Es ging an diesem 25. August 2018 im Alten Spital in Solothurn um eine «Standortbestimmung» und um «Change-Prozesse». Die Geschäftsleitung des Fusionsprodukts Keystone-SDA war da, ebenso das Kader. Das Resultat des «Workshops»: Alle Teilnehmenden haben zum Abschluss des Treffens das firmeninterne «Champions-League-Ziel» unterschrieben, das wie folgt lautet: «Alle Keystone-SDA-Mitarbeitenden schauen nach vorn.» Sie hätten damit «symbolisch» gezeigt, dass das Kader als Team zusammenstehe und den «Change-Spirit» vorantreibe, heisst es weiter im Protokoll.
Es ist ein Team von beachtlicher Grösse: Nicht weniger als 40 Kader haben am besagten Workshop teilgenommen. Auch ohne die fünf Geschäftsleitungsmitglieder und die zehn Verwaltungsräte mitzuzählen, kann man sagen: Das Unternehmen, das zwischen 150 und 200 Mitarbeiter zählt, leistet sich einen beachtlichen Overhead. Laufend kommen neue Hierarchiestufen hinzu, während bei der Redaktion ein Viertel der Stellen gekürzt wurde. Und das Missverhältnis nimmt noch zu: Am Weihnachtsessen wurden schon die nächsten Einschnitte beim Personal bekannt gegeben.
Kerngeschäft müsste ausgebaut werden
Entlassungen bei der Produktion, Aufstockung im Management. «Es ist, als würden die Konzerne endlos das Fett von der untersten Ebene der Werkstätten abschneiden und die so erzielten Einsparungen dazu verwenden, einige Etagen höher immer mehr unnötige Arbeitskräfte einzustellen», hält der amerikanische Anthropologe David Graeber in seinem Bestseller «Bullshit Jobs» fest.
Die Schweizerische Depeschenagentur ist jedenfalls kein Einzelfall. Im Gegenteil: Gemäss dem emeritierten Professor Norbert Thom, Spezialist für Organisationslehre und Personalwesen, ist dies ein ziemlich häufiges, wenn auch ineffizientes Vorgehen. Eigentlich müssten die Firmen das Kerngeschäft ausbauen und das Drumherum zurückstutzen, sagt Thom. Doch letztlich geschieht genau das Umgekehrte – auch weil die «Overhead-Leute sich einfach besser zu verteidigen wissen als die Frontkämpfer».
Wundersame Vermehrung der Funktionäre
Die Kader beherrschen ja auch die Kunst der Selbstbeschäftigung. Sie entwickeln Costumer Journey Experiences, organisieren Kickoff-Meetings, Debriefings und Workshops mit externen Beratern, gleisen ein regelmässiges Monitoring auf und verstärken das Controlling. In den Büros des Managements herrscht reges Treiben. Und je mehr Leute hinzukommen, desto mehr gibt es zu tun. Denn Arbeit ist dehnbar.
Das heisst: Sie passt sich der Anzahl Menschen an, die sie zu bewältigen haben. Davon war schon der britische Soziologe Cyril Northcote Parkinson überzeugt. Sein in den 1950er Jahren publiziertes Parkinsonsches Gesetz besagt, «dass sich die Arbeit ausdehnt, um die verfügbare Zeit für ihre Fertigstellung zu füllen». Das heisst: Es gibt letztlich keinen Zusammenhang zwischen der zu erledigenden Arbeit und der Anzahl Personen, die ihr zugewiesen sind. Parkinson unterlegte seine Erkenntnisse unter anderem mit Statistiken aus der britischen Marine: Während diese 1914 noch 62 Schiffe mit 146 000 Männern an Bord und 2000 Funktionären zählte, waren es 1928 nur noch 20 Schiffe mit 100 000 Mann.
Die Zahl der Funktionäre hingegen nahm nicht ab – im Gegenteil: Sie stieg im gleichen Zeitraum um rund 80 Prozent auf 3569. Parkinson erklärt deren wundersame Vermehrung mit viel Eigeninteresse: Jeder Funktionär will möglichst viele Untergebene, aber sicher mindestens zwei. Denn ein einzelner könnte zum Rivalen heranwachsen. Wenn dann die zwei Untergebenen wiederum je zwei Untergebene erhalten, dann machen letztlich sieben Personen, was zuvor ein einziger Beamter erledigen konnte. Angesichts des Koordinations- und Kontrollbedarfs sind aber alle stark ausgelastet.
