Innert eines Jahres hat die SNB ihren Leitzins von minus 0,75 auf plus 1,75 Prozent angehoben. Das war gerechtfertigt und begründbar – doch vorläufig reichts. Die SNB muss jetzt zuwarten. Denn die modellfixierte Geldpolitik von Thomas Jordan droht zum Overkill für die Wirtschaft zu werden. Und noch mehr: Die mehrfache Rückkoppelung über die Dynamik bei den Mieten bremst nicht, sondern erhöht die Teuerung.
Um diese Rückkoppelung auf den Landesindex der Konsumentenpreis (LIK) zu verstehen, muss man sich den Meccano des Mietrechts vor Augen halten: Der Anstieg des Zinsniveaus führt jetzt erstmals, nach geglätteter Verzögerung, zur landesweiten Anhebung des mietrechtlichen Referenzzinssatzes auf 1,5 Prozent. Das löst nun einen multiplen Erhöhungsschub der Mieten wie folgt aus:
Erstens rechtfertigt die mietrechtliche Referenzzinserhöhung von 0,25 Prozent eine Mietzinserhöhung von 3 Prozent.
Zweitens können gleichzeitig die Mieten zusätzlich um 40 Prozent der aufgelaufenen Teuerung erhöht werden (was bei den Liegenschaftsverwaltungen in der Regel der Fall ist).
Und drittens schlagen die professionellen Immobilienverwaltungen – rechtlich zwar umstritten – noch zusätzlich 0,5 Prozent sogenannte allgemeine Kostensteigerung auf die Mieten.
Über den Gastautor
Rudolf Strahm, Ökonom und Chemiker, war SP-Nationalrat und danach eidgenössischer Preisüberwacher.
Per Saldo führt dieser erste Zinsschub im Herbst bei mindestens der Hälfte aller Mietverhältnisse zu Mieterhöhungen von oft 4 bis 6 Prozent (oder mehr). Wenn nun die SNB ihren Leitzins nochmals erhöhen sollte, wird der erneute Referenzzinsanstieg nach Bankschätzung im Jahr 2024 sogar bei zwei Dritteln aller Mietverhältnisse durchschlagen. Die Mieten sind im LIK-Warenkorb mit einem Fünftel der grösste Posten. Kurz, die SNB wird mit ihrer Inflationsbekämpfung zum zahlenmässig wirksamsten Inflationstreiber!
Eine weitere Leitzinserhöhung der SNB im September lässt sich nicht rechtfertigen. Denn sämtliche makroökonomischen Faktoren, die für die Leitzinsgestaltung relevant sind, sprechen gegen einen weiteren Erhöhungsschritt:
- Der Landesindex LIK ist am Sinken, und die Jahresteuerung betrug im Juli 2023 nur noch 1,6 Prozent, liegt also unter der magischen, selbst definierten Grenze von 2 Prozent. Gleichermassen ging auch die Kerninflation zurück.
- Der Importpreisindex hat sich gegenüber dem Vorjahr um 5 Prozent zurückentwickelt.
- Die vorlaufenden Konjunkturindikatoren, etwa der Einkaufsmanagerindex, prognostizieren eine Abschwächung der Konjunktur. Die Exportwirtschaft meldet einbrechende Bestellungen und sagt einen Rückgang voraus. Deutschland als wichtiger Abnehmer schlittert in die Rezession.
- Die Lohnerhöhungen werden in diesem Herbst (leider) im Durchschnitt mit bloss 2 Prozent prognostiziert, das heisst, die Teuerung bleibt teilweise bei den Beschäftigten hängen und wird zur Kaufkraftschwächung führen.
Trotz dieser Indikatoren warnt der modellfixierte Thomas Jordan vor der Teuerung. Und die ultraorthodoxen NZZ-Wirtschaftsredaktoren Peter Fischer und Thomas Fuster ermahnen die SNB-Leitung Woche für Woche zu weiteren Leitzinserhöhungen, um, wie sie meinen, der «Inflationsmentalität» die Spitze zu brechen.
Was ist die versteckte Agenda? Ist es bloss die sprichwörtliche Inflationsparanoia der geldpolitischen Orthodoxie? Oder will man dem Bankensektor nach der Negativzinsphase zu Gewinnerhöhungen verhelfen?
Der dank den hohen Zinsmargen massive Anstieg der Bankgewinne um 20 bis 30 Prozent (teils sogar um 40 Prozent) im ersten Halbjahr weist auf diese Absicht hin. Zusätzlich finanzierte die SNB die Banken im ersten Halbjahr mit 3,3 Milliarden Franken mit der erhöhten Verzinsung der bei ihr deponierten Cashbestände. Dies sind implizite Subventionen! Sie ermöglichen derzeit die Windfallprofite der Banken.
Die SNB steuert als wichtigste Wirtschaftsbehörde die Konjunktur – und mithin auch die soziale Lage der Bevölkerung. Die soziale Frage hat in den schematischen Modellen der SNB-Direktion keinen Platz. Es fehlt im SNB-Direktorium ein Pluralismus der ökonomischen Sichtweisen!
Das SNB-Direktorium besteht seit Ende Juni nur noch aus zwei Mitgliedern, das Gesetz schreibt drei vor. Ein hochgestellter Insider der SNB sagte mir zu dieser Vakanz: Es spielt keine Rolle, wer als Dritter oder Dritte ins Direktorium gewählt wird, es wird immer einen Zwei-zu-eins-Entscheid geben. Denn der von Jordan auf verdeckte Weise ins Amt gepuschte Adlatus Martin Schlegel wird als Vizepräsident immer so stimmen wie der Chef. Wenn so wenige Menschen Macht über so viele Menschen ausüben, ist auch das Risiko von Fehlleistungen gross. Die SNB-Governance ist und bleibt ein ungelöster Risikofaktor in der Volkswirtschaft.