Sieben Rechtsprofessorinnnen haben das erste Financial Stability Law Forum an der ETH in Zürich organisiert. Das Symposium bot gestern Dienstag zahlreiche Referate rund um die Too-big-to-Fail-Problematik und mögliche rechtliche Rahmenbedingungen, um Bankencrashs zu verhindern respektive abzufedern.
Senior Manager Regime vorgeschlagen
In einem der Referate forderte die Berner Rechtsprofessorin Susan Emmenegger in einem pointierten Vortrag ein Senior Manager Regime für die Schweiz.
«Bevor wir in die Zukunft schauen, lassen Sie uns zuerst einen Blick in die Vergangenheit werfen», meinte Susan Emmenegger, Professorin für Privat- und Bankrecht an der Uni Bern eingangs ihres Referats am Financial Stability Law Forum.
Am 2. Oktober 1879 kollabierte in Schottland die City of Glasgow Bank. Vier Monate später wurden die obersten Manager der Bank zu Gefängnisstrafen von 8 bis 18 Monaten verurteilt.
Statt Gefängnis gibts heute Boni?
Das Duke Street Prison, wo die Direktoren residierten, gebe es heute nicht mehr. Es wurde geschlossen. Überhaupt hätten sich die Zeiten geändert, meint die Berner Rechtsprofessorin. Das gelte nicht nur für den Ex-CEO von Lehman Brothers.
«Wir sehen es mit einer gewissen Regelmässigkeit, dass bei einer Krise oder einem Skandal diejenigen Personen, die die Führungsverantwortung für die Bank tragen, am Ende eben doch nicht verantwortlich sind», konstatiert Susan Emmenegger.
Was die Rechtsprofessorin in ihrem Referat am Financial Stability Law Forum nicht näher ausführte, ist eine immer wieder beobachtete Verhaltensweise fehlbarer Führungskräfte und ausser Kontrolle geratener Führungsgremien: Die Verantwortlichen von Bankdesastern in aller Welt halten für gewöhnlich möglichst lange an ihren Boni und Vergünstigungen fest – und kassieren weiter ihre horrenden Gehälter. Bis es dann zu spät ist und ihnen alles um die Ohren fliegt.
Viel Geld und Vertrauen verspielt
Nüchtern meinte Emmenegger: «Nehmen wir die Credit Suisse. Geboren am 5. Juli 1856, gestorben am 19. März 2023, begraben am 31. Mai 2024 mit Löschung im Handelsregister. Die Todesursache? Missmanagement.»
Hinter diesem Wort verbergen sich nicht nur falsche strategische Entscheidungen, sondern auch sogenannter Misconduct. «Handfeste Gesetzesverletzungen, die nicht nur viel Geld, sondern auch viel Vertrauen gekostet haben», so Emmenegger.
Niemand ist verantwortlich
Frage man, wer konkret für die Gesetzesverletzungen verantwortlich ist, werde das Bild schnell diffus. Dieses Phänomen sei kein Spezifikum der Credit Suisse, es sei allgemeiner Natur.
Der Grund gemäss der Bankrechtsexpertin: Die Informationsflüsse an die Führungsspitze funktionierten häufig nicht. «Es ist eine Entkoppelung zwischen dem Maschinenraum der Bank und der Führungscrew.» Diese Brandschutzwand isoliere, gewollt oder ungewollt, die Führungsspitze der Bank gegen Verfehlungen im operativen Bereich.
Ein weiterer Treiber für diffuse Verantwortlichkeiten sei die kollektive Entscheidungsfindung von Bankgremien. Alle seien ein bisschen schuld, niemand sei ganz schuldig. «Die kollektive Verantwortung verdrängt die individuelle Verantwortlichkeit», stellt Emmenegger fest.
Verantwortung klar zuordnen
Nun ein individuelles Verantwortlichkeitsregime zu etablieren, sei ein Versuch, bei diesen Phänomenen Gegensteuer zu geben. Es gehe am Ende darum, «dass klar ist, wer für die zentralen Bereiche innerhalb der Bank verantwortlich ist, dass die verantwortlichen Personen für ihre Aufgaben qualifiziert sind und dass sie ihre Aufgaben ernst nehmen».