37 Prozent mehr Verwalter
Auch wenn die Realität heute wohl etwas komplexer ist als die von Parkinson beschriebene Nachkriegsbürokratie Grossbritanniens, kann man auch in der Schweiz beobachten, wie die Jobs in der Verwaltung von Staat und Unternehmen kontinuierlich und überproportional zunehmen: Wuchs die Zahl aller Erwerbstätigen zwischen 2010 und 2016 gemäss Bundesamt für Statistik um rund 6 Prozent, betrug die Zunahme bei den «Führungskräften» und «akademischen Berufen» jeweils über 15 Prozent. 18 Prozent beträgt das Plus in der Berufsgruppe «Juristen, Sozialwissenschaftler, Kulturberufe», gar um 37 Prozent wurden die «akademischen und vergleichbaren Fachkräfte in der betrieblichen Verwaltung» aufgestockt.
Die modernen Funktionäre in der öffentlichen Verwaltung und in den Unternehmen arbeiten heute in der Kommunikations-, der Compliance-, der IT- oder der Personalabteilung. «In Bereichen, wo man sich mit sich selbst beschäftigen kann», wie Thom festhält. Sie tragen nicht selten englische Namen, werden als Junior Relationship Manager, Senior Compliance Officer, HR Project Specialist, Digital Care Content Manager, Marketing & Communication Manager oder Program Coordinator rekrutiert und erledigen Aufgaben, von denen niemand so genau weiss, was sie eigentlich beinhalten.
Werden Lehrerinnen, Strassenwischer oder Postboten wegrationalisiert, sind die Folgen schnell sichtbar: Die Klassenzimmer sind überfüllt, die Strassen dreckig, und die Briefe werden erst am Mittag statt bereits am frühen Morgen ausgeliefert. Hingegen dürfte ein Abbau in den Kommunikations-, Rechts-, IT- oder Personalabteilungen relativ unbemerkt vonstattengehen. Sehr wahrscheinlich würden die wenigsten die Leistungen vermissen.
David Graeber geht noch einen Schritt weiter: Er hegt den Verdacht, dass es der Welt in diesem Fall sogar besser ginge. Umso mehr, als er überzeugt ist, dass ein beachtlicher Teil der Bullshit-Job-Halter wüssten, dass sie eigentlich für eine ziemlich sinnlose Arbeit relativ gut bezahlt würden (siehe «Ich war schockiert» auf Seite 34). Er stützt sich dabei auf Umfragen aus Grossbritannien und den Niederlanden, wo 37 respektive 40 Prozent der Befragten angaben, es gebe keinen stichhaltigen Grund dafür, dass ihre Stelle existiere. Sinnentleerung total.
Ausweitung im Overhead
Adrian Ritz, Professor am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern, bezweifelt, dass die Arbeit heute per se sinnentleerter ist als früher. «Jede Zeit kannte ihre sinnlosen Tätigkeiten.» Die zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung trage dazu bei, doch die gebe es ja nicht erst seit heute. Aber auch Ritz beobachtet eine merkliche Ausweitung im Overhead, wobei er hier zwischen der «legalistischen» und der «managerialen Bürokratie» unterscheidet. Erstere entsteht durch neue und mehr Gesetze. Sie ist politisch gewollt oder wird zumindest in Kauf genommen.
Die «manageriale Bürokratie» hingegen weitet sich unbemerkt aus. «Sie hat stark zugenommen», sagt Ritz. Die Wirtschaft also, die so gerne mit dem Finger auf die Politik und die Verwaltung zeigt, verbürokratisiert sich auch selbst – etwa mit Standardisierungen, Compliance-Regeln oder dem Anlegen von Datenfriedhöfen.
Dies auch wegen der weit verbreiteten Vollkaskomentalität und Null-Fehler-Kultur. Deshalb ist heute der Disclaimer in der Mail oft länger als das Schreiben selbst. Und die Mail geht nicht nur an die zuständige Person, sondern beschäftigt im CC gleich die ganze Abteilung. Geht etwas schief, kann keiner behaupten, er sei nicht informiert gewesen.
«Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.»
