Finanzdokumente können nicht nur rechtlich und inhaltlich komplex sein sowie hochsensible Daten enthalten, sondern jedes Unternehmen hat auch seine eigene Corporate Language. Oft nutzen Schweizer Finanzinstitute die Möglichkeit, Analysen, Prospekte, Jahresberichte, Verträge oder Bilanzen von externen Anbietern übersetzen zu lassen. «Weil bei grossen Projekten oder Prüfungen durch Aufsichtsbehörden aber auch mal auf einen Schlag Hunderte oder Tausende Seiten übersetzt werden müssen, kann das richtig teuer werden», sagt Paula Reichenberg, Gründerin und Geschäftsführerin des Fintech-Startups Neur.on AI Solutions

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Gemeinsam mit Linguisten und KI-Expertinnen hat die Juristin 2022 das Freiburger Jungunternehmen gegründet, das mit künstlicher Intelligenz «Hilfe zur Selbsthilfe – massgeschneidert auf die Schweizer Rechts- und Finanzbranche» verspricht. Bereits 2007 gründete Paula Reichenberg den etablierten juristischen und finanzrechtlichen Übersetzungsdienstleister Hieronymus. Neur.on ist ein Spin-off von Hieronymus, und es bietet Banken, Kanzleien und Institutionen eine Übersetzungssoftware, die in die jeweils bestehende technische Infrastruktur integriert wird und von allen Mitarbeitenden genutzt werden kann. 

Massgeschneidert für die Branche  

Schon heute kann zwar jede und jeder Softwarelösungen wie Deepl oder Google Translate nutzen.  Auch Reichenberg weiss: «Dass Equity-Analysten Übersetzungen, etwa mit Deepl, selbst übernehmen, ist Alltag in vielen Banken.» Die Analysten müssten dann aber manuell alle Seiten lesen und auf Fehler und Corporate Language überprüfen. «Auch das ist zeitaufwendig, teuer und hält den Fachexperten davon ab, seine eigentliche Arbeit zu leisten», gibt Reichenberg zu bedenken.

Die Algorithmen von Neur.on würden ein paar Schritte weiter gehen. Auch diese künstliche Intelligenz greift zwar auf gängige LLM-Systeme (Large Language Models) zurück. Sie sei aber nicht nur gezielt mit Tausenden Dokumenten und Gesetzestexten auf die Schweizer Rechtslage «vertraut», sondern werde beim Onboarding in die bestehende Infrastruktur des Unternehmens auch mit internen Reports, Produktkatalogen, AGB und Richtlinien auf interne Regularien und sprachliche Eigenheiten des jeweiligen Finanzinstituts geschult. 

«Je nach Sprachwunsch und Dokumentenart schlägt unsere KI ein passendes Übersetzungsmodell vor und unterstützt dann aktiv beim Lektorieren und Korrigieren, indem sie auf eventuelle Fehler und Ungenauigkeiten hinweist und Lösungsvorschläge macht», erklärt Paula Reichenberg. «Das letzte Wort behält die Fachexpertin der Bank – sie spart dadurch aber in etwa die Hälfte der Zeit, und die Arbeit wird präziser überwacht.»  

Datensicherheit aus der Schweiz  

In puncto Datensicherheit gehören die Anforderungen in der Rechts- und Finanzbranche zu den höchsten. «Deshalb nutzen wir Schweizer Server und können unsere Software auch komplett ohne Cloud-Lösung anbieten», sagt die Gründerin. Das Startup verspricht: «hoch sichere Lösungen» und wird ab 2025 voraussichtlich die von Swisscom und Nvidia entwickelte Infrastruktur der Trusted AI Factory nutzen.  

Rund zwanzig Institutionen aus der Rechtsbranche und vier aus der Finanzbranche gehören bereits zu den Kunden von Neur.on AI Solutions. «Wir sind bewusst mit ausgewählten Kunden gestartet, um gemeinsam zu lernen, zu wachsen und den Product-Market-Fit herauszuarbeiten», so die Geschäftsführerin. 

Geld verdient das Startup über Lizenzgebühren für die Softwarenutzung und einmalige Onboardinggebühren. Zudem bietet es Zusatzdienstleistungen, wie die Vermittlung von Fachübersetzern für ausgefallenere Sprachen wie etwa Farsi oder Thailändisch an.  

Gewinner des Swiss Fintech Awards 2024    

Unterstützt wurde die Entwicklung der KI-Übersetzungslösung Anfang 2024 nicht nur von Innosuisse. Im Sommer räumte die Businessidee auch den Swiss Fintech Award 2024 ab. Die Begründung: Das Startup mache Übersetzungen kostengünstiger, präziser – und sei relevant, weil es einen 10-Milliarden-Dollar schweren Übersetzungsmarkt in der Finanz- und Rechtsbranche adressiere.

Zwei Finanzierungsrunden, mit Business Angels und Investoren wie zum Beispiel dem Helbing Lichtenhahn Verlag (Verlagsgruppe C. H. Beck) sind bereits abgeschlossen. Eine weitere Runde ist aktuell in Vorbereitung. «Mit der Finanzspritze möchten wir 2025 expandieren», sagt Paula Reichenberg, «Deutschland und Grossbritannien haben wir im Blick für eine Skalierung ins europäische Ausland.»

Die Schweiz sei und bleibe als traditionell multilinguales Land aber der ideale Standort für den Hauptfirmensitz. Wenn die ab dem zweiten Quartal geplante Expansion gelingt, wird das aktuell zwölf Mitarbeitende umfassende Startup-Team 2025 noch kräftig wachsen.  

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