Es gibt zu wenig Fachkräfte, Jüngeren mangelt es bisweilen an Qualifikation, die Bindung an das Unternehmen lässt nach. So tönt es aus vielen Personalabteilungen. Dabei sind die älteren Beschäftigen für viele Unternehmen oft ein ungenutzter Pool, ihr Anteil nimmt in der Schweiz laufend zu. 2022 waren laut Bundesamt für Statistik rund 22 Prozent der Erwerbstätigen 55 Jahre oder älter, das sind in absoluten Zahlen weit über eine Million Menschen. Im Vergleich dazu waren es 2010 rund 17 Prozent.

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Die Schweiz ist damit nicht allein. In den G7-Ländern wird bis 2030 voraussichtlich mehr als ein Viertel der Erwerbstätigen 55 Jahre oder älter sein, Tendenz steigend. In Japan wird sich dieser Wert bis dahin sogar auf knapp 40 Prozent belaufen – ein Extrembeispiel. Das hat eine aktuelle Bain-Studie zur Zukunft der Arbeit ergeben. Die Folge: Bis 2030 wird es weltweit rund 150 Millionen mehr Beschäftigte geben als heute, die 55 Jahre oder älter sind. Angesichts des demografischen Wandels sind längere Lebensarbeitszeiten vorprogrammiert. Spannend ist die Frage, wie Unternehmen mit der zunehmenden Zahl älterer Mitarbeitender umgehen werden. Wir sehen bei unseren Studien, dass deren Potenzial vielerorts noch immer unterschätzt wird – und somit kaum genutzt.

Zuerst einmal gilt es, die Motivationslage dieser Altersklasse besser zu verstehen. Die Bain-Befragung von rund 40’000 Beschäftigten weltweit zeigt, dass sich die Prioritäten und Motivationen älterer Mitarbeitender besonders rund um das 60. Lebensjahr verändern. Während etwa die Vergütung an Bedeutung abnimmt, werden Faktoren wie eine interessante Aufgabe, Arbeitsplatzsicherheit, Flexibilität und Autonomie wichtiger.

Zudem steigt die Loyalität zum Unternehmen mit dem Alter. So fühlen sich laut Studie weltweit 71 Prozent der über 62-Jährigen ihrem Unternehmen verbunden, bei den bis 44-Jährigen sind es nur rund die Hälfte. Aber auch in den Bereichen Zufriedenheit mit der Tätigkeit sowie Engagement ist ein Anstieg mit zunehmendem Alter zu erkennen – sofern es die Unternehmen verstehen, mit dieser Gruppe angemessen umzugehen. Dafür ist es essenziell, die Stärken älterer Beschäftigter zu kennen und zu respektieren und Letztere mit Aufgaben zu betrauen, die sie am besten beherrschen. Aktuell wird jedoch im Vergleich zu den jüngeren Mitarbeitenden wesentlich weniger in die Aus- und Weiterbildung der älteren investiert. Dabei könnte gerade diese Altersgruppe von gezielten Fortbildungen profitieren, um sich in der immer digitaleren Arbeitswelt halten zu können. So gaben 22 Prozent der weltweit Befragten zwischen 55 bis 64 Jahren an, dass sie bessere IT-Kenntnisse benötigen.

Auch sollten Unternehmen Strukturen schaffen, damit ältere Beschäftigte ihre Erfahrungen an Jüngere weitergeben können, denn deren Bereitschaft dazu ist laut unseren Untersuchungen überproportional hoch. Wem dieser Wissenstransfer in seinem Unternehmen gelingt, festigt damit generationenübergreifend auch ein Stück weit die Kultur am Arbeitsplatz. Ein Beispiel kommt aus Deutschland. So hat der Autobauer BMW in der Produktion altersgerechte ergonomische Anpassungen vorgenommen. Dadurch konnte auch die Gesamtproduktivität gesteigert werden. Hinzu kommt ein «Senior-Expert-Programm», mit dem bereits Pensionierte in die Teilzeitarbeit zurückkehren, um ihr Fachwissen mit jüngeren Mitarbeitenden zu teilen.

Erfolgreichen Unternehmen kann es angesichts der beschriebenen Entwicklung gelingen, eine Win-win-Situation zu schaffen – für sich selbst, mit anhaltendem Geschäftserfolg, und für die wachsende Gruppe der älteren Beschäftigten, die sich respektiert fühlt und sich mit noch mehr Loyalität und Engagement revanchiert.

Über den Autor

Thomas Lustgarten ist Chairman von Bain & Company in der Schweiz sowie weltweiter Leiter der Praxisgruppe Industriegüter und -services. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Beratungserfahrung. Seine Kundenunternehmen berät Thomas Lustgarten bei der Strategieentwicklung und -umsetzung, Transformations- und Digitalisierungsprojekten