David Graeber, „Bullshit Jobs”, 2018
Hauptsache C und O
«Organisierte Unverantwortlichkeit» nennt Adrian Amstutz, Mitinhaber eines Architekturbüros in Sigriswil BE und SVP-Nationalrat, das Phänomen. Keiner sei mehr verantwortlich, keiner könne Entscheidungen treffen. Und kaum einer wisse, was eigentlich seine Aufgabe sei. Deshalb würden letztlich einfach Papierhaufen im Kreis herumgereicht. Leerlauf ohne Ende. Und oft ohne Ergebnis. Amstutz’ Kritik richtet sich primär gegen die öffentlichen Verwaltungen bei Bund, Kantonen und Gemeinden.
Aber das gleiche Muster erkennt er immer häufiger auch in der Privatwirtschaft – zuerst bei den Konzernen, mittlerweile auch bei den mittelgrossen Unternehmen. «Es ist eine Seuche.» Und diese habe nichts mit neuen Gesetzen zu tun, ergänzt Amstutz und entkräftet damit die Lieblingsausrede von Wirtschaftsführern. «Das ist hausgemacht. Es ist die Folge davon, dass letztlich alle Chefs sein wollen.» So gibt es heute Chief Content Officers (CCO), Chief Digital Officers (CDO), Chief Growth Officers (CGO), Chief Visionary Officers (CVO) oder Chief Happiness Officers (CHO), um nur eine kleine Auswahl aufzuzählen.
Natürlich sind die Auflagen vielerorts komplexer geworden, bei der Bankenregulierung etwa, dem Anlegerschutz oder in der Lebensmittelverordnung. Und natürlich müssen die Firmen auf die neuen Vorschriften reagieren. «Doch neue Vorschriften hat es immer gegeben», sagt Ritz. Haupttreiber für mehr Bürokratie sind nebst der weit verbreiteten Verantwortungsabschiebung und der zunehmenden Arbeitsteilung die «professionalisierten» Überprüfungsmechanismen und IT-Prozesse. Zu viel wird heute evaluiert und überprüft. Die erhobenen Informationen sind oft nicht entscheidungsrelevant und werden kaum genutzt. Es gibt immer grösser werdende IT-Abteilungen mit immer grösser werdenden Investitionsbudgets, die wiederum zig Projekte und noch mehr externe Berater nach sich ziehen.
Alles delegieren und evaluieren
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Grösse. «Size matters», sagt Ritz. In Grossorganisationen könnten unnötige Hierarchiestufen und Fülljobs eher überleben. In der Tat: Dort ist es leichter, jedes Geschäft durch unzählige Stellen zu schleusen, alles zu evaluieren und zu kontrollieren.
Damit das möglich wird, muss natürlich zuvor alles gemessen werden. «Und wenn alles gemessen werden muss, dann muss alles messbar gemacht werden», sagt Henrique Schneider, stellvertretender Direktor beim Gewerbeverband. «Dafür braucht es standardisierte Prozesse, die wiederum formuliert, umgesetzt, überprüft und angepasst werden müssen.» Und so dreht sich das Rad immer weiter. Ohne Ende.
Hoffen auf die Korrektur
Dass dies beim Staat möglich ist, erstaunt niemanden. Verwalten ist die Raison d’être der Verwaltung. Das grosse Rätsel ist, wieso dieser Leerlauf auch bei privaten Unternehmen in diesem Ausmass möglich ist. Umso mehr, als die hiesigen Firmen nicht müde werden, sich über die hohen Kosten und vor allem über die hohen Löhne in der Schweiz zu beschweren. Graeber erkennt zwischen beiden Welten keinen grossen Unterschied, ausser vielleicht, dass in der Privatwirtschaft «sinnlose Arbeit (…) meist wesentlich genauer überwacht wird».
Wer nicht ins Büro kommt, fliegt raus. Anders als etwa der spanische Beamte, der bei voller Bezahlung während mindestens sechs Jahren nicht zur Arbeit erschien und stattdessen die Schriften des Philosophen Spinoza studierte. Sein Fehlen fiel erst auf, als er einen Orden für seine langjährigen Dienste erhalten sollte. Sobald man aber Präsenz markiert, kann man auch in Banken, Pharmakonzernen und sonstigen Grossunternehmen einen Grossteil der Arbeitszeit damit verbringen, sein Facebook-Profil zu aktualisieren.
Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch erklärt den Stellenaufbau in der Privatwirtschaft mit der zunehmenden staatlichen Regulierung, auf welche die Unternehmen reagieren müssten. Doch er räumt ein, dass es auch in Unternehmen die Tendenz gebe, in der zentralen Verwaltung unnötige Stellen zu schaffen. «Anders als beim Staat gibt es in der Privatwirtschaft aber ein Korrektiv», sagt Minsch. «Alle paar Jahre kommt eine Restrukturierung, mit der alles Überflüssige abgeschnitten wird.»
Operative Kosten stärker angestiegen als der Umsatz
Wie zum Beispiel derzeit bei Novartis, wo gerade ein gross angelegtes Reorganisationsprogramm bei den «Fach- und Management-Zentren» läuft. Der Pharmakonzern hat im Herbst 2018 angekündigt, dort bis 2022 rund 700 Stellen abzubauen, konkret in der Personal-, der IT- oder der Beschaffungsabteilung. Ebenfalls betroffen sind Stellen in der Kommunikation, der «strategischen Beratung» und den Finanzen. Derzeit zählen die sogenannten «Business Services» 10 500 Mitarbeitende. Nicht zu den «Business Services» gehört der Bereich Ethik und Compliance, der heute 500 Angestellte beschäftigt.
Novartis gehört zu jenen SMI-Konzernen, bei denen seit Ende der Finanzkrise die operativen Kosten stärker angestiegen sind als der Umsatz. Und ist damit bei weitem nicht allein: Bei 12 von 20 SMI-Unternehmen hat sich das Kosten-Umsatz-Verhältnis zwischen 2010 und 2017 verschlechtert. Besonders stark auseinanderentwickelt haben sich Umsatz und Kosten beim Chemieunternehmen Lonza: Der Umsatz hat sich zwar fast verdoppelt, die Kosten aber haben sich annähernd verdreifacht. Gross ist auch die Differenz bei den beiden Grossbanken, bei Richemont und der Swatch Group. Musterschülerin ist die «Zürich».
Die Senkung der Kosten gehört im Management zu den Kernaufgaben. Kaum eine Quartalskonferenz, in der die Manager die Investoren nicht mit Kostensenkungsprogrammen zu beeindrucken versuchen. Die BILANZ wollte wissen, ob es sich dabei jeweils nur um leere Versprechungen handelt oder ob es die Manager in den letzten Jahren tatsächlich geschafft haben, die Ausgaben zu reduzieren. Überprüft wurde dazu die Entwicklung der Kosten der 20 SMI-Unternehmen, wobei als Indikator die von Bloomberg definierten «Operating Expenses» verwendet wurden. Laut der Definition von Bloomberg sind das jene Kosten, die anfallen, aber nicht direkt mit der Produktion von Waren oder Dienstleistungen verbunden sind. Enthalten sind Vertriebs- und Verwaltungskosten sowie sonstige betriebliche Aufwendungen. Wird keine Aufteilung zwischen Herstellungs- sowie Vertriebs- und Verwaltungskosten ausgewiesen, so entsprechen die Operating Expenses gemäss Bloomberg den Gesamtbetriebskosten.
Da aber die Kosten in der Regel mit den Umsätzen wachsen, können diese auch nicht isoliert betrachtet werden. Sie wurden deshalb in Beziehung zum Umsatz gesetzt. Gut schneiden folglich jene Unternehmen ab, bei welchen die Umsätze stärker stiegen als die Kosten, oder jene, deren Kosten stärker geschrumpft sind als der Ertrag. Enttäuscht haben Konzerne, bei denen es umgekehrt war. Grösste Kostendrückerin ist die «Zürich»: Bei einem minimen Ertragsrückgang hat die Versicherung die operativen Kosten um rund 35 Prozent reduziert. Ebenfalls klar sparsamer unterwegs sind der Duftstoffhersteller Givaudan und der Rückversicherer Swiss Re.
