«Es war ein tolles Jahr», fasst Erik Wirz, Managing Partner der Wirz & Partners in Zug, das Geschäftsjahr 2022 zusammen. Nach Gründen dafür muss er im Interview nicht lange suchen: Zum einen konnte sein Executive-Search-Unternehmen mit vielen Bestandeskunden mehr Abschlüsse erreichen.

Auf der anderen Seite gelang es vermehrt, bei einem Kunden gleich mehrere Positionen zu besetzen. Erik Wirz: «Bereits in den letzten Jahren hatten wir Kunden, die mehr als eine Person aus unserer Shortlist anstellten.» Dies war der Fall, wenn sich unter den drei bis vier präsentierten Kandidaten eine weitere Persönlichkeit finden liess, die ins Team passte.  

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«Wir sahen das auch bei Kunden aus der Industrie. Dieses Phänomen war uns sonst nur aus dem Beraterumfeld bekannt», erklärt Wirz den Hintergrund, warum diese Entwicklung sie überraschte. Dabei greift der Führungskräftemangel mit voller Wucht um sich, Firmen klagen, keine passenden Leute zu finden.

Kampf um Leute auf C-Level

Der Führungskräftemangel hat nach Wirz’ Meinung auch mit den Ereignissen im letzten Jahr wie der Eskalation in der Ukraine und dem Energiethema zu tun. Vor allem zwischen Ende Sommer und Anfang Oktober seien die Leute dadurch eher verunsichert gewesen. Die Situation der De-Facto-Vollbeschäftigung und der relativ tiefen Wechselwilligkeit bezeichnet Erik Wirz als paradox: «Dazu kam ein angestauter Frust über die letzten 24 Monate. Die Leute wollten wechseln, wagten es aber nicht.» 

Kein Wunder, dass die zu wenig wechselfreudigen Führungskräfte hofiert werden: von den überproportionalen Angeboten der Headhunter, aber auch von der bisherigen Arbeitgeberin. «Ich sehe, wie die Unternehmen um ihre Leute auf C-Level kämpfen.» Er beobachte gar den Extremfall, dass Führungskräfte bereits einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hätten. Dann reagiert die bisherige Unternehmung und versucht sie mit einem noch besseren Angebot zu ködern – manchmal mit Erfolg.

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Generationenwechsel auf der Chefetage

Die erhöhte Nachfrage im Jahr 2022 nach Topführungskräften hat auch noch andere Ursachen. Simone Stebler, Beraterin bei Egon Zehnder, weist auf einen nach wie vor anhaltenden Nachholbedarf von 2020 hin, als wegen der Pandemie wenig Bewegung im Markt war. «Anderseits standen bei einigen Unternehmen, insbesondere im Banking, Generationen in der Geschäftsleitung an», erklärt Simone Stebler. 

Denn in der aktuellen Zeit der Multikrise sind die Anforderungen an die Führungskräfte zusätzlich gewachsen. Die Unternehmen rüsten mit neuen Talenten mit breiterem Erfahrungshintergrund und inklusiverem Führungsverhalten auf, kreieren neue Rollen oder reichern bestehende Rollen an.

Gerade das Thema der Digitalisierung setzen viele Firmen ins Zentrum, entsprechend sind auch Führungskräften mit digitalen Kompetenzen gewünscht. Aber nicht nur: «Die Weltlage führt dazu, dass gerade auf Verwaltungsratsebene mehr geopolitisches Wissen gefragt ist.» Bei den Geschäftsleitungsmitgliedern sind weiterhin auch Kompetenzen zum Thema Lieferketten gesucht. 

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Trotz der unsicheren Lage blickt Egon Zehnder auf ein sehr gutes Jahr zurück. Eine erhöhte – auch proaktive – Nachfrage stellte Simone Stebler im Bereich von weiblichen Führungskräften und Verwaltungsräten fest. Damit ging es ihnen wie ihren Mitbewerbern. Die Headhunterin stellt lapidar fest: «Alle fischen im gleichen kleinen Talentpool.» 

