Nach dem Feierabend die Mails checken und am Sonntagmorgen fürs Geschäft im Einsatz: Wer sich auch ausserhalb der Arbeitszeiten engagiert, ist im Büro gern gesehen. Doch wenn die Gedanken nur noch um die Arbeit kreisen, könnte sich eine Sucht einschleichen.

So sind rund 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland arbeitssüchtig, wie eine aktuelle Studie der Technischen Universität Braunschweig sowie des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigt. Für die Schweiz gibt es keine genauen Daten – die Zahlen dürften aber ähnlich hoch sein.

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Im Falle einer Arbeitssucht verspüren Betroffene unaufhörlich den Drang zur Arbeit, wie der amerikanische Psychologe Wayne E. Oates den Begriff 1971 definiert hat. «Arbeitnehmenden in dieser Situation fällt es schwer, von der Arbeit abzuschalten», sagt auch Arbeitspsychologin Barbara Körner.

Erholungsphasen gibt es dann kaum noch. Als Folge davon gehen die Motivation und die Arbeitszufriedenheit verloren. Es kann zu einem Leistungseinbruch kommen – und im schlimmsten Fall droht ein Burnout.

Präventive Massnahmen verhindern Arbeitssucht

Um das zu verhindern, können Firmen ihre Arbeitnehmenden präventiv unterstützen: «Etwa durch Massnahmen wie E-Mail sperren ausserhalb der Arbeitszeiten oder mit der Förderung einer gesunden Work-Life-Balance, sodass etwa Ferientage auch wirklich voll bezogen werden und Überstunden keine Regel sind.»

Solche präventiven Massnahmen werden laut Körner immer wichtiger. Denn mit dem zunehmenden Homeoffice weichen sich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer mehr auf. Abschalten wird auf diese Weise schwieriger und eine Sucht kann sich unter Umständen schneller entwickeln.

Darum ist es schwierig, Arbeitssucht zu erkennen

Allgemein ist es schwierig, eine Arbeitssucht zu erkennen: «Dass sich jemand wegen Arbeitssucht an uns wendet, bleibt der Ausnahmefall», sagt Sabin Bührer von der Suchtfachstelle Zürich.

Denn viel arbeiten wird meist positiv bewertet. Es sei darum schwierig, zu sagen, ab wann die Freude an der Arbeit zur Sucht wird.

Wie erkenne ich, ob ich arbeitssüchtig bin?

Die Universität Bergen hat sieben Kriterien für Arbeitssucht identifiziert. Wer mindestens vier Fragen mit einem Ja beantworten kann, gilt als arbeitssuchtgefährdet:
 

  • Vernachlässigen Sie häufig Freunde, Familie oder Hobbys zugunsten Ihrer Arbeit?
  • Denken Sie oft darüber nach, wie und wo Sie noch mehr Zeit für berufliche Aufgaben herausholen könnten?
  • Arbeiten Sie oft, um unangenehme Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit oder Schuld zu unterdrücken?
  • Werden Sie unruhig, wenn Sie nicht arbeiten können? Etwa im Familienurlaub oder wenn Sie längere Zeit keinen Internetzugriff haben? Oder entwickeln Sie sogar körperliche Symptome für einen Entzug?
  • Benötigen Sie häufig mehr Zeit für Ihre Arbeit, als Sie ursprünglich eingeplant haben?
  • Wurde Ihnen schon einmal geraten, beruflich kürzerzutreten – was Sie jedoch ignoriert haben?
  • Hat sich Ihre Arbeit schon einmal negativ auf Ihre Gesundheit ausgewirkt?

Wie bei anderen nicht substanzgebundenen Suchterkrankungen, so etwa bei der Kauf- oder Pornosucht, wird bei der Arbeitssucht das Belohnungshormon Dopamin freigesetzt. Die Person fühlt sich dadurch glücklich. Damit immer gleich viel Dopamin freigesetzt wird, muss aber immer mehr gearbeitet werden.

«Zum Problem wird das, sobald die Sucht zu negativen Veränderungen führt», erklärt Bührer. Betroffene seien meist müder, zögen sich sozial zurück, seien emotional instabil und litten unter Schlafstörungen. Endstation der Sucht ist dann das Burnout.

Jüngere Arbeitnehmende sind eher gefährdet, arbeitssüchtig zu werden

Laut der Studie aus Deutschland ist Arbeitssucht in kleinen Betrieben mehr verbreitet als in Grossbetrieben. Auch neigen 15- bis 24-Jährige mit 12,6 Prozent häufiger zur Arbeitssucht als 55- bis 64-Jährige mit 7,9 Prozent.

«In kleineren Unternehmen kann oder muss möglicherweise mehr Verantwortung übernommen werden, die Arbeit der einzelnen Mitarbeitenden ist besser sichtbar. Eine betriebliche Regulierung ist in grösseren Betrieben eher gewährleistet», so Bührer.

Dass jüngere Menschen eher betroffen sind, mache ebenfalls Sinn. Denn in früheren Lebensabschnitten nimmt die Arbeit einen höheren Stellenwert ein.

Arbeitssucht ist offiziell keine Krankheit

Auch bestimmte Typen von Menschen sind stärker gefährdet, arbeitssüchtig zu werden. So laufen gewissenhafte Personen und Leute, die schlecht Nein sagen können, eher Gefahr, zu viel zu arbeiten. Oft wollen diese Personen alles perfekt machen und lassen keine Fehler zu.

Offiziell gilt Arbeitssucht aber laut der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) nicht als Krankheit. Auch Burnout ist keine offizielle Diagnose laut ICD-10, «aber es ist gesellschaftlich anerkannter als die Arbeitssucht», so Bührer.

So holen sich viele Betroffene nicht aufgrund der Arbeitssucht Hilfe, sondern wegen eines Burnout. «Oder weil sie leistungssteigernde Substanzen konsumieren, um mehr arbeiten zu können», so Bührer. 

Ferien helfen bei Arbeitssucht nicht

Das bestätigt auch Komplementärtherapeutin Djurdja Petrina Bucher: «Viele wenden sich mit einem Burnout an mich. In der Therapie kann sich dann herausstellen, dass dahinter eine Arbeitssucht steckt.»

Eine einheitliche Therapie gebe es bei der Arbeitssucht nicht. Denn arbeitssüchtige Personen haben meist ganz unterschiedliche Lebenswelten und «nicht bei allen funktionieren die gleichen Methoden».

Wichtig bei arbeitssüchtigen Personen sei, dass sie lernen, zur Ruhe zu kommen. Denn Betroffene sind süchtig nach Stress: «Ferien sind darum kein Heilmittel. Wer arbeitssüchtig ist, sucht sich auch in den Ferien Stress», erklärt Petrina Bucher.

Mit Meditation, Atemübungen und Sport gegen Arbeitssucht

Entspannung könne über Meditation, Atemübungen und Sport erlernt werden. Oft sei auch eine Kombination effektiv. Eine begleitende Psychotherapie ist dabei Pflicht. «Man sollte sich möglichst bald Hilfe suchen, wenn man merkt, dass die Arbeit nie fertig ist», sagt Petrina Bucher.

Um sich von der Arbeitssucht zu erholen, gehöre es aber auch dazu, bewusst Grenzen im Job zu setzen. Manche Betroffene müssen dazu das Pensum reduzieren oder die Position wechseln.