Auf der anderen Seite stehen die beiden Grossbanken, wo der Kostenabbau schwächer ausfiel als der Ertragsrückgang. Verhältnismässig stark zugenommen haben auch die Kosten bei Richemont und Swatch Group. Und bei Lonza, wo sich der Umsatz zwar fast verdoppelt, die Kosten aber fast verdreifacht haben. Bei Lonza heisst es, dass sich das Unternehmen «durch Akquisitionen und Produktportfolioveränderungen» enorm verändert habe. EG/FV
Phantasievolle Namen
Wie die privatwirtschaftlichen Unternehmen haben jüngst auch mehrere Staatskonzerne grössere Restrukturierungsprogramme gestartet, mit denen sie wenigstens einen Teil der Bullshit-Jobs wieder abbauen wollen. Bei der Post etwa sollen die Personalund Sachkosten in der Finanz-, der Personal-, der IT- und der Kommunikationsabteilung bis 2020 um 30 Prozent gesenkt werden. Das Projekt, das – wohl nach vielen Sitzungen – auf den Namen «Evolve» getauft wurde, kommt gut voran.
Seit Ende 2016 bis zum dritten Quartal 2018 wurden bereits 292 Vollzeitstellen oder zwölf Prozent im Overhead eingespart, 2056 verbleiben. Allein die Kommunikationsabteilung zählt heute noch immer 224 Vollzeitstellen. Zum Vergleich: Bei der Swisscom sind es rund 60 Vollzeitstellen. Die grosse Anzahl Kommunikatoren bei der Post erstaunt umso mehr, als der Service-public-Konzern sonst immer wieder mit unsensiblem Leistungsabbau im Kerngeschäft auffällt. Jüngst verlangte er etwa mit Verweis auf die Postverordnung von Hausbesitzern, dass sie ihre Briefkästen vom Hauseingang an die Grundstücksgrenze verlegten, damit die jetzt schon gehetzten Briefträger so noch ein paar Sekunden mehr einsparen können.
Immer die gleiche Erklärung
Sportlich ist auch das auf den Namen «RailFit20/30» getaufte Sparprogramm der SBB. Bis 2020 sollen 1400 Vollzeitstellen verschwinden. Betroffen ist aber hier das gesamte SBB-Mutterhaus, also auch Kondukteure, Schaltermitarbeiter oder Wartungspersonal bei der Bahn. Der Stellenetat in der Zentrale hingegen steigt und steigt. 2007 – beim Stellenantritt von Andreas Meyer – waren dort 737 Vollzeitstellen registriert, 2014 waren es schon 1500, weshalb die «Schweiz am Sonntag» die SBB in «Schweizerische Bürokraten-Bahnen» umbenannte. Mittlerweile ist die Zahl auf 2356 Vollzeitstellen angewachsen.
Die Erklärungen lauten damals wie heute: Personal, Finanzen, Kommunikation, Informatik, Rechtsdienst und Supply Chain Management seien zentralisiert worden. Viele dieser Zusammenführungen seien stellenneutral vollzogen worden. Nur bei der Informatik gab es wegen der Digitalisierung einen Aufbau. Genaue Zahlen hingegen wollen die SBB nicht veröffentlichen.
Vollbeschäftigung als Ziel
Also: Wo bleibt die Effizienz im Kapitalismus? Wieso werden mehr Bullshit-Jobs geschaffen als gestrichen? «Durch einen radikalen Abbau würde die Arbeitslosigkeit massiv ansteigen», gibt Professor Thom zu bedenken. «Davor schrecken viele zurück.» Umso mehr, als das Ideal der Vollbeschäftigung von links bis rechts als höchstes Ziel propagiert wird.
Graeber führt weitere Erklärungen an: Topanwälte würden geholt, weil die Konkurrenz ebenfalls solche beschäftige; Positionen von Flickschustern würden geschaffen, weil es für Unternehmen häufig einfacher sei, mit den Folgen eine Problems umzugehen, als es zu lösen; Kästchenankreuzer existierten, weil der Papierkrieg in Grossunternehmen, der belegt, dass bestimmte Massnahmen ergriffen wurden, häufig für wichtiger gehalten werde als die Massnahmen selbst; und «Lakaien» würden angeheuert, weil «Inhaber von Machtpositionen», egal ob beim Staat oder in Unternehmen, Untergebene für ein Statussymbol hielten.
Sein Fazit: Letztlich lebten wir heute nicht mehr in einem kapitalistischen, sondern in einem feudalistischen System – inklusive «endloser Vermehrung mittlerer Managerränge».
Buchautor David Graeber: «Ich war schockiert»
Buchautor David Graeber hat den Begriff «Bullshit-Job» kreiert. Obwohl er zu Beginn nicht erahnen konnte, wie recht er hatte.
