Irgendwann stösst jede Führungskraft zwangsweise an ihre Grenzen. Entweder ist es Ermüdung - eventuell sogar von Erfolg oder unterforderter Bequemlichkeit. Oder es sind veränderte Herausforderungen, die den eigenen Stärken und Interessen nicht mehr entsprechen. Oder der eigene Erfolg hat die (neue) Aufgabe eine Nummer zu gross gemacht.
Häufig gibt es dann nur einen Ausweg: nach langem Leiden für alle Beteiligten ein schmachvolles Ausscheiden aus der Position und meist auch gleich aus dem Unternehmen. An die beschönigende Wirkung der flankierenden, gesichtswahrenden Massnahmen glaubt niemand – und insbesondere nicht die betroffene Person.
Zurücktreten als Versager
In der Wirtschaftswelt wird Zurücktreten als ein Versagen angesehen. Wer anderes behauptet, der macht sich etwas vor. Obwohl ich selbst als Geschäftsführer zurückgetreten bin, sehe ich andere Zurückgetretene nicht als erfolgreiche Vorbilder an.
Wie sehr meine eigene Einschätzung jedoch vom Kontext abhängt, wurde mir eines Tages schlagartig durch einen Vergleich mit der Politik bewusst: Helmut Kohl oder Gerhard Schröder sind als Versager zurückgetreten. Erst die spätere Geschichte konnte hier ein objektiveres Urteil fällen. Wenn jedoch Obama Ende des Jahres zurücktreten wird, sieht ihn niemand als Versager an. Auch nicht er selbst: Er freut sich auf das Golf-Spielen.
Normal und üblich
Offensichtlich können wir Systeme gestalten, in denen Zurücktreten nicht als Versagen aufgefasst wird. Und sobald wir uns auf die Suche machen, finden wir andere Beispiele, in denen Zurücktreten normal und üblich ist: in Freiwilligen-Organisationen, bei Rektoren von Universitäten, beim Bundespräsidenten der Schweiz.
Und selbst bei manchen der erfolgreichsten Karrieren in der Wirtschaftsgeschichte gibt es scheinbare «Karrierebrüche»: Steve Jobs durch den Rauswurf aus dem von ihm gegründeten Unternehmen oder Larry Page durch sein zehnjähriges Sabbatical vom CEO Posten.
Zurücktreten als Entwicklungsschritt
«Vorgesetzte, die zurücktreten und ins Team gehen, lernen von ihren Nachfolgern unschätzbar viel. Zugleich sind Sie deren beste Mentoren.»
Interessanterweise ist dies die wortwörtliche Bedeutung von zurücktreten: zurücktreten in ein Team, das man zuvor geführt hat.
Das Zurücktreten in ein Team, das man zuvor geleitet hatte, erfolgte bei Haufe-umantis anfangs ohne klares System. In dem einen Jahr jedoch, in dem ich unter meinem Nachfolger und neuen Geschäftsführer gearbeitet habe, konnte ich die Vorteile hautnah erleben und viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Ich berichte darüber auch im TEDx Talk: Why bosses should step down – regularly. Zusammengefasst sind es folgende Vorteile:
• Wirksame Entwicklung der eigenen Führungskompetenzen
Es gibt unterschiedliche Führungsstile, die zu guten oder sogar grossartigen Resultaten führen. Das ist zwar offensichtlich, man muss es jedoch selbst erfahren, um es wirklich zu verinnerlichen und daraus zu lernen.
Ich habe meinen Nachfolger in Situationen erlebt, in denen ich selbst vor nicht allzu langer Zeit noch war – und ich wusste genau, wie ich selbst gehandelt hätte. Er ging einen anderen Weg. Dieser führte zu anderen und häufig besseren Ergebnissen, als ich von meinem Ansatz erwartet hätte. So konnte ich meine Vorstellungen von guter Führung anpassen. Der Lerneffekt ist enorm und kommt in jeder späteren Führungsrolle positiv zum Tragen.
• Besseres Eigenbild als Führungskraft
Bei einem der ersten Gesprächstermine nach der Entscheidung zum Rücktritt trafen mein Nachfolger und ich potenzielle Geschäftspartner. Als ich erwähnte, dass mein Teammitglied Geschäftsführer werden würde, änderte sich die Dynamik im Raum vollständig. Unsere Gesprächspartner sprachen plötzlich vorrangig mit ihm, obwohl sie kurz zuvor meist mit mir gesprochen hatten.
Zurücktreten macht uns als Führungskräfte bescheidener. Wir erkennen, dass ein Grossteil unserer Macht in unserer Rolle begründet ist und nicht in unserer grossartigen Persönlichkeit oder unseren überragenden Fähigkeiten.
• Bestmögliches Mentoring des Nachfolgers
Da ich im Team meines Nachfolgers arbeitete, konnte ich für ihn ein viel besserer Mentor sein. Ich erlebte unmittelbar, wie er führte und welche Auswirkungen dies hatte. Ich konnte ihm das offen und ehrlich spiegeln. Das offene Feedback fiel mir auch deshalb leicht, weil ich unmittelbar zuvor noch sein Vorgesetzter war. Das machte auch ihn zu einer besseren Führungskraft.
• Zeit für Entwicklung ausserhalb der Schusslinie
Wenn man als Führungskraft an Grenzen stösst, ist kaum eine Entwicklung möglich. Man befindet sich im Hamsterrad, verliert an Souveränität und damit an Entwicklungsfähigkeit. Der Rücktritt zurück in das Team bietet eine Pause, während der die gemachten Erfahrungen zur Erweiterung der eigenen Führungskompetenz genutzt werden können.
• Bindung von guten Mitarbeitern
Meist übernimmt jemand Führungsaufgaben, weil er oder sie die Aufgabe gut gemacht hat. Wenn es möglich ist, zurückzutreten ohne das Gefühl das Unternehmen verlassen zu müssen, kann man an anderer Position wieder einen ebenso guten Job machen. Wir haben das bei uns im Unternehmen tatsächlich dutzendfach erlebt. Das Unternehmen verliert somit seltener hoch qualifizierte Mitarbeiter.
Wenn wir Zurücktreten als «Anlauf-Holen» verstehen, dann können wir vielleicht besser damit umgehen. Wir können Zurücktreten auch als Abstand nehmen verstehen, um die eigene Situation besser betrachten zu können. Es braucht fraglos Mut, von seiner mit Fleiss und Ausdauer erarbeiteten Position zurückzutreten. Aber für manchen kann es sich auch als Befreiung für anderes oder Grösseres entpuppen:
„Ich sah es damals nicht, aber es stellte sich heraus, von Apple gefeuert zu werden, war das Beste, was mir jemals hätte passieren können. Die Schwere, erfolgreich zu sein, wurde ersetzt durch die Leichtigkeit, wieder ein Anfänger zu sein, sich der Dinge weniger sicher zu sein. Es befreite mich, in eine der kreativsten Phasen meines Lebens einzutreten.“
Steve Jobs*
*Übersetzung des Autors
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