Mit dem Untergang der Credit Suisse richtet sich ein Grossteil der «Too big to fail»-Regulierung primär an die verbleibende global systemrelevante Bank der Schweiz, die UBS. So stellt sich die Frage nach einer Erhöhung der regulatorischen Eigenmittelanforderungen aufgrund der internationalen Ausrichtung überwiegend bei dieser Bank. Auch die Abwicklungsplanung beinhaltet für die UBS ganz andere Herausforderungen als für ein national tätiges Institut.
Eine «Ein-Adressaten-Lösung» ist immer schlecht
Die Frage nach einer Anpassung der Vorschriften für die Aufsicht und Abwicklung von systemrelevanten Banken wird damit zunehmend zu einer Frage nach den Spielregeln für die UBS in der Schweiz. Aus einer regulatorischen Sicht ist eine solche «Ein-Adressaten-Lösung» immer schlecht. Gesetze wirken «generell-abstrakt» und sollen nicht nur gegenüber einem einzelnen Rechtsträger zur Anwendung kommen.
Mirjam Eggen ist Professorin für Privatrecht der Universität Bern und Präsidentin der Schweizerischen Übernahmekommission. Sie verfasst in loser Folge immer wieder Gastbeiträge für HZ Banking. Bereits erschienene Gastartikel, etwa zu digitalen Währungen, finden Sie hier oder hier.
Die Situation scheint aber auch in inhaltlicher Hinsicht verfahren: Während die Bank sich auf die Relevanz der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht nur für sie selbst, sondern für den gesamten Finanzplatz beruft, strebt der Bundesrat eine Lösung an, die bei einem Scheitern des Bankmanagements die Finanzstabilität aufrechtzuerhalten vermag und die Steuerzahlerinnen und -zahler nichts kostet.
Interessenabwägung ist gefragt
Die beiden Ziele lassen sich nicht ohne gegenseitige Rücksichtnahme verwirklichen. Gefragt ist somit eine Interessenabwägung durch den Gesetzgeber. Die Ausgangslage ist dabei eine fundamental andere als noch im Jahr 2011, als dem Parlament besonders heikle Elemente der neuen TBTF-Regulierung mit dem Argument schmackhaft gemacht wurden, diese würden genau dem entsprechen, was sich die Credit Suisse vorgestellt und gewünscht habe. Das ist auch gut so.
Anders als damals gibt es in der Schweiz nur noch eine global systemrelevante Bank. Zusätzlich hat die Legislative im März 2023 ernüchtert zur Kenntnis nehmen müssen, dass die von ihr nach der Finanzkrise mit viel Aufwand eingeführten Regeln lediglich zu einem bescheidenen Teil überhaupt zur Anwendung gekommen sind. Skeptiker sehen sich in ihrer Annahme bestätigt, dass die TBTF-Regeln generell nie funktionieren würden.
Der Bundesrat hat auf diese Vertrauenskrise in das Schweizer TBTF-Regime mit einem ganzen Strauss von Massnahmen reagiert, die er einzuführen oder zumindest zu prüfen gedenkt. Diese reichen von der Einführung eines Senior Managers Regime über die punktuelle Erhöhung der Eigenmittelanforderungen bis hin zu einer verbesserten Liquiditätsversorgung. Auch die Abwicklungsbehörde fordert insbesondere im Bereich der Prävention und Frühintervention stärkere Kompetenzen, um strauchelnde Banken rechtzeitig auf den Pfad der Tugend zurückführen zu können. Die Branche zeigt sich gerade über diese aus ihrer Sicht vormundschaftlich anmutenden Massnahmen wenig erfreut.
Ein Sterben muss möglich bleiben
Bei all dieser Meinungsvielfalt ist zumindest Folgendes klar: Banken sind als privatwirtschaftliche Marktteilnehmer tätig und sollen es auch bleiben. Die Aufsicht kann weder das Management ersetzen noch dürfen die regulatorisch angeordneten Massnahmen zu sinnloser Bürokratie in den Instituten führen. Ein Scheitern des Managements – und damit ein Sterben der Bank – muss somit möglich bleiben.
Ebenso klar ist jedoch, dass die privatrechtlichen Kontrollmechanismen bei TBTF-Banken nur bedingt funktionieren. Die Gläubiger einer Bank verlassen sich regelmässig darauf, dass sie ihre Einlagen bei Turbulenzen rechtzeitig abziehen können. Anders als bei klassischen Darlehen in der Realwirtschaft findet sich hier somit kaum ein entscheidendes Gegengewicht zum Bankmanagement. Dass auch das Aktionariat und der Verwaltungsrat erst spät oder gar nicht auf Fehlentwicklungen reagieren, wurde in den vergangenen Krisen mehr als deutlich. Schliesslich sind Banken stark vernetzt mit den weiteren Finanzmarktteilnehmern. Ein plötzlicher Ausfall – wie das durch einen Konkurs passieren würde – ist bei einer systemrelevanten Bank in der Praxis nicht denkbar.