Herr Graeber, Sie haben den Begriff «Bullshit-Jobs» erfunden. Diese Jobs sind gemäss Ihrer Definition nicht nur total sinnlos, sondern Sie behaupten auch, dass ihre Halter das wissen. Übertreiben Sie da nicht ein bisschen?
Ich stütze mich dabei auf Umfragen, die Werte von rund 40 Prozent ausweisen. Ich hätte nie gedacht, dass der Anteil jener Personen, die ihren Job als sinnlos taxieren, so hoch ist. Als ich 2013 meinen ersten Artikel über das «Phänomen der Bullshit-Jobs» für die Zeitschrift «Strike!» schrieb, wollte ich auch etwas provozieren. Ich rechnete damit, dass das auf etwa 10 Prozent der Erwerbstätigen zutrifft. Doch als ich sah, mit welcher Geschwindigkeit sich der Artikel viral verbreitete, dachte ich, es wären 20 Prozent. Als ich dann die Umfragen sah, war ich schockiert. Umso mehr, als der Anteil bei den Bürojobs noch viel höher liegen dürfte. Denn ein Busfahrer zum Beispiel mag seinen Job vielleicht hassen, aber er würde nie behaupten, dass er sinnlos sei.
Wenn all diese Büromenschen wissen, dass ihre Arbeit sinnlos ist, wieso wollen sie dann unbedingt Karriere machen? Weil sie glauben, dass es weiter oben sinnvoller wird?
Ja. Aber oft ist es dort dann noch schlimmer. Denken Sie an all diese Leute, die ins mittlere Management befördert werden und dann realisieren, dass sie nichts zu tun haben, ausser ihre Untergebenen zu managen, die eigentlich gar nicht gemanagt werden müssten. Ein Manager hat mir mal erzählt, dass er heimlich Aufträge erfunden und diese sich selbst zugewiesen habe, damit er etwas zu tun hatte. Bis er aufflog.
Sind Bullshit-Jobs einzig eine europäische und amerikanische Spezialität?
Es ist wohl eher ein globales Phänomen, obwohl es sich überall etwas anders manifestiert. Ich habe jedenfalls auch Zuschriften aus Brasilien, Japan, Indien oder Ägypten erhalten. Sogar in einem armen Land wie Sudan gibt es solche Bullshit-Jobs, die aber mehrheitlich von Expats gehalten werden. Etwa in Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Mit solchen Aussagen machen Sie sich bei NGOs keine Freunde.
Ich habe dort schon viele Freunde. Das Frustrierende für sie ist, dass sie eigentlich eine richtige Arbeit machen wollten, sonst hätten sie sich mit ihrer Ausbildung einen besser bezahlten Job sonst wo angeln können. Und nun schieben sie Papier hin und her.
Wie sind Sie eigentlich auf das Phänomen der Bullshit-Jobs gestossen?
Ein Teil der Inspiration kam von meinem Vater, der im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte. Er hat mir erzählt, dass in den 1930er Jahren auf der Suche nach Mitkämpfern in Barcelona alle Büroangestellten entlassen worden waren. Danach wurden jene wieder angestellt, deren Arbeit tatsächlich auch vermisst wurde. Und das war etwa nur jeder Fünfte.
Wenn Staat und Unternehmen alle Bullshit-Jobs streichen, steigt die Arbeitslosigkeit massiv an.
Nicht unbedingt. Wir könnten die Arbeit rationaler verteilen.
Glauben Sie wirklich, dass die Menschen bereit sind, ihre Arbeit zu teilen?
Wenn sie dafür den gleichen Lohn bekommen, vielleicht schon. Der Kapitalismus in seiner heutigen Ausprägung ist nicht sehr effizient, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird. Die Korrelation zwischen der Sinnhaftigkeit der Arbeit und ihrer Bezahlung ist total zufällig oder vielleicht sogar negativ. Das ist doch dumm. Dann wäre es sinnvoller, allen den gleichen Lohn zu bezahlen.
Das erinnert an die frühere Sowjetunion, wo alle den gleichen Lohn und viele einen sinnlosen Job hatten.
Nein, eben gerade nicht. Das ist doch der springende Punkt: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen müssten die Leute eben keiner sinnlosen Beschäftigung mehr nachgehen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnten die Menschen das machen, worauf sie Lust hätten. Und vielleicht würden sie sogar sehr unangenehme Aufgaben übernehmen – einfach, weil sie sinnvoll sind.