«Generative KI wird die Wettbewerbssituation umkrempeln», sagte Martin Moeller, der beim US-Softwareriesen europaweit das Geschäft mit KI für Finanzdienstleister leitet, der Nachrichtenagentur Reuters. «KI wird zum Beispiel die Schwelle für einen Markteintritt von Jungfirmen massiv senken, wie das die Digitalisierungs- und Internetwelle vor Jahrzehnten gemacht hat.»
Nach der Telekom- und Medienbranche nutzten Finanzdienstleister weltweit am meisten sogenannte Generative KI (GenAI), die wie ChatGPT von OpenAI oder Gemini von Google Inhalte auf Grundlage weniger Stichworte erstellen kann. Dabei gehe es vor allem um Prozessoptimierung, erklärt Moeller. Beispiele seien etwa das Zusammentragen von Kundendaten aus verschiedenen Datenbanken in Form eines KI-Assistenten für Berater.
Der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna nutzt seit Anfang 2024 KI des Microsoft-Partners OpenAI, die soviel Arbeit leistet wie 700 Mitarbeitende. Auch der grösste globale Vermögensverwalter, die UBS, setzt auf KI. «Ich sehe, dass es Spielraum gibt, um die Produktivität zu steigern und die Arbeit für alle zu erleichtern», erklärte UBS-Chef Sergio Ermotti kürzlich auf einer Konferenz.
Die Geschäftsmodelle wurden bisher nicht angetastet. Dies könnte sich ändern, meint Moeller. GenAI beschleunige Innovation innerhalb von Banken und senke gleichzeitig die Kosten für neue Anbieter, so der Experte. Family Offices, die privaten Vermögensverwalter von Superreichen, stellten bereits eine scharfe Konkurrenz für Privatbanken dar. Gerade in den USA liessen sich viele der sehr Wohlhabenden nicht mehr von traditionellen Grossbanken beraten. «Mit künstlicher Intelligenz können Family Offices sehr günstig aufgebaut oder vergrössert werden», sagte Moeller. Aber nicht nur für Family Offices biete KI grosses Potenzial. «Auch Banken, die bisher kaum im Wealth Management aktiv waren, könnten mit Hilfe von KI in das Geschäft einsteigen, ohne viel in Kundenberater investieren zu müssen.» So könnten etwa die deutschen Landesbanken von einem solchen Schritt profitieren.
Jedem sein Private Banker
Rückenwind erhält der Vormarsch von KI auch von einem veränderten Kundenverhalten. Insbesondere junge Unternehmer seien zunehmend bereit, sich selbst um ihre Anlagen zu kümmern, so Moeller. Viele Banken arbeiteten daran, den Kunden mit Hilfe herkömmlicher KI das selbstständige Sammeln von Informationen zu ermöglichen, die in der Bank und anderswo verfügbar seien. «Die Kunden sollen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Zugang zu komplexen Informationen erhalten. Die Portfolio-Konstruktion kann ebenfalls herkömmliche KI übernehmen.»
Was bisher gefehlt habe, sei Beratung zu Produkten oder konkreten Anlageentscheidungen. Der in den nächsten zwei Jahren erwartete Entwicklungsschritt in der sogenannten «Agentic AI», die eigenständige Entscheidungen fällt und ohne menschliche Beteiligung agiert, dürfte neue Möglichkeiten eröffnen. Dann werde es möglich sein, eine Unterhaltung über Anlage-Optionen zu führen, Fragen zu stellen und dann von der Agentic AI, konkrete Handlungen durchführen zu lassen, sagte Moeller.
In der KI-gestützten Welt von morgen dürften einer Studie der US-Bank Citi zufolge auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Bankdienstleistungen breit verfügbar sein. «Jeder könnte einen Private Banker in seinem Wallet, seinem Smartphone oder einem tragbaren Gerät haben - und er müsste nicht vermögend sein." Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit werde auch Vertrauen in KI aufgebaut, erklärte Moeller. Als die ersten Navigationssysteme auf den Markt gekommen seien, habe trotzdem noch jeder auf die Strassenkarte geschaut. «Heute vertrauen wir den Navigationssystemen. Ich glaube, dass der Weg auch bei der Anlageberatung dorthin gehen wird.» (Reuters/hzb/pg)