Zwei Drittel - 22 von 33 - der von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Volkswirte und Finanzmarktexperten erwarten, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins am Donnerstag zum zweiten mal in Folge um 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent senken wird. Und eine knappe Mehrheit von 17 Volkswirten geht davon aus, dass der SNB-Leitzins bei der nächsten turnusmässigen Zinssitzung im September dann auf 1,0 Prozent zurückgenommen wird.
Diese Einschätzung steht im Einklang mit den Markterwartungen, die eine fast 75-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung im Juni einpreisen. Doch angesichts eines leicht anziehenden Wirtschaftswachstums und eines stockenden Abwärtstrends bei der Inflation könnte es auf eine viel knappere Entscheidung hinauslaufen. SNB-Präsident Thomas Jordan sprach zuletzt von einem «kleinen Aufwärtsrisiko» für die Inflationsprognose der Notenbank - die massgebliche Messlatte der Währungshüter für ihre Zinsentscheidung -, womit der geldpolitische Kurs expansiver wäre als beabsichtigt.
Die Teuerung in der Schweiz ist eine der niedrigsten unter den grossen Volkswirtschaften und sie liegt seit Mitte 2023 wieder im Zielbereich der Zentralbank von null bis zwei Prozent. Nachdem die SNB im März als erste grössere Notenbank mit einer Leitzinssenkung um 0,25 Prozentpunkte auf 1,50 Prozent vorgeprescht war, blieb die an den Finanzmärkten ersehnte breite Zinswende aber vorerst aus. Die Europäische Zentralbank (EZB) vollzog erst Anfang Juni den Schwenk und senkte nach fast fünf Jahren erstmals wieder die Zinsen, liess wegen der unsichern Inflationsaussichten ihren weiteren Kurs aber offen. Weiter Zuwarten ist in der grössten Volkswirtschaft der Welt angesagt: Die US-Notenbank Federal Reserve hielt vergangene Wochen den Leitzins weiter hoch und peilt trotz Entspannungssignalen von der Preisfront in diesem Jahr nur noch eine Zinssenkung an.
Ökonomen uneins - Zinssenkungszyklus stoppt bei 1,0 Prozent
«Wir gehen davon aus, dass der Leitzins bei der kommenden Sitzung um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent gesenkt wird», sagte George Moran, Europa-Ökonom beim japanischen Bankhaus Nomura. «Dies ist unser Basisszenario, da die Inflation innerhalb des Zielbereichs liegt und voraussichtlich dort bleiben wird. Es ist jedoch eine sehr fein austarierte Entscheidung.»
Anders sehen das die Ökonomen der Grossbank UBS, die jüngst ihre Einschätzung revidierten und nicht länger von einer Zinssenkung im Juni ausgehen. «Die SNB dürfte ihren Leitzins letztlich auf 1,0 Prozent senken, daran halten wir weiterhin fest», erklärten sie. «Jedoch wird das Tempo der Zinssenkungen, um dieses Niveau zu erreichen, wahrscheinlich langsamer ausfallen als ursprünglich erwartet.» Auch bei der St. Galler Kantonalbank setzt man auf ein Abwarten der SNB am Donnerstag: «Die Inlandsteuerung liegt hartnäckig bei zwei Prozent», sagte der Anlagechef der Bank, Thomas Stucki. «Da hat die Nationalbank keinen Grund, die Zinsen zu senken. Wir gehen davon aus, dass die Nationalbank nicht senken wird.» Stucki traut der SNB dann Zinssenkungen im September dieses Jahres und im März 2025 zu.
Bei 1,0 Prozent sehen Volkswirte aktuell das Ende des laufenden Zinssenkungszyklus: Dem Medianwert der Umfrage zufolge dürfte der Leitzins im September auf dieses Niveau sinken und dann bis mindestens 2026 dort verharren.
Die Schweizer Währungshüter entscheiden in der Regel viermal jährlich gegen Ende des Quartals über die Zinsen. (reuters/hzb/ps)