbaren Modellen ein paar Tausender darüber.

Die Reise zum Test der Audace und Eldorado wurde unterstützt von Moto Guzzi. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit: www.axelspringer.de/unabhaengigkeit

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