Frauen und ihre Karriere: Sonntagspresse und Politiker haben kürzlich neue Stichworte zu einem alten Thema geliefert. So bekannte Ueli Maurer, der Vollzeit-SVP-Politiker und Familienvater, er habe lieber Mütter zu Hause als Frauen, «die in Bern das grosse Wort führen». Dagegen verkündete eine Bank, das Topmanagement innert Kürze zu einem Drittel mit Frauen besetzen zu wollen. Dabei schreckt sie sogar vor Quoten nicht zurück.
Das Thema scheidet die Geister. Warum wohl nur? Haben die Schweizer den Kopf verloren? Schwarzweissmalerei trübt immer den Blick auf die Fakten. Doch diese sprechen für einmal eine deutliche Sprache. Das europäische Ausland hat sie besser verstanden als wir.
Fakt eins: Begabung kennt kein Geschlecht. Jahrzehntelang hat man nun über den kleinen Unterschied zwischen den Menschen geforscht. Wenn inzwischen eines sicher ist, dann dies: Für intellektuelle Aufgaben wählen Frauen häufig einen anderen Lösungsweg, aber sie kommen zum gleichen Ziel wie die Männer. Gene und Hormone bereichern also die Menschheit durch mehr Vielfalt. Aber sie sind kein Grund, Rangunterschiede einzuführen. Genau das aber findet in der Erziehung ständig statt. So baut in Schweizer Schulbüchern heute noch meistens Peter das Haus, und es ist Andrea, die es nachher zu putzen hat.
Fakt zwei: Berufstätige Mütter stehen immer noch unter Rechtfertigungsdruck. Die Bezeichnung «Karrierefrau» ist meist der soziale Gnadenstoss für die Betroffene. Während von Männern der berufliche Erfolg erwartet wird, gelten Frauen vor allem dann als heiratsfähig, wenn sie ihr berufliches Potenzial nicht voll ausschöpfen. Als Rabenmutter gilt, wer das Kind ganztägig durch Dritte betreuen lässt. Vorurteile verdecken, was heute jeder wissen kann: Eine qualifizierte externe Betreuung ist ausgezeichnet für die Entwicklung der Kinder. Und in der Schweiz mangelt es nicht an der Qualität, sondern an der Quantität der Krippen. Diese sind kein Luxusgut – nur schon deswegen nicht, weil viele Familien auf Zweiteinkommen angewiesen sind. Ausserdem ist der Anteil Alleinerziehender gross: 80 Prozent von ihnen sind übrigens Frauen.
Fakt drei: Die Frauen sind im Vormarsch in Sachen guter Bildung. Gleichzeitig ruft die Wirtschaft immer lauter nach hoch qualifizierten Mitarbeitern, weil sie trotz Alterung der Gesellschaft weiterwachsen will. Welches Fazit ist zu ziehen? Kein Wachstum ohne Förderung von Frauenkarrieren! Die OECD beziffert das durch konsequente Politik zu erzielende zusätzliche Wachstum beim Bruttosozialprodukt auf 20 Prozent über 50 Jahre. Doch die Schweiz ist noch weit davon entfernt, diese Chance zu packen. Das Prinzip der «gläsernen Decke» will es, dass Frauen auf dem Weg nach oben irgendwann an unsichtbare Grenzen stossen. Nur ein Drittel aller Führungspersonen der Schweizer Wirtschaft sind weiblich. Erfolgreiche Mütter wie Magdalena Martullo-Blocher (CEO Ems-Chemie) oder Eva Jaisli (CEO PB Swiss Tools) sind in dieser Gruppe gar eine grosse Seltenheit.
Die «gläserne Decke» ist nicht etwa eine Folge männlicher Intrigen. Es ist ein strukturelles Problem: Viele Unternehmen sind heute noch auf den Arbeitsmarkt von gestern ausgerichtet. Eine geschlechtsunabhängige Entlöhnung, Teilzeitarbeit und Möglichkeiten zum Wiedereinstieg nach Familienphasen sind noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dabei geht es nicht um typische «Frauenanliegen». Das Wachstumspotenzial lässt sich nur realisieren, wenn sich auch Väter für die Kinderbetreuung begeistern. Sie könnten dafür auch mal den Sportclub und den Netzwerk-Apéro aus ihrem Kalender streichen …
Krippen, Tagesschulen, gemischte Führungsteams, Teilzeitarbeit: Das gehört zur Infrastruktur für eine wachstumsfähige Schweiz – und ist ebenso wichtig wie die Kraftwerke und Autobahnen, die uns die Eltern hinterlassen haben. Dabei gilt für diese Infrastruktur das Gleiche wie für Strassen und Energie: Immer braucht es die Menschen, die sie benützen. Keine Frauenkarrieren ohne Karrierefrauen! Es braucht tatsächlich Wille, Ausdauer, Organisationstalent und Streben nach Unabhängigkeit, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Frauen haben dasselbe Recht wie Männer, sich davon eine gute Portion abzuschneiden. So steht es übrigens schon in unserer Bundesverfassung.