Dieses Motorrad fährt nicht, es läuft. So jedenfalls sieht es das Management von BMW oder seien wir genau: die Leute im Bürotrakt «Sales und Marketing». Die neue Scrambler von BMW wird vermutlich sogar laufen wie's Lottchen, umsatztechnisch gesehen.
Es dürfte sich bei diesem Motorrad wiederholen, was sich kurz nach der Einführung des Schwestermodells R nineT abgespielt hat.
Damals löste sich aus dem eher ruhigen Lager der Motorradfahrer ein Stosstrupp und stürmte die BMW-Niederlassungen. Das kam unerwartet, es gab Wartezeiten, Lieferengpässe. Niemand hätte das für möglich gehalten: Ein zwar hübsch designter Roadster, aber mit dem alten, abgelegten Motor im Rahmen, zum Liebhaberpreis, setzte sich überraschend ganz oben auf der Bestseller-Liste fest.
Scrambler-Variante kostet glatte 14'000 Franken
Die R nineT, inzwischen nach der GS das meistverkaufte BMW-Modell, war die grösste Fehleinschätzung der letzten Jahrzehnte. Aber inzwischen haben sie verstanden in den Fluren von «Sales und Marketing», und deshalb schiebt BMW dem Bombenerfolg nun eine Scrambler-Variante hinterher, also einen klassischen Kletterer, und klar ist auch: Da kommt noch mehr.
Die interessanteste Ziffer zur neuen Scrambler ist der Preis: glatte 14'000 Franken (Listenpreis 15'200 Franken). Das fällt deutlich ab gegenüber dem Hauptmodell für 16'100 Franken (Listenpreis: 17'400 Franken), mit dem die Scrambler im Grossen und Ganzen identisch ist. So hängt bei beiden nicht der jüngste, wassergekühlte Boxermotor im Rahmen.
Hier feiert, für viele eine schöne Überraschung, noch einmal der letzte, eigentlich schon verabschiedete Boxermotor mit Luftkühlung eine Wiederkehr. Knapp 1200 ccm, 110 PS und saftige 116 Nm – eingefleischte Liebhaber behaupten, es handele sich um den begehrenswertesten und ausgereiftesten Boxer überhaupt.
Die neue Klassik-Baureihe
Tatsächlich passt der Motor gut in die neue Klassik-Baureihe, die BMW da gerade eröffnet. Ins Retro-Fach gehören die beiden Motorräder eigentlich nicht. Ihr Design zitiert zwar ein bisschen die Formen der 50er- und 60er-Jahre.
Aber selbst vom altvorderen Lampentopf mit Sprengring vorn geht klar die Botschaft aus: Wir sind nur ähnlich, wie eine genüssliche Erinnerung. Nichts ist nur aus der Motorradgeschichte kopiert, nichts vorgetäuscht wie bei den Retro-Modellen der japanischen oder englischen Konkurrenz.
Entscheidende Unterschiede
Die entscheidende Unterschiede, die die Scrambler zur vorangegangenen R nineT macht, sind weder die billigere Telegabel mit Faltenbälgen vorn oder das Federbein hinten oder der Tank aus Stahl (statt aus handverarbeitetem Aluminium) oder der Scrambler-typische doppelte Auspuff auf halber Höhe.
Was die Neue zu einem ganz anderen Motorrad macht, ist die Sitzposition: Tiefere Fussrasten, höherer, breiter Lenker, eine flacher stehende Vorderradgabel mit großem 19 Zoll-Rad – was alles zusammen eine aufgerichtete, entspannt thronende Fahrerfigur ergibt mit Blick für die Umgebung.
Wer dieses Motorrad fährt, braucht keine Stoppuhr, aber ein euphorisches Empfinden dafür, wie der kernige Klang der edlen serienmässigen Akropovic-Auspuffanlage beglücken kann, aber vor allem die absolut souveräne Kraftmeierei des bulligen Boxermotors.
Damit wird man keine Rivalitäten mit 200-PS-Supersportlern auf der Rennstrecke austragen können, obwohl ein Journalistenkollege es mit der Scrambler ohne viel Mühe auf 220 km/h gebracht hat.
Nur eine Sache gibt's, die wir nicht akzeptieren
Aber fürs geübte Motorradfahren mit allen Sinnen, auf Landstrassen mit herrlichen hunderttausend Kurven, ist man mit der Scrambler besser dran. Sie ist leicht zu fahren, eine wendige, willige Kurvenmaschine, und sie bleibt auch bei hohem Tempo (und wegen des Lenkungsdämpfers) völlig ungerührt.
Nur eine Sache gibt's, die wir nicht akzeptieren am puristisch-minimalistischen Konzept: Es gibt keinen Drehzahlmesser. Im Mono-Tachotöpfchen sind Tempo, Kilometerstand, sogar Motortemperatur angezeigt. Den Drehzahlmesser gibt's zwar, aber nur in einem zweiten Töpfchen und als Sonderzubehör.