Mangellage begünstigt Offenheit

Egon Zehnder hat den Suchpool entsprechend der hohen Nachfrage ausgeweitet und berücksichtigt heute auch untypischere Profile. Viele Unternehmen zeigen sich offen und bereit, auch in Kandidatinnen zu investieren, die noch nicht über den idealen Erfahrungshintergrund verfügen, aber ausreichend Potenzial mitbringen.

Simone Stebler: «Es ist sehr viel Offenheit da, um die Diversität zu stärken. Viele Unternehmen haben die Vorteile von mehr Diversität erkannt.» Die Mangellage begünstigt auch einen Blick über die Landesgrenze, vor allem im Hinblick auf die Gender Diversity. 

«Wir stellen fest, dass ein vermehrtes Interesse besteht, den Talentpool im Ausland anzuschauen und dort Talente zu holen», erklärt Stebler. Ein massgeblicher Anteil an weiblichen Führungskräften für Toppositionen liegt laut der Expertin nämlich im Ausland. Auch einen Grossteil der weiblichen Verwaltungsrätinnen hierzulande stellen Ausländerinnen.

Der Grund: Weil für diese Aufgabe vor allem in den multinational tätigen Unternehmen eine internationale Sicht gefragt ist, wäre die Schweiz allein ein zu kleiner Pool. Die Situation gelte auch für das männliche Geschlecht, bei den Frauen sei der Anteil an nicht schweizerischen Verwaltungsräten aber noch höher. 

Simone Stebler begrüsst es, dass sich auf der Ebene Verwaltungsrat ein höherer Frauenanteil etabliert hat, auch wenn man noch weit davon entfernt ist, die angepeilten Richtwerte einzuhalten. Sie weist aber auch darauf hin, dass die Frauen, die von der Geschäftsleitungsebene in den Verwaltungsrat gewechselt haben, jetzt in der Geschäftsleitung fehlen. Egon Zehnder hat in den letzten Jahren global insbesondere General Counsels, Personalchefinnen oder CFO-Positionen an Frauen vermittelt – in Anbetracht der Beschränktheit des Pools an Kandidatinnen kein leichtes Unterfangen.

Bewegung bei den Kandidaten

Der Wettlauf um qualifizierte Frauen und Männer wird sich in Zukunft nicht verringern, nur verschärfen. Erik Wirz geht davon aus, dass sich bis Mitte Jahr auf Kandidatenebene eine Bewegung ergeben und sich der Stau von letztem Jahr auflösen wird. Allerdings sei dieser Prozess stark davon abhängig, wie sich die geopolitische Lage und die übrigen Rahmenbedingungen entwickeln werden. Besonders stark dürften Führungskräfte in den Bereichen Life Sciences und Technologie gefragt sein.

Auch wenn grosse Tech-Firmen in der Schweiz und im Ausland Anfang Jahr einen Stellenabbau angekündigt haben, rechnet Erik Wirz damit, dass der Druck auf die Unternehmen, in die Digitalisierung zu investieren, künftig noch zunehmen wird: «Themen wie Sustainability, Governance und Security haben an Bedeutung gewonnen.» Dies wird sich seiner Ansicht nach auch in der konstanten Nachfrage nach passendem Personal niederschlagen. 

Auch Simone Stebler ist der Meinung, dass es in den nächsten drei Monaten nach sehr stabilem Markt aussieht in der Schweiz. Eine Abkühlung der Konjunktur trifft den Bereich Executive Search typischerweise mit ein paar Monaten Verzug. Simone Stebler: «Selbst in beispiellosen Krisen trifft es zu, dass Veränderungen auf dem Toplevel trotzdem durchgeführt werden. Manchmal haben Unternehmen gar keine Wahl, gewisse Transformationen voranzubringen.»