Banken nicht unnötig einschränken
Damit systemrelevante Banken ihre Tätigkeiten dennoch eigenständig ausüben können, bedarf es deshalb besonderer regulatorischer Massnahmen. Diese sollen sich möglichst nah an den privatwirtschaftlichen Kontrollmechanismen bewegen und die Bank nicht unnötig in ihren Aktivitäten einschränken. Zentral sind für die anstehende Revision die folgenden Eckpfeiler:
Eine Toolbox für die Krise
Erstens muss das Sterben einer TBTF-Bank ohne harte Brüche und Schocks geschehen können. Um den Märkten das Vertrauen in eine sanfte Landung zu vermitteln, ist die Abwicklung der Bank (Resolution) durch die Behörden vorzubereiten und im Ernstfall eng zu begleiten. Der Abwicklungsbehörde muss dabei ein rechtssicheres Instrumentarium zur Verfügung stehen. Hier gibt es in der Schweiz Nachholbedarf. Es fehlt an einer konzisen Toolbox, auf welche die Finanzmarktaufsicht Finma zurückgreifen kann.
Zusätzlich ist die Liquiditätsversorgung während dieser kritischen Phase sicherzustellen. Die Einführung des PLB ist deshalb zwingend notwendig, um das Abwicklungsregime international glaubwürdig erscheinen zu lassen. Soll der PLB aber nicht zum staatlichen Krückstock des Bankings werden, ist dessen Ausrichtung bereits vor dem Ernstfall marktgerecht abzugelten.
Abrutschen in Krise verhindern
Zweitens muss sich die Bank auf mögliche Fehlentwicklungen vorbereiten und Massnahmen planen für den Fall, dass die Geschäfte nicht so laufen wie geplant. Bestenfalls kann das Management mit diesen Massnahmen eine Sanierung der Bank erreichen und ein Abrutschen in die Krise verhindern. Diese Genesung aus eigener Kraft (Recovery) gehört nicht in Behördenhand. Die Planung und auch die Festlegung und Umsetzung der erforderlichen Schritte liegen bei der Bank selbst.
Die Abwicklungsbehörde muss aber früh genug eingreifen können, wenn eine systemrelevante Bank bei der Sanierungsplanung Luftschlösser baut oder bei der Umsetzung der Pläne zaudert. Dazu muss sie über geeignete Möglichkeiten zur Frühintervention verfügen. Dass sie zudem die Öffentlichkeit über Verstösse von Instituten zu informieren hat, sollte gerade in der auf Transparenz ausgerichteten Finanzmarktregulierung selbstverständlich sein.
Stärkung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit
Drittens muss die Verantwortung von Management und Verwaltungsrat regulatorisch gestärkt werden. Dazu braucht es kein verästeltes Senior Managers Regime nach UK-Vorbild. Im Wesentlichen genügt eine Stärkung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit für die obersten Exponenten der Bank. Dafür muss auch nach einem Ausscheiden aus den relevanten Positionen Vermögenssubstrat in der Schweiz vorhanden sein. Die Höhe der Boni erscheint so lange nicht als matchentscheidend, als dass diese im Krisenfall wieder zurückgeholt werden können und dies auch getan wird.
Vorbereitung als entscheidender Faktor
Viertens liegt der Erfolg dieser Massnahmen weniger in der Regulierung selbst als vielmehr in deren Umsetzung. Die Abwicklung einer TBTF-Bank kann nur dann gelingen, wenn die involvierten Behörden akribisch vorbereitet sind und in der Bank die entsprechenden Massnahmen getroffen wurden, um etwa einen Teilverkauf des Geschäfts an einen Dritten innerhalb kurzer Zeit zu ermöglichen. Auch die Eigenmittelanforderungen sind im Kontext von Recovery und Resolution vor diesem eminent praktischen Hintergrund zu sehen: Führen die gegenwärtigen Eigenmittelvorschriften dazu, dass die Eigenmittel des Schweizer Stammhauses eine Sanierung bzw. Abwicklung behindern, sind die Anforderungen anzupassen. Weitergehende Diskussionen über die perfekte Ausstattung einer Bank mit Eigenmitteln sind vielleicht akademisch interessant, zielen aber völlig an den internationalen Standards und der damit bewusst in Kauf genommenen Fragilität des Finanzsystems vorbei.
Im Krisenfall kein Kassenschrank sein
Schliesslich braucht es den Realitätscheck: Die Abwicklung einer systemrelevanten Bank ist immer mit Risiken und Ungewissheiten behaftet. Sie dürfte eher an ein Woodstock als an ein Ballett erinnern. Einen Schweizer Houdini benötigen wir aber nicht, um die entsprechenden Regeln vorzubereiten. Es gilt vielmehr, die eingangs beschriebenen Interessen im Auge zu behalten und das Regelwerk entsprechend zu gestalten. Um es mit Polo Hofer zu halten: Niemand ist «giggerig» auf eine Abwicklung unserer letzten global systemrelevanten Bank. Aber der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass die Schweiz im Krisenfall nicht als «Kiosk» oder «Kassenschrank» dasteht, der überraschend schnell geleert wird.