Es ist laut Prognostikern völlig offen, ob die Währungshüter den Leitzins erneut senken oder nicht. Die Ökonomen-Zunft ist in zwei fast gleich grosse Lager gespalten. «Um eine Prognose abzugeben, wirft man am besten eine Münze», meint ein Experte scherzhaft. Dies spiegelt sich in den Vorhersagen der Ökonominnen und Ökonomen wider.

Zwölf der insgesamt 20 von der Nachrichtenagentur AWP befragten Prognostiker gehen davon aus, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) am kommenden Donnerstag den Leitzins bei 1,50 Prozent belässt. Die restlichen acht erwarten eine weitere Senkung auf 1,25 Prozent.

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Eine vorherrschende Mehrheitsmeinung ist somit Fehlanzeige. Und manche Prognostiker räumen auch ein, dass sie unsicher sind. «Meine Vorhersage hat nur eine Wahrscheinlichkeit von gut 50 Prozent», gesteht einer freimütig. Frei übersetzt heisst das: Es könnte auch anders kommen.

Zur Erinnerung: Bei der letzten Lagebeurteilung im März hatte die SNB den Leitzins von 1,75 auf 1,50 Prozent gesenkt und damit einen Überraschungscoup gelandet. Sie hatte als erste der führenden Notenbanken die Zinswende eingeläutet.

Davor hatte die SNB wegen der gestiegenen Inflation ab Juni 2022 den Leitzins in fünf Schritten von seinerzeit -0,75 Prozent auf 1,75 Prozent erhöht und danach zwei Mal unverändert belassen.

Bei der Inflation am Ziel?

Für beide Sichtweisen gibt es Argumente. Ein gewichtiges ist die Inflation. Jene, die eine erneute Senkung erwarten, sprechen von einer «moderaten Inflationsentwicklung» und dass sich die Kerninflation mit derzeit 1,2 Prozent fast in der Mitte des Zielbands der SNB (0-2%) befinde.

Aber auch die ausgewiesene Mai-Teuerung von 1,4 Prozent sei angesichts widriger Umstände - etwa dem Mietzinseffekt - ein guter Wert gewesen. «Wichtiger ist noch, dass die Aussichten für die Inflation positiv sind», meint etwa Brian Mandt von der Luzerner Kantonalbank.

Andere sind in Sachen Inflation weniger optimistisch. Es gebe sogar Anzeichen dafür, dass der inflationäre Druck in letzter Zeit wieder etwas zugenommen habe, heisst es von dieser Seite. Das Inflationsgespenst sei auch noch nicht ganz verschwunden, weil die Löhne gestiegen seien - was die Inflation wieder anheizen könnte - Stichwort Zweitrunden-Effekte. Wer diese Meinung vertritt, erwartet eher keine Zinssenkung.

Glas halb voll oder halb leer?

Ein anderer Aspekt ist die Wirtschaftsentwicklung. So betonen jene, die eine Zinssenkung erwarten, die eher schwache Konjunktur. «Die letzten Daten haben ein gedämpftes Wachstum im Dienstleistungsbereich und eine anhaltende Schwäche im Industriebereich gezeigt», meint etwa Bank-Syz-Chefökonom Adrien Pichoud.

Anders sieht dies beispielsweise ZKB-Chefökonom David Marmet: Die Industrie befinde sich zwar weiterhin in einer ungemütlichen Lage. «Die Aussichten hellen sich aber auf.» Und da der Dienstleistungssektor weiterhin robust sei, brauche es keine geldpolitische Unterstützung. Und mit 1,5 Prozent bleibe der SNB noch genügend Pulver, um im Falle einer Krise reagieren zu können.

SNB-Ziel bei etwa 1 Prozent

Vontobel-Chefökonom Reto Cueni verweist in diesem Zusammenhang auf eine kürzliche Rede von SNB-Präsident Thomas Jordan. Bei dem vielbeachteten Auftritt habe er erklärt, dass die SNB den avisierten, langfristigen Zins am Ende der Senkungen bei etwa 1 Prozent sehe. «Das bedeutet, dass die Zentralbank nur noch 2 Zinssenkungen à 0,25 Prozent vornehmen kann, also bereits jetzt nicht mehr viel Spielraum hat.»

Auch die Wechselkurse führen nicht zu eindeutigen Prognosen. Die Frage ist dabei, ob eher auf die kürzliche Erstarkung des Frankens oder die vorherige Frankenschwäche geschaut wird. Ein Experte meint in diesem Zusammenhang sogar, dass die Wechselkursentwicklung bis zum Zinsentscheid das Zünglein an der Waage spielen könnte.

Es geht nochmals runter

Nahezu alle Experten glauben aber, dass der Leitzins nochmals gesenkt wird - wenn nicht im Juni, dann bei den Lagebeurteilungen im September und/oder Dezember. So wird zum Jahresende zumeist ein Leitzins von 1,00 oder 1,25 Prozent prognostiziert.

Das Hauptargument dafür ist, dass inzwischen auch die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Senkung der Zinsen begonnen hat und auch von der US-Notenbank Fed zumindest ein solcher Schritt bis Ende Jahr erwartet wird. Da wolle die SNB "nicht ins Hintertreffen geraten", erwartet LBBW-Ökonomin Katja Müller.

Konkret werde die SNB versuchen, vor allem zur Eurozone die Zinsdifferenz konstant zu halten, so ein anderer Experte. Dies sei ein entscheidender Balanceakt: Denn ein zu starker Franken schade der Exportindustrie, eine zu schwache Währung führe potenziell zu einer höheren importierten Inflation.

Doch das ist Zukunftsmusik für spätere SNB-Lagebeurteilungen. Vorerst folgt nun der Junientscheid, bei dem alles offen ist und der Handlungsspielraum der SNB offensichtlich grösser ist als auch schon. (awp/hzb/ps)

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