Ernst nehmen bedeute nicht, dass es keine Missstände mehr gebe. Ernst nehmen bedeute hinschauen. Umgekehrt dürfe man auch nicht wegschauen, ist sich Susan Emmenegger sicher.
Die Antwort auf die Frage, ob die Schweiz ein individuelles Verantwortlichkeitsregime einführen solle, müsse klar mit Ja beantwortet werden. «Diese Zielsetzung dürfte gleichzeitig den Grundkonsens über eine gute Unternehmensorganisation und deren rechtliche Rahmenbedingungen abbilden.»
Transparente Umsetzung ist nötig
Schwierigkeiten räumte die Professorin bei der Umsetzung ein. Diese sei nicht ganz einfach. In Irland oder England werden Listen mit den jeweiligen Verantwortlichen bei den Banken geführt.
Für die Schweiz könne man sich auf die Führungsspitzen konzentrieren. Es gehe im Kern um den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung sowie um Personen in Schlüsselfunktionen, auch wenn sie nicht zur formellen Bankspitze gehörten.
Es müsse zudem im Zeichen der Transparenz für alle klar sein, wer wofür verantwortlich ist. «Und das gilt für die betroffene Person, für die Bank und für die Aufsichtsbehörde», betont Emmenegger.
Letztlich geht es wohl auch darum, bei Verfehlungen auch rechtliche Handhabe zu erlangen, was im Referat jedoch nicht näher thematisiert wurde.
Gemäss Susan Emmenegger stehen zwei Instrumente im Vordergrund: das sogenannte Statement of Responsibilities, das aufsichtsrechtliche individuelle Pflichtenheft, und die Management of Responsibilities Map, das Verantwortlichkeitsdokument für das Gesamtunternehmen, in der die Organisationsstruktur und die Verantwortungslinien aufgezeichnet sind.
EU macht ab 2026 ernst
«In der EU werden diese zwei Instrumente im Januar 2026 von den Banken umzusetzen sein. Wir erhalten also reichlich Anschauungsmaterial jenseits unserer Grenzen», schloss Emmenegger vor den rund 200 Zuhörerinnen und Zuhörern am Financial Stabilität Law Forum in Zürich, süffisant.
Sieben Rechtsprofessorinnen aus sechs Schweizer Universitäten haben sich im Financial Stability Law Forum (FSL Forum) zusammengeschlossen, um Stabilitätsfragen wie die Too-big-to-fail-Problematik in der Schweiz aus rechtswissenschaftlicher Sicht zu diskutieren. Zur Website des FSL Forums geht es hier.
Zu Gast waren als Keynote-Speakers Sarah Breeden, Deputy Governor der Bank of England (BoE), und Yan Liu, General Counsel und
Leiterin des Rechtsdienstes des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Austausch und Know-how-Transfer
Zum Hintergrund: Die jüngsten Bankenkrisen im Frühjahr 2023 haben die Debatte über systemische Risiken im Finanzsektor sowie deren Überwachung und Eindämmung durch Regulierung erneut entfacht.
Das Symposium bot Gelegenheit zur vertieften Diskussion. Am Vormittag lag der Fokus auf dem Bereich «Vertrauensschutz und Krisenprävention», während der Nachmittag dem Bereich «Krisenbewältigung und Abwicklung» gewidmet war.
Expertinnen und Experten sowie Schlüsselpersonen aus Behörden und Banken im In- und Ausland hielten Inputreferate, die in vier Paneldiskussionen vertieft wurden.
Die sieben Rechtsprofessorinnen hinter dem Symposium:
- Prof. Dr. Isabelle Chabloz, Université de Fribourg
- Prof. Dr. Franca Contratto, Universität Luzern
- Prof. Dr. Aline Darbellay, Universität Zürich
- Prof. Dr. Mirjam Eggen, Universität Bern
- Prof. Dr. Seraina Grünewald, Universität St. Gallen
- Prof. Dr. Nina Reiser, Universität St. Gallen
- Prof. Dr. Corinne Zellweger-Gutknecht, Universität Basel